Online-Diskussion

Vertrauen größter Einflussfaktor für Impfbereitschaft

Am Anfang folgten viele Länder im Kampf gegen die Pandemie noch einer Linie, mittlerweile gehen viele ihren eigenen Weg, oft auch ohne Rückhalt in der Bevölkerung. Wie sich das auf die Impfraten auswirkt und über die Rolle von Vertrauen, diskutierten Experten aus Dänemark, Portugal, Bulgarien, Rumänien, Russland und der Slowakei am Donnerstag bei einem Online-Panel.

Claudia Tschabuschnig

Als eines der ersten Länder Europas und trotz hoher Infektionszahlen hat Dänemark vor wenigen Tagen alle Corona-Beschränkungen aufgehoben. „Ein weiteres Warten, um alle Bedenken auszuräumen, würde sich negativ auf die Wirtschaft, das Wohlergehen und die demokratischen Rechte auswirken. Diese auszubalancieren, ist ein expliziter Teil der dänischen Strategie“, erläuterte der oberste nicht-medizinische Berater der dänischen Regierung Michael Bang Petersen die Gründe für die Lockerungen.

Die Öffnungsschritte würden auf Zustimmung bei den Dänen stoßen, die genauso auch die Lockdowns mitgetragen haben. Entscheidend sei, dass die Dänen Vertrauen in ihre politische Führung haben. „Es muss eine gesellschaftliche Bedrohung geben, um Verordnungen zu rechtfertigen“, so der Politikwissenschafter weiter. Es gebe immer mehr Daten, die zeigen, dass Omikron sich milder auswirke. Zwar seien die Corona-Fallzahlen in Dänemark extrem hoch und auch die Krankenhauseinweisungen nehmen zu, jedoch sinke die Zahl der Intensivpatienten und auch die Zahl der Todesfälle.

Dänemark kann sich auch mit einer hohen Impfbereitschaft brüsten: 81 Prozent der Dänen sind zweifach geimpft, 61 Prozent sind geboostert. Bereits ab fünf Jahren kann man sich impfen lassen. Die kommende Impfpflicht in Österreich sieht Petersen skeptisch: „Druck wird das Vertrauen in den Staat und die Bereitschaft andere Maßnahmen mitzutragen, weiter beeinträchtigen“, betont er.

Mit einer Impfquote von 90 Prozent führt allerdings Portugal die Statistik an. Auch hier ist das Vertrauen in die Regierung groß, ortet die Journalistin Luisa Meireles. Die Portugiesen würden nicht nur die Corona-Verordnungen gewissenhaft verfolgen, sondern agierten auch mit „vorauseilendem Gehorsam“, etwa indem sie Kinder frühzeitig aus den Schulen nehmen, so die Journalistin, die annimmt, dass bald wieder mehr Restriktionen erlassen werden. Ebenso viel Vertrauen schenken Portugiesen dem nationalen Gesundheitssystem und damit einhergehend auch Impfungen. 97 Prozent der portugiesischen Kinder sind geimpft, so Meireles. Das sei vor allem vor allem geschichtlich begründet. Vor der Revolution 1974 war die Kindersterblichkeit hoch, man habe aus der Vergangenheit gelernt, dass Impfungen wirken.  

Beste Freunde als Impfratgeber in der Slowakei

Auch in anderen Ländern ist Vertrauen ein wesentlicher Faktor zur zur Impfentscheidung, aber eben nicht immer in Institutionen. In der Slowakei vertrauen rund 28 Prozent bei Informationen zu Impfungen ihren Freunden, erläutert Richard Kollar, Berater der slowakischen Regierung in Epidemiedynamik. Ein Fakt, der zu Polarisierung führen kann. Der Mathematiker nahm zudem eine sinkende Impfbereitschaft wahr. Auch ist die Unzufriedenheit über die Pandemie-Maßnahmen hoch.

Die Politik ist mit großem Misstrauen konfrontiert, und dass obwohl erst kürzlich Wahlen stattgefunden haben, so Kollar. In Sachen Impfung agierte die Regierung offenkundig als Anti-Vorbild: Gescheiterte Pfizer-Bestellungen, Kampagne gegen den AstraZeneca Impfstoff, pushen des Sputnik-Impfstoffs, eine Antigentest-Kampagne als Impfersatz und nicht zuletzt der Umstand, dass die Hälfte der Regierungsmitglieder ungeimpft ist und sich die Opposition geschlossen gegen Impfungen stellt.

Kirche gegen Impfung in Rumänien 

Ein ähnliches Bild zeigte sich in Rumänien. Auch dort ist nur knapp die Hälfte der Regierungsmitglieder geimpft. Impfkampagnen gebe es keine mehr, schildert Oana Popescu Zamfir, ehemalige Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten im rumänischen Außenministerium. Um Krankenhäuser zu entlasten, würden Omikron-Fälle vorwiegend zuhause behandelt. Das rumänische Gesundheitssystem war bereits vor der Pandemie ein Sanierungsfall. Mit den Coronavirus-Ausbruch haben sich die Missstände noch verschärft.

Die Gesundheitsausgaben (gemessen am BIP) sind niedrig, medizinisches Personal verlässt das Land, so die Redakteurin. Entlegene Orte hätten kaum medizinischen Zugang, Mediziner:innen fehle es an Ressourcen, was allesamt zur Medizinskepsis beiträgt. So würden Rumänen eher in sozialen Medien nach Rat fragen als Ärzt:innen aufzusuchen. Hinzu kommt ein soziales Misstrauen, das historisch gewachsen ist. Ein Grund warum Solidarität, die im Impfdiskurs oft genannt wird, kein Thema ist. Um eine derart verstreute Bevölkerung politisch anzusprechen, brauche es Influencer in der Gemeinschaft, wie Lehrer, Priester oder Prominente, meint Zamfir. Die orthodoxe Kirche hat ihren Einfluss jedenfalls ausgespielt und sich nicht nur gegen eine Impfung gesprochen, sondern auch Verordnungen gebrochen, erzählt Zamfir vom Wert der Religionsfreiheit.

Vorwurf der Propagandapolitik in Bulgarien

Auch in Russland ist das Misstrauen in Mediziner:innen groß. Rund ein Drittel der russischen Ärzt:innen ist ungeimpft, berichtet Dimitry Dubrovskiy, außerordentlicher Professor in Moskau. Nur 48 Prozent der Russen sind geimpft. Auch der russische Impfstoff Sputnik wird von der Bevölkerung nicht angenommen. Grund dafür sei unter anderem die intransparente Produktion.

Bulgarien hat gleich mit zwei Extremwerten zu kämpfen: EU-weit die niedrigsten Impfquote und höchste Sterberate. Neben dem für Osteuropa charakteristischen Regierungsmisstrauen, sei auch das Misstrauen in unabhängige Experten groß, berichtet der Politkwissenschafter Evgenii Dainov. Die Regierung würde der Lüge bezichtigt und alle Experten wären Teil dieser Propaganda. Auch sei die demokratische Struktur schwach, so Dainoy. Bulgaren hätten weder Vertrauen in noch Solidarität für andere.

 

Impfung karte welt impfraten
Die Verordnungen rund um die Corona-Pandemie gehen sukzessive stark zurück.
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