Über ihre Erkenntnisse berichten die Wissenschafter nun im Fachmagazin „Nature Neuroscience“. „Rund 97 Prozent aller Traumata-Studien basieren auf Erlebnissen, die erst kurze Zeit zurückliegen“, sagte Gräff im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-sda. Doch viele traumatische Erlebnisse fließen ins Langzeitgedächtnis ein - und das Gehirn reagiert auf Erinnerungen an die schlimmen Situationen dementsprechend anders, wie die Forschenden in ihrer Studie zeigen konnten.
Erinnerung ließ Mäuse vor Furcht erstarren
Sie unterzogen Mäuse einem Experiment, in dem sie den Tieren in einem Versuchskäfig einen milden Elektroschock auf die Pfoten gaben. Danach durften die Mäuse zurück in ihren Heimkäfig. Eine Gruppe erhielt nach einem Tag, die zweite Gruppe nach 30 Tagen eine sogenannte Expositionstherapie. Das heißt, sie wurden immer wieder zurück in den Versuchskäfig geholt - was sie an das traumatische Elektroschock-Erlebnis erinnerte und vor Furcht erstarren ließ.
Während der jeweils vier Tage dauernden Therapie zeichneten die Forschenden mit einem speziellen Mikroskop die Hirnströme der Mäuse auf. Demnach waren es jeweils andere Hirnmechanismen, die den Mäusen die Angst vor einem Elektroschock nahm. Bei der ersten Gruppe war die neuronale Aktivität zwischen dem Frontalhirnlappen und dem Angstzentrum im Gehirn - der Amygdala - besonders stark.
Bei der Gruppe, bei der das traumatische Erlebnis bereits 30 Tage zurücklag, war ein anderer, komplexerer Mechanismus aktiv: Die neuronalen Schaltkreise verbanden den Frontalhirnlappen über eine Hirnregion mit dem Namen Nucleus reuniens mit der Amygdala. Es zeigte sich, dass die Neuronen im Nucleus reuniens jeweils aktiv wurden, kurz bevor sich die Mäuse entspannten. Die Aktivität dieser Hirnregion habe also gewissermaßen das Verlernen der Furcht antizipiert, so Gräff.
Auf den Menschen ummünzen
Diese grundlegenden neuen Erkenntnisse in eine Therapie für Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen umzumünzen, bleibt gemäß dem Neurowissenschafter allerdings noch ein weiter Weg. In einem ersten Schritt versucht sein Team derzeit, die Resultate aus der Mausstudie bei gesunden, jungen Menschen zu bestätigen.
Formen der Expositionstherapie werden auch bei Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen angewendet. Dabei sollen traumatische Erlebnisse zu einer „normalen“ Erinnerung umgelernt werden.
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