Von den rund 1,7 Millionen Menschen unter 20 Jahren in Österreich besuchen 1,1 Millionen eine Schule. Derzeit stehen ihnen nur 181 Schulpsycholog:innen zur Verfügung. Jeder fünfte Schüler (24 Prozent) hat bereits vor Ausbruch der Pandemie mit psychischen Problemen gekämpft. Teilweise mussten und müssen sie monatelang auf Behandlungsplätze warten, vor allem für Kassenpatient:innen gibt es monatelange Wartelisten.
Gemeinsam mit der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit (Kinderliga) und der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP) äußerte Haid Sorge um die psychische Gesundheit der Jugend in Österreich. Oft sei eine zeitnahe Intervention entscheidend, die lange Wartelisten bzw. Wartezeiten würden das Problem zusätzlich verschärfen.
Viel zu wenig niederschwellige Angebote an Ort und Stelle in der Schule zählen zu den großen Herausforderungen für die psychosoziale Betreuung zu Beginn des neuen Schuljahres. Auch wenn der Präsenz-Unterricht oft Vorteile für benachteilige Kinder bringe, seien viele Probleme bereits abzusehen.
Ausbau psychosozialer Versorgung
Eine gemeinsame Forderung ist es, die psychosoziale Versorgung für Schüler:innen, Eltern und auch das Lehrpersonal auszubauen - und langfristig sicherzustellen. Da und dort gebe es vielversprechende Pilot-Projekte, nachhaltig müsse aber konstant investiert werden. Auch in die Bewusstseinsbildung rund um das Thema psychische Gesundheit.
„Schüler müssen gehört, gesehen und wahrgenommen werden“, sagte Haid. Schon vor der Coronakrise hatten Befragungen gezeigt, dass der Nachwuchs aufsuchenden und unterstützenden psychosozialen Angeboten gegenüber offen und positiv eingestellt ist. Aktuell haben die psychischen Belastungen noch deutlich zugenommen, belegen mehreren Studien aus der EU und Österreich.
Mittlerweile leide jeder zweite junge Mensch in Österreich an depressiven Symptomen. Suizidgedanken, Angstsymptome, Schlafstörungen und ein problematisches Konsumverhalten haben stark zugenommen. 47 Prozent aller befragten Jugendlichen gaben bei der Erhebung im Frühjahr an, dass sie professionelle Unterstützung brauchen, wobei besonders starke Verschlechterungen in Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status, mit Migrationshintergrund und denjenigen, die in beengten Wohnverhältnissen leben, zu bemerken ist.
Grundsätzlich sei die psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung in Österreich unzureichend und vor allem niederschwellige, kassenfinanzierte Angebote Mangelware. „Im Sinne der Chancengerechtigkeit muss der Zugang zu bestmöglicher Gesundheitsversorgung allen Kindern und Jugendlichen gleichberechtigt möglich sein. Finanzielle Ressourcen dürfen nicht den Unterschied zwischen Behandlung oder keine Behandlung machen“, sagte Caroline Culen, klinische Psychologin und Geschäftsführerin der Österreichischen Kinderliga.
Notwendig: mehr Schulsupportpersonal
Mira Lobnig, Mitinitiatorin der Jugend-Mental-Health-Initiative „Gut und selbst“, forderte eine Aufstockung des psychosozialen Schulsupportpersonals. Neben Schulärzt:innen und Schulpsycholog:innen sollten an jeder Schule Schulpsychotherapeut:innen, Sozialarbeiter:innen und mehr Vertrauenslehrer:innen tätig sein, so die Expert:innen unisono. Das Thema „Mental Health“ solle darüber hinaus in den Mittelpunkt rücken.
Durch die Pandemie sind Belastbarkeit und Stressakzeptanz gesunken, es brauche niederschwellige Unterstützung und Präventionsangebote wie etwa das erfolgreiche Pilotprojekt „fit4SCHOOL-psychotherapeutische Beratung in der Schule“. Auch müssten Präventions- und Weiterbildungsangebote für Schüler, Lehrer:innen und Eltern im psychosozialen Bereich dringend ausgebaut und das Thema „Mentale Gesundheit“ als eigenes Schulfach in den Lehrplan aufgenommen und auch in die Lehrer:innen-Ausbildung integriert werden.