1,3 Milliarden Menschen leiden weltweit unter Bluthochdruck. Die Hypertonie ist ein Hauptrisikofaktor für Herzinfarkt, Herzschwäche, Nierenschäden und Schlaganfälle. Trotz prinzipiell gut wirksamer Medikamente aus den Wirkstoffklassen der ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptor-Blockern, Diuretika, Kalziumantagonisten und Betablockern sind bei weitem nicht alle Patient:innen optimal versorgt.
„Die Hypertonie (...) ist der bedeutendste verhütbare Faktor für Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen weltweit. Obwohl es effektive Behandlungsoptionen gibt, erreicht fast die Hälfte der Hochdruckpatienten nicht die in den Leitlinien empfohlenen Werte (...)“, schrieben Akshay Desai (Brigham and Women's Hospital/Boston/USA) und seine Co-Autoren jetzt in der weltweit angesehenen Medizin-Fachzeitschrift.
Neue Wirkprinzipien zur Behandlung der Hypertonie könnten die Situation verbessern. Das US-Biotech-Unternehmen Alnylam Pharmaceuticals hat sich der Entwicklung völlig neuer Arzneimittelsubstanzen verschrieben. Das Prinzip: Bei den Wirkstoffen handelt es sich um kurze künstliche RNA-Sequenzen, welche die körpereigene Produktion jeweils eines Proteins zielgerichtet blockieren. Die Forschenden sprechen von RNA-Interferenz (RNAi), weil die künstlichen RNA-Ketten die für die zelleigene Proteinproduktion notwendigen RNA-Teile beschädigen. Sie können dann von den Ribosomen nicht abgelesen und in das jeweilige Eiweiß übersetzt werden. RNA-Interferenz ist ein natürlicher Mechanismus zur Stilllegung von Genen, was sehr schnell abläuft und schnell auch wieder beendet wird. Für Arzneimittel muss das Prinzip lang wirksam gemacht werden.
Verhinderung der Bildung von Angiotensinogen in der Leber
Nach der Zulassung erster derartiger Medikamente zur Behandlung von Seltenen Erkrankungen wurde das Prinzip jetzt erstmals auch bei der Entwicklung von Zilebesiran zur Behandlung des Volksleidens Hypertonie eingesetzt. Zilebesiran ist eine RNA-Sequenz, die durch einen chemischen Trick langlebig gemacht wurde und sich in der Leber ansammelt. Zilebesiran als siRNA-Substanz (RNA-interferenztherapeutikum) zielt auf die Verhinderung der Bildung von Angiotensinogen in der Leber ab.
Der Wirkort Angiotensinogen ist die einzige Vorstufe der Angiotensin-Peptide ACE-I und ACE-II, welche ganz zentral für die Blutdrucksteuerung bzw. Blutdruckerhöhung verantwortlich sind. Damit ist Angiotensinogen ganz weit vorn an der Ursache für Bluthochdruck. „Zilebesiran (...) inaktiviert die Angiotensinogen-Synthese und führt nach einer einmaligen subkutanen (unter die Haut erfolgenden; Anm.) Injektion von 200 Milligramm oder mehr zu einer über 24 Wochen anhaltenden Reduktion des Angiotensinogen-Spiegels im (Blut-)Serum und zur Normalisierung des Blutdrucks“, schrieb jetzt die deutsche Pharmazeutische Zeitung.
Der Effekt des potenziellen neuen Medikaments wurde erstmals in der Phase-I-Studie belegt. In die Untersuchung mit kompliziertem Aufbau wurden insgesamt 107 Hypertonie-Erkrankte aufgenommen. 84 Bluthochdruck-Patient:innen erhielten nach dem Zufallsprinzip im Verhältnis von zwei zu eins entweder eine Injektion mit unterschiedlichen Dosierungen des Wirkstoffes (zehn bis 800 Milligramm) oder ein Placebo. Die Beobachtungsdauer betrug 24 Wochen.
Bei den Probanden zeigte sich insgesamt eine Verringerung des Angiotensinogen-Spiegels im Blutserum von 90 Prozent und mehr, wenn die Wirkstoffdosis hundert Milligramm oder mehr betragen hatte. „Nach Einzeldosen von Zilebesiran von 200 Milligramm oder mehr wurden in Woche acht eine Senkung des systolischen Blutdrucks um mehr als zehn mmHg und des diastolischen Blutdrucks um mehr als fünf mmHg beobachtet. Bei den acht Patienten, die 800 Milligramm Zilebesiran erhalten hatten, wurde in Woche 24 ein systolischer Blutdruck von minus 22,5 mmHg und ein diastolischer Blutdruck von minus 10,8 mmHg verglichen mit den Ausgangswerten gemessen“, resümierte die deutsche Apothekerzeitschrift. Eine salzarme Ernährung erhöhte den Effekt noch zusätzlich.
Hoffnung auf bessere Compliance
Unerwünschte Ereignisse, die bei mindestens fünf Prozent der Patient:innen auftraten, waren Kopfschmerzen, Reaktionen an der Injektionsstelle und Infektionen der oberen Atemwege. Die meisten dieser Probleme waren leicht oder mittelschwer. Eine Injektion gegen die Hypertonie alle sechs Monate aber könnte wahrscheinlich vielfach zu einer besseren Blutdruckeinstellung bei Patient:innen führen. Die herkömmlichen Antihypertonika müssen ja täglich geschluckt werden. Darauf wird oft vergessen.
Bis zu einer allfälligen Zulassung des neuen Wirkprinzips müssen aber noch klinische Studien der Phasen II und III (Wirksamkeit und Verträglichkeit im Vergleich zu herkömmlicher Standardtherapie bei vielen Probanden) erfolgen. Das US-Biotech-Unternehmen Alnylam arbeitet mit dem Schweizer Pharmakonzern Roche zusammen.
Studie