Gerichtssache

Pflegeheim-Prozess in NÖ: Erste Zeuginnen am Wort

Im Schöffenverfahren gegen vier ehemalige Mitarbeiter eines Pflegeheims in Sitzenberg-Reidling (Bezirk Tulln) sind am Donnerstag am Landesgericht St. Pölten die ersten Zeugen befragt worden. Am Vormittag wurden zwei frühere Kolleginnen der vier Angeklagten einvernommen. Sie hatten die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Das Quartett - drei Frauen im Alter von 33 bis 45 Jahren und ein 36-jähriger Mann - hatte sich zum Prozessstart im Jänner nicht schuldig bekannt.

red/Agenturen

Die Anklagepunkte drehen sich um Quälen und Vernachlässigen wehrloser Personen, fortgesetzte Gewaltausübung und sexuellen Missbrauch von wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Personen von März 2020 bis März 2021. Eine 50-jährige Beschäftigte hatte laut ihrer Aussage bereits im Sommer 2020 einen Vorfall an die Heimleitung gemeldet. Die 45-jährige Erstangeklagte habe damals einem Bewohner beim Umziehen einen „festen Stoß gegeben, dass er auf sein Bett geflogen ist“, und ihn bespuckt, sagte die Zeugin.

Einem Bewohner habe die 45-Jährige „einen Polster auf sein Gesicht gedrückt, damit er aufhört zu schreien“, und ihn beschimpft, berichtete die 50-Jährige. Außerdem soll die Angeklagte dem betagten Mann Parfum ins Gesicht gespritzt und ihn angespuckt haben. Einmal soll sie den Patienten kalt abgeduscht und ihn im Winter bei offenem Fenster im Bett liegen lassen haben. Einer Frau, die nicht mehr gut schlucken konnte, habe die 45-Jährige „mit Gewalt“ einen Becher Wasser eingeflößt, sagte die 50-Jährige. Die Pensionistin soll mit dem Kopf gegen das Bett geschlagen sein. Die zweite Zeugin - eine 25-Jährige - schilderte u.a. eine Beobachtung, dass der 36-Jährige einer Bewohnerin auf das Gesäß geschlagen habe.

Bewohner damals „plötzlich anders“

Die Angeklagten sollen Bewohnern laut Staatsanwaltschaft zusätzliche Medikamente - Schlafmittel und Psychopharmaka - verabreicht haben, um die betagten Opfer ruhigzustellen. Seit März 2020 sei es „immer ruhiger geworden auf der Station“, schilderte die 50-Jährige: „Mir ist aufgefallen, dass die Bewohner anders waren. Sie sind nicht mehr selbst vom Bett aufgekommen und haben nicht mehr gehen können.“ Die 25-Jährige berichtete, dass die Erstangeklagte Bewohnern zusätzliche Medikamente gegeben habe. Wenn die 45-jährige oder die 33-jährige Beschuldigte Nachtdienst hatten, seien die Patient:innen in der Folge „benommen, verlangsamt und nur sehr schwer wach zu bekommen“ gewesen.

In einer WhatsApp-Gruppe tauschten sich die Beschuldigten aus und äußerten sich abfällig über Patient:innen. So wurde etwa geschrieben, dass Bewohner „gleich niedergespritzt werden“. Die 25-Jährige hatte den Chat ins Leben gerufen und ebenfalls mitgeschrieben. Ein Ermittlungsverfahren gegen sie wurde eingestellt. „Ich habe einfach mitgespielt, damit ich von ihnen akzeptiert werde“, sagte die Frau. Die 50-Jährige hatte die Angeklagten nie zur Rede gestellt. „Ich war wahrscheinlich zu feige“, meinte sie.

Die 25-Jährige und die 50-Jährige hatten im März 2021 Vorfälle der Leitung des Senecura-Heims gemeldet. Es folgten einvernehmliche Kündigungen. Die Dienstverhältnisse mit den vier Angeklagten wurden sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe beendet.

Die stark pflegebedürftigen Opfer sind nicht aussagefähig. Im Fall einer Verurteilung drohen dem Quartett bis zu zehn Jahre Haft. Weitere Prozesstermine sind für 2., 16. und 30. März geplant.