Medizinhistorische Streifzüge – Folge 15

Reingewaschen von den Sünden

Welche Möglichkeiten hatten „reuige Lustdirnen“ im Mittelalter, um wieder gesellschaftliche Achtung zu erlangen, welche Strafen setzte es bei allfälligen Rückfällen und was hat es mit der sogenannten „Meisterin“ der Büßerinnen auf sich? Regelmäßig begibt sich Hans-Peter Petutschnig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin. In dieser Folge: Ein Sittenbild des alten Wiens rund um den Franziskanerplatz.

Hans-Peter Petutschnig

Der Franziskanerplatz in unmittelbarer Nähe zur Ärztekammer zählt wohl zu den schönsten Plätzen Wiens. Obwohl nur wenige Meter von den Einkaufsmeilen Kärntner Straße und Graben entfernt, strahlt er Ruhe und einen fast dörflichen Charakter aus. Flankiert wird der Platz von der Franziskanerkirche mit dem angeschlossenen Kloster. An dieser Stelle stand einst das Büßerinnenkloster zu St. Hieronymus.

Franziskanerkirche
Die Franziskanerkirche mit angeschlossenem Kloster. An dieser Stelle stand einst das Büßerinnenkloster zu St. Hieronymus.


© Stefan Seelig

 

Gegründet wurde das Büßerinnenkloster 1306 als „Seelhaus der Büßerinnen vom dritten Orden des heiligen Franziskus“. Es war für Frauen bestimmt, “die sich aus iren offenn sunden aus dem gemainen frein leben der uncheusch bechert und in puess gesaczt habent“. Es nahm also vor allem reuige Lustdirnen auf. Die Einrichtung dürfte erfolgreich agiert haben, denn bereits 1383 schlossen sich Wiener Bürger zusammen, die das Kloster erweiterten, um auf dies Art die sittlichen Zustände in der Stadt zu heben.

Bestätigt wurde die Stiftung 1384 von Herzog Albrecht III. Damit genoss das „Seelhaus“ Steuer- und Zollfreiheit, und es war der Aufsicht der Stadt unterstellt. Ab diesem Zeitpunkt leiteten Wiener Bürger als „Verweser“ die Verwaltung des Hauses.

Obwohl die Büßerinnen in einem Kloster lebten, Ordenskleidung trugen und auch zu regelmäßigen Bußübungen verpflichtet waren, mussten sie kein eigentliches Klostergelübde ablegen. Zu absolutem Gehorsam gegenüber der „Meisterin“, die eine Leitungsfunktion innehatte, waren sie aber sehr wohl verpflichtet.

Der für die damalige Zeit höchst ungewöhnlich lockere Umgang mit den moralischen und gesellschaftlichen Normen zeigt sich auch anhand der Tatsache, dass Heiraten möglich waren, ohne dass der entsprechende Ehemann mit einem gesellschaftlichen Abstieg rechnen musste. Dem gegenüber stand dann aber wieder der Umstand, dass die Strafen für rückfällige Frauen des „Seelhauses“ durchaus drakonisch waren: Ihnen drohte nicht wenige als der Tod durch Ertränken.

Noch um 1500 war das Büßerinnenkloster so stark belegt, dass zusätzliche Zellen gebaut werden mussten. Erst der Stadtbrand von 1525, die Belagerung Wiens durch die Osmanen 1529 und die Wirren der Reformation leiteten den Niedergang des Büßerinnenklosters ein. Beim Stadtbrand war der größte Teil des Klostergebäudes abgebrannt, unversehrt blieb nur der Pfarrhof. Da den Büßerinnen durch die Reformation keine Legate und Stiftungen mehr zuflossen, konnte nur ein kleiner Teil der Wohnanlagen wiederhergestellt werden. 1543 gab es neben der „Meisterin“ nur noch acht weitere Bewohnerinnen. 

Das Brand- und Kriegsgeschehen war eine Sache, der deutliche Sittenverfall im Kloster eine andere. Überlieferungen berichten von regelrechten Orgien zur damaligen Zeit – „allerley Leichtfertigkeiten“. Diese reichten von Gotteslästerung, Trunkenheit und Völlerei bis hin zu Unzucht. Man kann wohl annehmen, dass diese Auswüchse von den jeweiligen „Meisterinnen“ durchaus geduldet wurden, wenn sie nicht sogar „part of the game“ waren. Hinzu kamen wirtschaftliche Verfehlungen, die zu einschneidenden Verlusten bei dem Stiftungsvermögen führten. 1571 stand das Kloster dann völlig leer.

Sein Ende fand das Büßerinnenkloster 1589, als dem Franziskanerorden das Kloster und die dazugehörige Kirche angeboten wurden. Seitdem ist es die Heimstatt der Franziskaner in Wien.

Vis à vis zur Singerstraße befindet sich ein schmaler Durchgang, der zur mittelalterlichen Ballgasse führt, die sich heute als einheitliches Gebäudeensemble josephinischer Wohnhäuser präsentiert. Gassen dieser Art waren zur Zeit Maria Theresias aufgrund ihrer Enge beliebte Orte der Anbahnung: Waren Keuschheitskommissare unterwegs, konnte man sich schnell hinter einer Biegung beziehungsweise in einem Hinterhof verstecken.

Ballgasse Wien
Gassen so wie die mittelalterliche Ballgasse, die sich heute als einheitliches Gebäudeensemble josephinischer Wohnhäuser präsentiert, waren zur Zeit Maria Theresias aufgrund ihrer Enge beliebte Orte der Anbahnung.


© Stefan Seelig

 

Versäumen Sie auch nicht einen kurzen Blick auf das legendäre „Kaiserbründl“ in der nur wenige Meter vom Franziskanerplatz entfernten Weihburggasse 18-20. Entstanden ist das ehemalige Zentralbad aus einer Reihe von nahegelegenen Bädern des Mittelalters und der früheren Neuzeit, wie beispielsweise die seit dem 14. Jahrhundert bestehende „Badestube bei der Himmelpforten“, das Bürgerspitalbad sowie die „Badestube Wollzeile.“

Das „Kaiserbründl“ stammt vom Architekten Adolf Endl, die Innenarchitektur von Albert Swoboda, der auf den maurischen Stil spezialisiert war. Die Eröffnung fand am 26. Mai 1889 statt. Simon Baruch, Pionier auf dem Gebiet der Hydrotherapie und Gründer des öffentlichen Badewesens von New York, bezeichnete die Badeinstitution damals als „the most substantial, elegant and complete bath in the world”.

Kaiserbründl
Entstanden ist das ehemalige Zentralbad aus einer Reihe von nahegelegenen Bädern des Mittelalters und der früheren Neuzeit.


© Stefan Seelig

 

Um 1900 gehörte es für gehobene Schichten zum guten Ton, das zentral gelegene Bad zu besuchen – es fand sogar Eingang in die damaligen Reiseführer. Ein prominenter Stammgast war Erzherzog Ludwig Viktor, genannt „Luziwuzi“, der jüngere Bruder Kaiser Franz Josephs. Ludwig Viktor trug sehr gerne Damenkleidung und hielt sich auch lieber unter jungen Offizieren auf.

Erzherzog Ludwig Viktor
Ein prominenter Stammgast des „Kaiserbründl“ war Erzherzog Ludwig Viktor, genannt „Luziwuzi“, der jüngere Bruder Kaiser Franz Josephs. Hier auf einer Fotografie von 1872.


© Ludwig Angerer, Der Erzherzog Ludwig Viktor von Österreich, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

 

Seine homosexuelle Neigung brachte ihn des Öfteren in Schwierigkeiten. Einmal näherte er sich anzüglich einem Offizier, der ihn postwendend ohrfeigte. Der Skandal wurde geheim gehalten, auch die damalige Presse berichtete kaum darüber. Trotzdem enthob der Kaiser seinen Bruder von allen ererbten Rechten und verbannte ihn nach Salzburg, wo er am 18. Jänner 1919 verstarb.

Heute beherbergt das „Kaiserbründl“ eine Herrensauna.

 

 

Hans-Peter Petutschnig ist seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich. Er ist zudem stellvertretender Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien und organisiert zahlreiche kulturelle Veranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte. Zusammen mit der staatlich geprüften Wiener Fremdenführerin sowie Kunst- und Kulturvermittlerin Bibiane Krapfenbauer-Horsky hat er das Buch „Auf den Spuren der alten Heilkunst in Wien – Medizinische Spaziergänge durch die Stadt“ verfasst.

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Hans-Peter Petutschnig
Hans-Peter Petutschnig, seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich, begibt sich nun regelmäßig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin.
Stefan Seelig