Health for future

„Die Klimakrise ist eine Gesundheitskrise"

Mit einem Offenen Brief an die Politik will das Klimabündnis „Health for Future“ auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Eine breite Allianz von 30 Organisationen hat dazu mehr Klimakompetenz in den Gesundheitsberufen eingefordert. Die Klimakrise sei längst die globale Herausforderung unserer Zeit geworden und zudem eine Gesundheitskrise. Egal, ob Ärzt:innen, Pflege oder Physiotherapeuten: Das Gesundheitspersonal braucht bessere Möglichkeiten und mehr Informationen, um dem entgegenzutreten, so die Kernbotschaft der Podiumsdiskussion anlässlich des Offenen Briefes.

Eva Kaiserseder

Dienstagvormittag in der Wiener Innenstadt: Im „Cafe Stein“, Kaffeehausklassiker und Fixpunkt unter anderem für Studierende an der Hauptuni, wird zur Podiumsdiskussion für mehr Klimakompetenz geladen. Das Themenspektrum: ein komplexes. Viele Baustellen, Möglichkeiten und Mängel quer durch alle Gesundheitsberufe inklusive Ausbildung wurden debattiert.

„Am Anschlag“

Für Willi Haas, der an der Wiener BOKU Professor für Soziale Ökologie ist, bedeutet der Klimawandel vor allem große Unsicherheit: Es gebe nicht das eine Problem, gegen das man sich mit einem allumfassenden Schutzschirm wappnen könne, die Gemengelage sei viel komplexer. Zudem treffe der Klimawandel auf eine große gesundheitliche Ungleichheit, vor allem vulnerable Gruppen seien betroffen. Ein wesentlicher Punkt sei daher, dem Gesundheitswesen möglichst viele Kompetenzen mitzugeben, denn „wir werden sie brauchen“, erklärte Haas.

„Eine große Erschöpfung ist spürbar, nicht nur das Gesundheitswesen ist am Anschlag“, so Heinz Fuchsig, Allgemeinmediziner, Arbeitsmediziner und Referent für Umweltmedizin in der Österreichischen Ärztekammer. „Die Vorbereitung auf Ernstfälle wie etwa ein Blackout während einer Hitzewelle ist enorm wichtig, nicht nur die Ärzt:innenschaft sei hier entscheidend, sondern alle Gesundheitsberufe“, so der Mediziner. So würden etwa die Ersthelfer eine ganz essentielle Rolle spielen, um die Spitäler nicht zu überlasten. Es gäbe zwar Hitzeaktionspläne, diese seien in der Basis aber noch zu wenig angekommen, genauso wie es an der Ausbildung und strukturelle Verankerung des Themas noch deutlich mangelt, so Fuchsigs Fazit.

Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes, betonte die Wichtigkeit von community nurses und so genannten disaster nurses: Letztere sind spezialisierte Pflegekräfte, die Patient:innen im Katastrophenfall betreuen und firm in Bereichen wie Notfallmedizin, logistischen Fragen, Triagierung oder psychologischer Ersthilfe sind. In Österreich sind disaster nurses allerdings noch nicht etabliert, community nurses dagegen zumindest als groß ausgerolltes Pilotprojekt des Bundesministerium für Gesundheit und Soziales seit 2022 im Anlaufen. Sie sind vor allem als niederschwellige Ansprechpartner für ältere Menschen, die zuhause leben und Unterstützung brauchen, gedacht. Gerade in den Sommermonaten sei Hitze ein häufiger Einweisungsgrund ins Spital, das gelte es durch gezielte Information, Vorbeugung und engmaschige Betreuung zu verhindern, informierte Potzmann.

Von Klimanagst und Verdrängung

Gabriele Jaksch, Präsidentin MTD Austria (gehobene medizinisch-technische Dienste), streicht ebenfalls die Wichtigkeit der Klimakrise als Gesundheitskrise heraus, so seien nach WHO-Angaben im vergangenen Jahr 15.000 Hitzetote alleine in Europa zu beklagen gewesen. Jaksch präsentierte einen Einblick in den Status quo der sieben Berufe, die sie vertritt. So würden etwa die Diätologen auf regionale Kost setzen und dessen Wichtigkeit den Klienten nahebringen, um ganz Grundlegendes zu vermitteln. Viel Bewusstseinsbildung sei gerade im häufigen, intensiven Kontakt mit den Patient:innen und Klienten möglich. Ideen verortet sie genügend, so wünschen sich etwa die Radiologen nach internationalem Vorbild mobile Geräte. Der Vorteil: Nicht die Patient:innen müssen hin und her transportiert werden, sondern die mobilen Radiologen kommen direkt zu den Patient:innen, überflüssige Wege werden reduziert.

Für den Bildungsbereich waren Elisabeth Steiner, Obfrau Bündnis Nachhaltige Hochschulen, und Andrea Stitzel, Psychologin und Lehrende an der FH Kärnten, am Podium. „Die Curricula sind im Aufbruch, da tut sich so einiges, was das Thema Nachhaltigkeit betrifft, trotzdem gibt es natürlich noch viel Aufholbedarf, so zum Beispiel bei gesundheitsbezogener Klimakompentenz“, so Steiners durchaus optimistischer Blick auf den Status quo.

Andrea Stitzel stellte die enormen Anforderungen an das Gesundheitspersonal in den Vordergrund: „In einem Arbeitsumfeld mit ohnehin sehr hoher Belastung verlangen wir zusätzliche Kompetenzen in einer hochkomplexen Thematik. Die Frage ist, was wir den Menschen mitgeben können, um ihr Wissen in der Praxis umsetzen zu können.“ Die Schlagworte Selbstmanagement und Handlungsfähigkeit fielen und zudem wurde betont, auch emotionale Aspekte nicht zu vernachlässigen, etwa wie mit Menschen umzugehen sei, die so genannte Klimaangst haben und das Thema eher verdrängen.

Johanna Schauer-Berger, Allgemeinmedizinerin und Obfrau von „Health for Future“, strich das Thema Klimaresilienz hervor. Internationale Bündnisse wie ATTACH (Alliance for transformative Action on Climate and health/WHO) mit seinen 63 Mitgliedsstaaten würden bereits daran arbeiten, Gesundheitssysteme zu stärken und deren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Zudem brauche es interdisziplinäre Vernetzung. „Dinge wie eine Reduzierung des CO2-Fußabdruckes sind enorm wichtig, aber der Gesundheitssektor kann das nicht alleine stemmen. Ein Beispiel: Wollen wir, dass die Menschen mehr Fahrrad fahren, braucht es dazu die Raumplanung, Stichwort Fahrradwege.“ Ein Best-Practice-Beispiel sei das englische NHS, das unter anderem bereits Lieferketten adaptiert und viele Initiativen zu dem Thema gestartet hat.

Gesundheitskompetenz „entscheidendes Schräubchen“

In der anschließenden Debatte ging es um das Thema Klimanangst und den längst fälligen Wandel von der Reparatur- zur Präventionsmedizin, der vielleicht durch die aktuelle Krise einen deutlichen Schub bekommen könnte. Es stellte sich zudem die Frage, ob Klimaaktionen tatsächlich unbequem sein müssen, Stichwort Störaktionen, um Veränderungen auszulösen und medial zu wirken. Oder ob derlei die Menschen erst recht dazu bringt, sich zu entsolidarisieren. Elisabeth Potzmann warf ein, dass „viele Menschen bereits ein sehr unbequemes Leben mit Mehrfachbelastungen haben, und wir sie damit nicht unbedingt für das Klimaanliegen ins Boot holen“.

Heinz Fuchsig sieht auch die Medien in der Pflicht, „in einem Hitzesommer eben nicht nur die Kinder im Freibad zu zeigen, sondern auch zu vermitteln, das Kinder nicht so hitzeresilient sind wie Erwachsene. Es wäre auch wichtig, dieses Kümmern zu übernehmen, solange der Staat das nicht macht, Informationen zu liefern, wie man auch alten Menschen die Hitze erträglicher machen kann und welche Gefahren es hier gibt. Oder, als ganz konkretes Beispiel, wie man sich zum Beispiel im Falle eines Waldbrandes zu verhalten hat, um eine Rauchgasvergiftung zu vermeiden“.

Grundsätzlich sei die Klimakrise die größte Bedrohung für die öffentliche Gesundheit im 21. Jahrhundert, so der allgemeine Tenor, umso wichtiger sei es, in den Selbstermächtigungmodus zu kommen. „Die Gesundheitskompetenz ist dabei das entscheiden Schräubchen“, fand Willi Haas ermutigende Schlußworte.

Health for Future Austria

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Podiumsdiskussion health4future
v.li.: Johanna Schauer-Berg, Heinz Fuchsig, Elisabeth Steiner, Gabriele Jaksch, Andrea Stitzel, Elisabeth Potzmann und Willi Haas.
Rudolf Zöchmeister
„Die Vorbereitung auf Ernstfälle wie etwa ein Blackout während einer Hitzewelle ist enorm wichtig, nicht nur die Ärzt:innenschaft sei hier entscheidend, sondern alle Gesundheitsberufe.“ - Heinz Fuchsig.
Offener Brief
Der Offene Brief ging an mehrere zuständigen Ministerien.
Health for future
„In einem Arbeitsumfeld mit ohnehin sehr hoher Belastung verlangen wir zusätzliche Kompetenzen in einer hochkomplexen Thematik." - Andrea Stitzel.