HIV-Stigma brechen

Während die Medizin in den vergangenen 40 Jahren seit der erstmaligen Beschreibung des HI-Virus, große Fortschritte gemacht hat, hinkt das Wissen in der Bevölkerung in Bezug auf Übertragungswege, Risiken, Prävention sowie Therapiemöglichkeiten deutlich hinterher, so der Tenor einer Expertenrunde am Mittwoch in Wien. „Diskriminierung gehört für viele zum Alltag“, schildert Wiltrut Stefanek, HIV-Patientin und Obfrau des Selbsthilfevereins PULSHIV, die immer noch vorherrschende Situation in Österreich.

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Rund 8.000 Menschen leben in Österreich mit einer HIV-Infektion (Dunkelziffer einberechnet, Anm.). Jährlich infizieren sich hierzulande rund 400 Personen neu mit dem HI-Virus. Die heute etablierten Therapien ermöglichen HIV-positiven Menschen ein Leben mit guter Lebensqualität und eine ungefähr dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung entsprechende Lebenserwartung. Doch dieses Wissen ist noch nicht in der Gesamtbevölkerung angekommen.

Diskriminierung im Alltag

„Wir könnten ein normales Leben führen, wenn wir nicht immer noch Ablehnung und Ausgrenzung erfahren würden“, so Stefaneko. Viel zu oft werden Betroffene noch mit veralteten Bildern von HIV konfrontiert. Dies führe oftmals zu Diskriminierung und Stigmatisierung im privaten und beruflichen Alltag einer infizierten Person. Stefaneko betonte zudem, dass HIV und Aids nicht dasselbe sei.

„Neben der medizinischen spielt vor allem die psychische Gesundheit eine wesentliche Rolle“, ergänzt Ingrid Neumeier von der AidsHilfe Oberösterreich im Vorfeld der Diskussion. Besonders die heute 50 -70-Jährigen HIV-positiven Menschen hätten in ihrer Jugend stark mit dem ,Aids-Stigma´ zu kämpfen, viele von ihnen haben dadurch den Familienanschluss, Partner und Freunde verloren. In der dringend benötigten adäquaten Pflege älterer HIV-positiven Menschen gelte es neben Multimorbidität und Mehrfachmedikation auch deren jeweilige spezifische Lebenswelten miteinzubeziehen und einer Vereinsamung entgegenzuwirken.

Dies verschärfe sich oftmals in der Gruppe der älteren HIV-positiven MSM (Männer, die mit Männern Sex haben), da diese vor allem in früheren Jahren noch stärker ausgeprägten Mehrfachstigmatisierung von „HIV-positiv und schwul-sein“ ausgesetzt waren.

Experten betonen niederschwellige Testmöglichkeiten und Therapiezugang

„Wir als Gesellschaft müssen noch lernen mit dieser Krankheit umzugehen“, betont Andreas Huss, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). „Ich trete ganz entschieden gegen das immer noch viel zu große Stigma einer HIV-Infektion ein. HIV ist zwar nicht heilbar, aber heute sehr gut behandelbar. Mit entsprechender Therapie, können HIV-positive Menschen das Virus auf sexuellem Wege nicht mehr weitergeben und haben die gleiche Lebenserwartung, wie alle anderen“, so Huss.

„Nach wie vor sind regelmäßige Tests („know your status“) und frühzeitige Therapie die entscheidenden Faktoren beim Kampf gegen die Epidemie“, ergänzt Andrea Brunner, Geschäftsführerin Aidshilfe Wien. Dies sei auch ein wichtiger Beitrag um die UN-Ziele 95- 95-95 zu erreichen (95 Prozent der Menschen mit HIV wissen von Ihrer Infektion, 95 Prozent davon haben Zugang zur antiretroviralen Therapie, 95 Prozent davon sind unter der HIV- Nachweisbarkeitsgrenze, Anm.).

Medikamentöse Therapien stoppt Übertragung

Bei der Behandlung von HIV sind neben oraler Medikation auch Injektionen zugelassen. Die Therapie sei wirksam und gut verträglich und „Voraussetzung, um die Virusvermehrung dauerhaft zu unterdrücken und damit auch zu verhindern, dass das Virus weitergegeben werden kann“, betont Alexander Zoufaly, Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie und Präsident der Österreichischen Aidsgesellschaft.

Dennoch dürfe die guten Therapiemöglichkeiten und die scheinbar relativ geringe Neuinfektionsrate dürfe nicht zu einem Verdrängen der Krankheit führen, wie die Experten betonen. Auch wenn die langjährige und konsequente Aufklärungsarbeit Früchte trägt, was unter anderem beim Safer-Sex-Verhalten von jungen Menschen sichtbar wird, sei es, so die einhellige Meinung der Diskutanten, nach wie vor notwendig, Aufmerksamkeit zu schaffen — wie beispielsweise anlässlich des Welt-Aids-Tags am, 1. Dezember — und sexuell aktive Menschen anzusprechen und für den HIV-Test zu sensibilisieren.

Aber auch die entsprechende Awareness bei Ärzt:innen gilt es zu stärken. Hellhörig werden sollte man bei sogenannten Indikatorerkrankungen, die mindestens in 0,1 Prozent der Fälle mit einer bislang unerkannten HIV-Erkrankung einhergehen. Zu diesen gehören neben Aids-definierenden Erkrankungen vor allem Krankheiten, die mit einer hohen HIV-Prävalenz assoziiert sind, und Erkrankungen, bei denen eine HIV-Diagnose die Therapie beeinflussen würde. Diese reichten von der seborrhoischen Dermatitis über sexuell übertragbare Infektionen, Herpes zoster bis hin zu uneklärter Leuko- oder Thrombopenie.

Auf Initiative von Gilead Sciences Österreich hat sich im Vorfeld des Welt-Aids-Tags am 1. Dezember 2022 eine Runde aus Experten, Behandleren, (gesundheits)politischen Entscheidungsträgeren sowie Betroffenen mit drei großen Bereichen aus dem Alltag und der Lebensrealität von HIV-infizierten Personen in Österreich auseinandergesetzt. 

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Durch die modernen Therapien haben Menschen mit HIV eine annähernd gleiche Lebenserwartung wie Menschen ohne HIV. Im Bild: Andreas Huss, Andrea Brunner, Wiltrut Stefanek, Amaya Echevarría und Alexander Zoufaly.
Durch die modernen Therapien haben Menschen mit HIV eine annähernd gleiche Lebenserwartung wie Menschen ohne HIV. Im Bild: Andreas Huss, Andrea Brunner, Wiltrut Stefanek, Amaya Echevarría und Alexander Zoufaly.
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