Interview Antibiotika
Interview Antibiotika

„Die Dokumentationspflicht fehlt teilweise völlig!"

Cheng Zhao forscht momentan an der ETH Zürich rund um das Thema Antibiotikaresistenzen bei Nutztieren und wie diese die menschliche Resistenzentwicklung beeinflussen werden. Kürzlich wurde dazu eine interaktive Karte mit globalen Resistenzhotspots publiziert, an der sie maßgeblich beteiligt war. medinlive stand die Wissenschaftlerin Rede und Antwort.

Eva Kaiserseder

medinlive: Wo gibt es derzeit Antibiotikahotspots bei den Gaben für Nutztiere und welche Ursachen gibt es dafür?

Zhao: Als Antibiotikahotspots sind derzeit Süd- und Nordostindien, Nordostchina, Nordpakistan, Iran, Türkei, die Südküste Brasiliens, Ägypten und das Rote Flussdelta in Vietnam identifiziert sowie die Gebiete um Mexiko-Stadt und Johannesburg. Dort gibt es einen immer höheren Verzehr von Fleisch und Milchprodukten. Um die wachsende Nachfrage zu decken, wurde die Tierzucht intensiviert, unter anderem mit einem höheren Einsatz von Antibiotika. Der Einsatz von Antibiotika erfolgt dort mehr oder weniger unreguliert, so können etwa die Bauern selber Antibiotika kaufen und verwenden, um Tierkrankheiten zu behandeln, auch wenn es gar nicht nötig ist. Außerdem ist die Hygiene bei tierischen Lebensmitteln in Schwellen- und Entwicklungsländern weniger gut und die Bauern benutzen Antibiotika regelmäßig als Ersatz dafür. Und zusätzlich werden Antibiotika werden auch dafür verwendet, um den Gewichtszuwachs der Tiere zu erhöhen.

medinlive: Bei welchen Antibiotika gestalten sich die Resistenzen am größten? Und wie haben sich die verwendeten Antibiotika-Mengen entwickelt?

Zhao: Die Resistenzen sind, je nach Tier und Bakterienart, verschieden. Insgesamt wurden die höchsten Resistenzen in den am häufigsten verwendeten Klassen von Antibiotika in der Tierproduktion beobachtet: Tetracycline, Sulfonamide und Penicilline. Für E. coli werden Ampicillin, Amoxicillin und Tetracycline am Häufigsten beim Rind, Tetracycline und Sulphonamide bei Hühnern und Tetracycline bei Schweinen verwendet. Für Salmonella ist die Häufigkeit von Sulphonamiden und Tetracyclinen am größten bei allen drei Tierarten. Für Campylobacter sind Tetracycline, Ciprofloxacin und Nalidixinsäure die Spitzenreiter, ebenfalls bei allen drei Tierarten. Die Penicillingaben sind beim Rind und Schwein auf Platz eins bei Staphylococcus aureus, bei den Hühnern kommen daneben noch  Erythromycin und Tetracycline dazu. Global gab es in der Gesamtheit gesehen 131 109 Tonnen Antibiotika, die 2013 verwendet wurden. Voraussichtlich wird diese Menge bis 2030 200 235 Tonnen erreichen.

medinlive: Wie genau kann man sich den Zusammenhang zwischen dem Auftreten tierischer Antibiotikaresistenzen und der Resistenzentwicklung beim Menschen vorstellen?

Zhao: Zurzeit ist noch kein definitiver Zusammenhang zwischen Antibiotikaresistenzen beim Tier und beim Menschen hergestellt, aber mögliche Zusammenhänge gibt es natürlich. Erstens können Menschen mit resistenten Bakterien in Berührung kommen, während sie mit kontaminiertem Fleisch arbeiten oder Fleisch essen, das nicht durchgekocht ist.  Zweitens könnte das Mikrobiom in unserem Körper genetisches Material mit den resistenten Bakterien austauschen, das über die Nahrung in unseren Körper gekommen ist – damit könnten resistente Gene entstehen. Und drittens können diese resistenten Bakterien in die Umwelt gelangen, etwa ins Wasser, und sich so verbreiten. 

medinlive: Lässt sich eine Prognose abgeben, inwiefern sich diese Zahlen etwa in Afrika, das derzeit noch mit geringen Resistenzen aufwartet, mittelfristig nach oben oder unten verändern könnte?

Zhao: Es ist natürlich immer schwierig, eine Prognose abzugeben. Bestätigen lässt sich ein weiteres Ansteigen der Resistenzraten, wenn sich die Praxis des Antibiotika-Einsatzes nicht ändert. In den letzten 18 Jahren gab es eine 300prozentige Steigerung der Resistenzraten beim Huhn und eine 200prozentige beim Schwein. In Afrika werden die Resistenzraten mit dem schnell steigenden Bedarf nach Fleisch und Milch parallel dazu auch anwachsen, soviel lässt sich sagen.

medinlive: Wie wird die Dokumentationspflicht in Sachen Antibiotikaverwendung momentan global gesehen gehandhabt? In Österreich gibt es ja etwa bei Tieren die Antibiotika-Mengenstrommessung, die von der AGES dokumentiert wird.

Zhao: Weltweit gibt es keine Dokumentationspflicht für den Einsatz von Antibiotika. Was die globalen Institutionen haben, sind nur Empfehlungen. Nach unserem Wissensstand fehlen solche Dokumentationen in den Schwellen- und so genannten Entwicklungsländern völlig.

Fachartikel:

Globale Trends und Hotspots bei Antibiotikaresistenzen

Antibiotikasituation beim Tierfutter

 

 

Cheng Zhao
Cheng Zhao forscht an der ETH Zürich mit Schwerpunkt Resistenzgeschehen bei Antiobiotika.
ETH Zürich
 
© medinlive | 24.04.2024 | Link: https://www.medinlive.at/index.php/wissenschaft/die-dokumentationspflicht-fehlt-teilweise-voellig