Gastkommentar
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Arzneimittel: „Kurzfristige Engpässe sind zum Dauerzustand geworden!"

Österreich, ein Land im Herzen Europas, anno 2020. Mehrere hundert Medikamente können wir Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner nicht verschreiben. Und zwar nicht, weil die Krankenkassen uns (wie seit gefühlten Ewigkeiten) daran zu hindern versuchen, teure Originalmedikamente zu verschreiben, sondern weil sie schlicht nicht lieferbar sind.

Yvetta Zakarian

Seit über einem Jahr bekomme ich die Rückmeldung von Apotheken, dass bestimmte Medikamente nicht ausgegeben werden können, weil die Apotheken Lieferengpässe haben. Diese kurzfristigen Engpässe wurden mittlerweile zum Dauerzustand prolongiert.

Dabei wurden je nach Quelle, Motivation und Sichtweise unterschiedliche Ursachen für diesen Zustand festgemacht. Und es kristallisierten sich einige Gründe heraus, die aus Sicht einer Allgemeinmedizinerin teilweise wichtig und teilweise absurd erscheinen.

So werden etwa neben den betriebswirtschaftlichen und technischen Schwierigkeiten, welche die Produktion eines bestimmten Medikaments für eine absehbare Zeit verhindern, auch die Exporte ins benachbarte Ausland als Ursache des Mangels genannt. Da in Deutschland manche Medikamente höher gepreist sind als in Österreich, finden sie ihren Weg in den deutschen Markt.

Ein weiterer Grund für den Mangel an Medikamenten sind Krankheitswellen, in dessen Zentrum wir Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner uns naturgemäß befinden. Wenn zum Beispiel eine Grippewelle oder ähnliche saisonale Beschwerden lokal epidemische Ausmaße nehmen, gehen manche Arzneimittel aus verständlichen Gründen kurzfristig aus.

In der aktuellen Situation mit Seltenheitswert stehen wir behandelnden Ärztinnen und Ärzte nun aber vor der erschwerten Situation, dass wir die Patienten entweder auf einen weniger effektiven oder sogar auf einen ganz anderen, alternativen Wirkstoff bzw. Wirkstoffe umstellen müssen. Wir sind hier durchaus bereit und qualifiziert, passende – wenn auch nicht immer ideale – Alternativen für die Patienten zu finden.

Allerdings entstehen dadurch mehrere Probleme:

  • Das eine Problem ist die zeitaufwendige Aufklärung des Patienten. Beim vorherrschenden Zeitmangel im Ordinationsbetrieb und bei den finanziellen Restriktionen, durch die wir sehr enge Zeitfenster für die Patienten aufbringen können, nimmt die Aufklärung des Patienten einen betriebswirtschaftlich eigentlich nicht zu rechtfertigenden Raum ein. Dies hindert mich und meine Kolleginnen und Kollegen aber nicht daran, uns die notwendige Zeit zu nehmen, diese erforderliche Aufklärung vorzunehmen, alle Bedenken zu zerstreuen und die Erfordernisse für einen „Umstieg“ zu erklären.
  • Nicht selten müssen dann, verbunden mit der geforderten Umstellung, umfangreiche und kostspielige Untersuchungen vorgenommen werden. 
  • Ein weiteres, schwerwiegenderes Problem ist jedoch in weiterer Folge die Resonanz der Umstellung bei den Patientinnen und Patienten, die nicht eingeschätzt werden kann. Denn viele lassen sich die neuen Medikamente zwar verschreiben, holen sie aber von der Apotheke nicht mehr ab, in der Hoffnung, dass die Originale bald wieder verfügbar sein werden. Oder sie nehmen sie nicht ein bzw. nicht mehr mit der erforderlichen Disziplin. Mit fatalen Folgen.
  • Aus meiner Sicht sehr bedenklich ist außerdem die Situation, wenn die Patientinnen und Patienten die neu empfohlene Medikation zwar im erforderlichen Maß und diszipliniert einnehmen, aber der zu erwartende Effekt aus unterschiedlichen Gründen nicht einsetzt.

 

Letztendlich bleiben die Patientinnen und Patienten in diese Situation das schwächste Glied und müssen am meisten darunter leiden, da es um nichts Geringeres als ihre Gesundheit geht und ihr Wohlergehen auf dem Spiel steht. Moralisch unerklärlich bleibt es für mich, dass den Menschen, die ihren Anteil in Vorleistung gebracht haben, die bestmögliche ärztliche Betreuung, in dem Fall medikamentös, versagt bleibt.

 

Yvetta Zakarian
Yvetta Zakarian ist Allgemeinmedizinerin in Wien.
Ärztekammer für Wien_Stefan Seelig
 
© medinlive | 20.04.2024 | Link: https://www.medinlive.at/index.php/gesundheitspolitik/arzneimittel-kurzfristige-engpaesse-sind-zum-dauerzustand-geworden