Das Stresshormon Kortisol ist im menschlichen Körper an lebenswichtigen Vorgängen beteiligt. Bei psychischer Belastung, aber auch bei psychiatrischen Erkrankungen, wird es verstärkt ausgeschüttet und dabei unter anderem in den Haaren gespeichert. Studien haben bereits gezeigt, dass Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, einen erhöhten Kortisolspiegel im Haar aufweisen können.
Die Forschungsgruppe um Alexander Karabatsiakis vom Institut für Psychologie der Universität Innsbruck verglich diese Daten nun auch mit Haarproben von Personen, die durch Suizid gestorben sind. Hierbei wurden stark erhöhte Kortisolspiegel im Vergleich zu Personen mit und ohne Depressionen nachgewiesen. Diese erste Beobachtung könnte neue Impulse im Bereich der Depressionsforschung, aber auch der Suizidprävention setzen,da Suizidalität besonders bei Menschen mit Depressionen eine sehr ernstzunehmende Komplikation darstellen kann. Die Ergebnisse der Studie wurden im EPMA Journal für prädiktive, präventive und personalisierte Medizin veröffentlicht.
Biomarker-Forschung als Ansatz für Prävention
„Unsere Biomarker-Forschung untersucht, wie psychische Belastungen und psychiatrische Erkrankungen an körperliche und psychosomatische Komplikationen gekoppelt sind“, sagt Karabatsiakis. Diese interdisziplinäre Forschung wird auch mit Wissenschaftern aus unterschiedlichen Fachbereichen am Wissenschaftsstandort Innsbruck intensiv betrieben. „Einer der aktuellen Ansatzpunkte ist die Bestimmung von Haarkortisol, das sich über längere Zeit nachweisen lässt. Unsere neuen Beobachtungen dazu könnten für die Prävention von psychischen Erkrankungen nach Stressbelastungen und deren langfristigen Konsequenzen, auch für die körperliche Gesundheit, sehr hilfreich sein.“
Gesundheitliches Monitoring über eine Haarprobe ist ein nicht-invasiver und kaum belastender Vorgang, der auch in Ordinationen oder in anderen Betreuungsmodellen durchgeführt werden könnte. „Wenn zum Beispiel Hausärzt:innen messen könnten, dass sich ein hormonelles Stresspotenzial im Körper abzeichnet, könnte man eventuell auch bei psychisch stark belasteten Personen ein potenzielles Suizidrisiko erkennen und den medizinischen Fokus auf die Person entsprechend intensivieren, auch wenn Patient:Innen selbst keine Beschwerden berichten. Im Sinne der Prävention wäre damit schon sehr viel gewonnen, denn jeder Mensch zählt“, sagt Karabatsiakis.
Kortisolspiegel steigt mit Schwere der Depression
Die Studie erweitert damit die biologische Perspektive auf psychische Erkrankungen. „Der Kortisolspiegel im Haar steigt mit der subjektiv empfundenen Schwere der depressiven Symptome“, erklärt Karabatsiakis. „Je länger man sich zudem depressiv fühlt, desto aktiver ist wohl also auch die Stressantwort unseres Körpers. Allerdings braucht es für die individuelle Einschätzung von Belastung und Risiko noch weitere Forschung und Erfahrungswerte, da wir in dieser ersten Studie eine relativ kleine Anzahl an Personen untersucht haben“, so Karabatsiakis.
Zur Durchführung der Studie wurden, nach Genehmigung durch die zuständige Ethikkommission, auch Haarproben aus der Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover genutzt. Aus ethischen Gründen war über die Haarproben von Personen mit Suizidhintergrund nichts weiter bekannt als Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index und dass eine Fremdeinwirkung als Todesursache ausgeschlossen werden konnte.
„Eine Weiterführung ähnlicher Studien, die das Präventionspotential von Haarkortisol untersuchen, sowie vermehrte Forschung zum Thema Suizidalität, Suizidprävention und deren biologischen Mechanismen sind zwingend erforderlich und dringlicher denn je“, so Karabatsiakis.