Medizinhistorische Streifzüge – Folge 7

Der Sitz der Ärztekammer

Wer waren die früheren Besitzer des Hauses Weihburggasse 10-12, wo kann man noch Hinweise auf die wechselvolle Geschichte des Hauses entdecken und welchen Bezug gibt es zum ersten schriftlich belegten Kaiserschnitt an einer lebenden Frau? Regelmäßig begibt sich Hans-Peter Petutschnig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin. Dabei gibt es viel zu entdecken, längst Vergangenes, mitunter Skurriles, Schockierendes oder auch Prägendes, oft gut verborgen unter baulichen Veränderungen der letzten Jahrhunderte. In dieser Folge: Die wechselvolle Geschichte des Ärztekammer-Hauses.

Hans-Peter Petutschnig

In seiner jetzigen Form wurde das Haus an der heutigen Adresse Weihburggasse 10-12 im Zentrum Wiens 1911 nach Plänen des Architekten Guido Gröger anstelle von drei älteren Gebäuden errichtet. Hier befindet sich seit 1956 der Sitz sowohl der Österreichischen Ärztekammer als auch der Ärztekammer für Wien.

Ärztekammer für Wien
Im Haus an der heutigen Adresse Weihburggasse 10-12 im Zentrum Wiens befindet sich seit 1956 der Sitz sowohl der Österreichischen Ärztekammer als auch der Ärztekammer für Wien.

© Stefan Seelig

 

Die Geschichte des Hauses reicht allerdings bis tief ins Mittelalter zurück: Bereits 1385 wurde das Haus erstmals urkundlich erwähnt. Wahrscheinlich um 1411 wird es dann von Dr. Hebreinstorf, genannt „Niclas, der Bucharzt“, erworben. An ihn erinnert eine im Foyer des Hauses angebrachte Gedenktafel in historisierenden Jugendstilformen: „Auf diesem Platz standen um 1200 n.Chr. die Häuser Nr. 922, 923 und 924. Nr. 924 gehörte Dr. Hebreinstorf, genannt ‚Niclas, der Bucharzt‘, der das Haus und seine Bibliothek 1419 der medizinischen Fakultät vermachte. Durch 106 Jahre kamen ‚die Medicin ihrem eygen Haus zusammen, um ihre Sachen abzuhandeln‘. 1525 sind alle drei Häuser ‚verprunnen und verdorben‘. Wiederaufbau im Barock als Nr. 10, 10A und 12. 1531 erhielt das Haus Nr. 10 den Schildnamen ‚Zum gelben Adler‘. 1911 errichtete Baumeister Guido Gröger an Stelle der drei Barockhäuser das große Haus Nr. 10-12 im Jugendstil. Seit 1956 aufgrund des österreichischen Staatsvertrages Eigentum der Ärztekammer für Wien. Renoviert 1979-1984.“

Gedenktafel Niclas der Bucharzt
Die im Foyer des Hauses Weihburggasse 10-12 angebrachte Gedenktafel erinnert an Dr. Hebreinstorf, genannt „Niclas, der Bucharzt“, der das Haus wahrscheinlich um 1440 erwarb.

© Alexander Tanasic

 

Hebreinstorf starb 1419. Er vererbte das Haus mitsamt seiner umfangreichen Bibliothek der Wiener Medizinischen Fakultät. Diese aber wollte – wohl auch aufgrund der Distanz zum damaligen Universitätsgebäude an der Stelle des heutigen Churhauses (heute Stephansplatz 3) – die Immobilie rasch wieder verkaufen, was zu mehreren Besitzerwechseln führte – wobei auch berühmte Ärzte darunter waren, wie etwa Johannes Tichtel, der zwischen 1482 und 1498 zehnmal Dekan der Medizinischen Fakultät gewesen war, oder Mathias Cornax, der in die Medizingeschichte aufgrund einer Laparotomie eingegangen ist: „Ein seltzam warhaftig geschicht, von einer Mitbürgerin zu wienn, welche bey vier jaren ein todt Kind im leib tragen, das nachmals 1549. jar den 10. Novembris von ir durch den leib geschnitten worden.“  Es ist dies der erste schriftlich belegte Kaiserschnitt an einer lebenden Frau.

Durchgeführt wurde die Operation laut Quellen von mehreren Personen. Genannt wird insbesondere der Stadtchirurg Paul Dirlewang, weiters anwesend waren der Kaiserliche Rat und Leibarzt Johann Entzianer, der Stadtchirurg Peter Winckler sowie der Hofchirurg Sixtus Wirt. Der Eingriff erfolgte unter der Anleitung von Cornax. Bei der Patientin, Margarete Wolczer, kam es, vermutlich durch ein Geburtshindernis, zum intrauterinen Fruchttod. Wolczer überlebte den Eingriff und wurde danach ein weiteres Mal schwanger.

Zurück zum Gebäude: Das zunächst als Wohn- und Geschäftshaus errichtete Haus beherbergte eine Vielzahl unterschiedlicher Mieter. Bereits im Plan von 1911 waren im damaligen zweiten Stock (welcher dem heutigen fünften Geschoß entspricht) eine Direktionskanzlei, Unterrichtsräume und Lehrmittelzimmer vorgesehen gewesen, woraus sich schließen lässt, dass schon während der Errichtung der Einzug einer Schule vorgesehen war. Tatsächlich war die „Mädchen Lehr- und Erziehungsanstalt Hanausek-Stonner“ hier bis in die späten 1930er-Jahre angesiedelt. In der Erdgeschoßzone waren neben verschiedenen Geschäften wie der Stadtrestenmesse (Inhaber J. Grün) zunächst zwei Kaffeehäuser untergebracht: das „Piccadilly“ sowie das von Karoline Adler betriebene „Kaiser Wilhelm“. Um 1926 wurde das links des Eingangs befindliche Lokal dann von der „Kasinoküche der Studienfürsorge und der geistigen Arbeiter“ genutzt. 

Aus den wechselnden Namen der Lokale werden die zahlreichen politischen Veränderungen jener Jahre ersichtlich: Nachdem es Anfang der 1930er-Jahre den unverfänglichen Namen „Weihburg“ getragen hatte, hieß das Lokal 1941 dann „Atlantik“. Unter den wechselnden Mietern fanden sich aber auch ein Postkartenverlag, eine Rechtsanwaltskanzlei mit angeschlossener Wohnung, der Internationale Konversationsclub „Polyglott“ sowie mehrere Bügelanstalten. Der Großteil des Gebäudes war jedoch als Wohnungen vermietet, und erst in den 1940er-Jahren überwogen dann die verschiedenen ärztlichen und medizinischen Einrichtungen: Zunächst hat es die „Wirtschaftliche Organisation der Ärzte Wiens“ erworben, die es aufgrund einer Widmung aber bereits 1934 der „Alterswohlfahrtsstiftung der Wiener Ärzte“ überlassen musste. 1939 übernahm die Reichsärztekammer München das Gebäude. Nach einem Rückstellungsverfahren befindet es sich seit 1956 wieder im Besitz der Ärztekammer für Wien.

Das 1979 bis ins kleinste Detail stilgerecht renovierte Haus zählt zu den schönsten Jugendstilgebäuden der Innenstadt.

Hans-Peter Petutschnig ist seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich. Er ist zudem stellvertretender Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien und organisiert zahlreiche kulturelle Veranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte. Zusammen mit der staatlich geprüften Wiener Fremdenführerin sowie Kunst- und Kulturvermittlerin Bibiane Krapfenbauer-Horsky hat er das Buch „Auf den Spuren der alten Heilkunst in Wien – Medizinische Spaziergänge durch die Stadt“ verfasst.

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Stefan Seelig
Die Geschichte des Hauses reicht bis tief ins Mittelalter zurück: Bereits 1385 wurde das Haus erstmals urkundlich erwähnt.