Im Fachjournal „Nature“ führt nun ein Forscherteam mit österreichischer Beteiligung diese Nachweise auf Kontaminationen zurück und zeigt sich überzeugt, dass kein „fetales Mikrobiom“ existiert.
Die Plazenta versorgt das heranwachsende Kind nicht nur mit lebensnotwendigen Stoffen, sondern schützt es als Barriere auch vor Infektionen. Daher ging die Wissenschaft bis vor kurzem davon aus, dass der Mutterkuchen ebenso wie Embryo bzw. Fötus, die Gebärmutter und das Fruchtwasser steril sind - zumindest, solange es keine Infektion des Gewebes gibt, das den Fötus umgibt (intraamniotische Infektion). Den ersten Kontakt mit Bakterien bekommt das Kind demnach erst bei der Geburt im Geburtskanal.
Doch seit einigen Jahren wurden mehrere Studien veröffentlicht, die auf das Vorkommen von Bakterien in der Plazenta, dem Fruchtwasser und dem ersten Stuhl eines Neugeborenen (Mekonium) hindeuteten. Daher wurde diskutiert, ob die Basis des Mikrobioms - die Gemeinschaft von Mikroorganismen, die Darm, Schleimhäute und Haut des Menschen besiedeln - nicht doch schon vor der Geburt gelegt wird.
Nachgewiesene Bakterien in Plazenta- und Fruchtwasser-Proben auf Verunreinigungen zurückgeführt
Rund 50 Expertinnen und Experten aus den Bereichen Reproduktionsbiologie, Mikrobiomforschung und Immunologie um Jens Walter vom University College Cork (Irland) haben für die nun veröffentlichte Arbeit diese kontrovers diskutierten Studien analysiert. Das Team, dem auch Thomas Rattei vom Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien angehörte, kam dabei zum Schluss, dass es in den Studien zu einer Verunreinigung der Proben gekommen sein muss, etwa bei der vaginalen Entbindung, bei klinischen Verfahren oder bei den Laboranalysen.
Den Forschern ist bewusst, dass ihre Position im Widerspruch zu Dutzenden von Veröffentlichungen stehe, aber alles spreche „stark für die Hypothese der 'sterilen Gebärmutter'“, schreiben sie in ihrer Arbeit. Es sei zwar unmöglich, das gelegentliche Vorhandensein lebender Mikroorganismen in einem gesunden menschlichen Fötus zu widerlegen, doch die verfügbaren Daten sprechen nicht für eine stabile, umfangreiche Besiedlung mit Mikroorganismen unter normalen, nicht-pathogenen Umständen. „Das Wissen, dass sich der Fötus in einer sterilen Umgebung befindet, bestätigt, dass die Besiedlung mit Bakterien während der Geburt und in der frühen postnatalen Phase stattfindet“, wird Walter in einer Aussendung der Uni Wien zitiert.
Rattei verweist auf die „spezielle Problematik“ solcher Analysen, die „in den sehr kleinen Konzentrationen der anwesenden Bakterien“ liege. „Daher müssen auch in Spuren vorhandene Spezies sicher erkannt und von Kontaminationen unterschieden werden“, so der Wissenschafter. Weil die Frage, wann und wie sich das Mikrobiom des Menschen nach der Geburt entwickelt, einen bleibenden Einfluss auf das spätere Leben und die Gesundheit hat, müssten Studien in diesem Bereich für ein gutes wissenschaftliches Verständnis international vergleichbar durchgeführt werden. „Dazu trägt diese Publikation bei“, so Rattei. Denn die Experten geben darin Hinweise, wie man in Zukunft bei Gewebeanalysen, in denen keine oder nur geringe Mengen an Mikroben zu erwarten sind, Kontaminationsfalle vermeiden kann.
Sie ermutigen gleichzeitig zu weiteren Studien. So sollte etwa geklärt werden, wie ein Fötus immunologisch auf das Leben in der nach der Geburt vorherrschenden mikrobiellen Welt vorbereitet wird, wenn er keinen direkten Kontakt mit lebenden Mikroorganismen hat, und ob mütterliche mikrobielle Stoffwechselprodukte für die Immunbildung des Fötus ausreichen.