In ihren präklinischen Experimenten erkannte das wissenschaftliche Team unter der Leitung von Harald Sitte vom Institut für Pharmakologie des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie der MedUni Wien das Potenzial bestimmter Substanzen aus der Familie der synthetischen Cathinon-Verbindungen für die Behandlung von psychischen Erkrankungen. Cathinone leiten sich von dem in der Khat-Pflanze vorkommenden Cathin ab. „Diese Stoffe zeigten zunächst in unseren Zellmodellen und dann auch in unserem Tiermodell Effekte, die mit Serotonin assoziiert sind“, bringt Harald Sitte jenen Botenstoff ins Spiel, der bei der medikamentösen Therapie von Depressionen und Angststörungen wie sozialen Phobien oder posttraumatischen Belastungsstörungen als wesentlicher Faktor gilt.
Die eingesetzten Cathinon-Verbindungen fielen den Wissenschafter:innen im Rahmen der Studie durch ihre Vorliebe für die Freisetzung von Serotonin auf, ohne dadurch den Dopaminspiegel im „Belohnungszentrum“ des Gehirns wesentlich zu erhöhen. „Daraus resultiert, dass die von uns neu erforschten Wirkstoffe weniger anfällig für Missbrauch und Abhängigkeit machen, aber auch insgesamt weniger unerwünschte Wirkungen mit sich bringen“, betont Harald Sitte.
Freisetzung von Serotonin mit geringerem Risiko
Psychische Erkrankungen wie Depression und angstbedingte Störungen können durch die Erhöhung des extrazellulären Serotoninspiegels im Gehirn gelindert werden. Dies wird in der Regel durch Substanzen erzielt, die der Gruppe der Antidepressiva zuzurechnen sind. Die Wirkweise der sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) beruht auf der Blockade der Wiederaufnahme von Serotonin aus dem Nervenzwischenraum (synaptischer Spalt), was die Menge an Serotonin im extrazellulären Raum erhöht. Dabei hemmen die Antidepressiva den Serotonintransporter. Jüngste Erkenntnisse aus präklinischen und klinischen Studien belegen überdies das Potenzial von Arzneimitteln, die die Freisetzung von Serotonin über den Serotonintransporter hervorrufen. Allerdings bergen die derzeit in der klinischen Prüfung befindlichen Serotonin-freisetzenden Wirkstoffe das Risiko für Missbrauch und schädliche Nebenwirkungen – wie etwa MDMA, auch „Ecstasy“ genannt, welches in nichtklinischen Settings als „Partydroge“ konsumiert wird.
„Unsere Untersuchungen zeigen die ersten Vertreter einer neuen Serotonin-freisetzenden Wirkstoffklasse, bei der verschiedene unerwünschte Effekte ausgeschlossen werden können“, fasst Studienleiter Harald Sitte die Ergebnisse der Studie zusammen, die von den Erstautoren Felix Mayer (Florida Atlantic University) und Marco Niello (Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der MedUni Wien) in Kooperation mit der TU Wien, der Florida Atlantic University, der Peking University und dem National Institute of Drug Abuse in Baltimore durchgeführt wurde.