Corona-Pandemie

Altersarmut in Pandemie „zu wenig beachtet“

Rund 326.000 Österreicher im Alter von 60 Jahre und älter galten 2021 als armutsgefährdet. Eine Studie lieferte nun Hinweise, dass Altersarmut mit Benachteiligungen während der Pandemie assoziiert war, auch wenn die Unterschiede zu jener Gruppe, die nicht von Armut betroffen waren, teilweise weniger stark ausgeprägt waren als vermutet. Für Studienautor Lukas Richter ist Altersarmut ein in Pandemie sowie gesellschaftlich „zu wenig beachtetes Phänomen“.

red/Agenturen

Die empirische Studie von Richter von der Fachhochschule (FH) St. Pölten und Theresa Heidinger von der Karl Landsteiner Privatuniversität in Krems erschien im Open-Access-Journal „Frontiers in Public Health“. Darin verglich das Team die Situation von unter der Armutsschwellengrenze lebenden älteren Menschen (60 Jahre plus) mit nicht als arm geltenden älteren Personen in Österreich. Man nutzte Daten aus europäischen SHARE-Corona-Befragungen vom Sommer 2020 und 2021 sowie Winter 2020. Die Stichprobe umfasste 1.862 Personen, von denen 18,1 Prozent als einkommensarm eingestuft wurden und etwa zehn Prozent angaben, "zumindest gewisse Schwierigkeiten zu haben, über die Runden zu kommen", heißt es in der Studie, die nun beim Forschungsforum der Österreichischen Fachhochschulen in St. Pölten vorgestellt wird.

„Altersarmut geht unter die Haut“

Es sei hinlänglich bekannt und belegt, „dass Altersarmut unter die Haut geht“, so Sozialwissenschafter Richter. Betroffene würden nicht nur häufiger als nicht betroffene Personen ihren eigenen Gesundheitszustand als schlecht beschreiben. Untersuchungen z. B. zur Verbreitung chronischer Erkrankungen und Lebenserwartung hätten auch gezeigt, dass Altersarmut tatsächlich zu schlechterer Gesundheit führen kann und umgekehrt.

In der aktuellen Studie ergab der Vergleich der von Altersarmut Betroffenen und Nicht-Betroffenen, dass zwar die Gefahr, die von Covid-19 ausging, als ähnlich wahrgenommen wurde. „Die Nutzung der Covid-19-Tests offenbarte aber signifikante Unterschiede.“ Bei von Altersarmut betroffenen Menschen war die Wahrscheinlichkeit, bis Sommer 2021 nie einen Test genutzt zu haben, fast doppelt so hoch wie bei jenen Menschen, die nicht als arm gelten (12 gegenüber 6,6 Prozent).

Die kostenlose Impfung gegen Covid-19, die in Österreich im Dezember 2020 möglich wurde, sahen zunächst mehr ältere Menschen in Armut skeptisch: Sie gaben im Winter des Jahres „deutlich häufiger“ an, nicht impfbereit zu sein (34,7 vs. 19,9 Prozent bei nicht-armen Personen) oder unsicher zu sein, sich gegen das Virus impfen zu lassen. Im Sommer 2021 waren aber die meisten Personen bereits geimpft, „auch wenn es im Sommer 2021 nach wie vor einen größeren Block von Personen unter den armutsgefährdeten älteren Menschen gab, die skeptisch waren oder sich nicht haben impfen lassen“, so der Sozialwissenschafter.

Ältere Menschen sind heterogene Gruppe

Maßnahmen wie etwa das Tragen von Masken seien aber in gleichem Maße von beiden Gruppen befolgt worden. Auch die Einschränkungen im Gesundheitssystem, etwa verschobene Operationen, hätten beide Gruppen gleichermaßen betroffen. „Ältere Menschen unterhalb der Armutsgrenze waren jedoch deutlich häufiger auf soziale Unterstützung angewiesen, um sich während der Pandemie mit dem Nötigsten zu versorgen“, so Richter. Auch habe sich gezeigt, dass die zunehmende Digitalisierung für die Personengruppe eine Zugangshürde, beispielsweise zu Serviceleistungen, darstellt: „Sie nutzten seltener das Internet.“

Hingegen gab es keine Unterschiede zwischen den Gruppen in der Wahrnehmung von Covid-19 als potenzielle Gefahr: Als Begründung nennt Richter, dass von Beginn an „kommunikativ ältere Menschen eher generell als Risikogruppe angesprochen wurden, d. h. ältere Menschen haben sich angesprochen gefühlt, gleich ob sie ärmer oder reicher waren, gesünder oder kränker“. Dabei werde aber übersehen, dass ältere Menschen eine sehr heterogene Gruppe bilden.

Dass sich ältere Menschen in Armut nach eigenen Angaben bis zum Sommer 2021 deutlich seltener testen ließen, könnte laut Studie „ein Artefakt aus der Anfangszeit der Pandemie sein, als Tests schwerer zugänglich und oft kostspielig waren“.

„Obwohl die von Altersarmut betroffenen Menschen zu Beginn der Pandemie noch als besonders gefährdete Personengruppe gegolten haben, ist ihnen im weiteren Verlauf wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden“, so Richter. Dass für ältere Menschen in Armut alles, was Geld kostet, etwa der Zugang zu Tests oder Desinfektionsmittel, eine potenzielle Benachteiligung darstellt, ist wenig überraschend. Aber ob die erhobenen Unterschiede auf anhaltende Zugangsbarrieren für ältere Menschen in Armut zurückzuführen sind, muss laut dem Forscher noch genauer untersucht werden.

„Braucht breitere Auseinandersetzung“

Das Team nutzte in der aktuellen Studie Befragungsergebnisse von Personen im Alter von 60 Jahren und älter, um das durchschnittliche Pensionsantrittsalter in Österreich zu berücksichtigen. Laut Eurostat/EU-SILC-Erhebungen galten 326.000 Personen (14,5 Prozent) in Österreich in dieser Altersgruppe als armutsgefährdet. Ob Altersarmut in der Pandemie vielleicht sogar zugenommen hat, lässt sich laut Richter aus den bisher zur Verfügung stehenden Daten noch nicht aussagekräftig ableiten. Zahlen zur Armutsgefährdung in Österreich aus 2022 sind noch nicht abrufbar.

„Es braucht eine breitere Auseinandersetzung mit dem Thema“, so Richter, nicht zuletzt in Zeiten von Energiekrise und Inflation. Aber auch die Pandemie sei aus sozialwissenschaftlicher Perspektive noch nicht vorbei.

Studie

 

WEITERLESEN:
Armutskonferenz fordert Verbesserungen
Mensch Hand Alt
In der aktuellen Studie ergab der Vergleich der von Altersarmut Betroffenen und Nicht-Betroffenen, dass zwar die Gefahr, die von Covid-19 ausging, als ähnlich wahrgenommen wurde. Tests etwa wurden aber anfangs weniger genutzt-
pixabay