Biologie

Mechanik der Embryo-Entwicklung sichtbar gemacht

In der Embryo-Entwicklung spielen nicht nur Gene, Stoffwechselwege und biologische Signale eine Rolle, sondern auch die mechanischen Eigenschaften von Zellen und Geweben. Mit einem „Brillouin-Mikroskop“, das Wechselwirkungen zwischen Materieschwingungen und Licht sichtbar macht, kann der österreichische Biophysiker Robert Prevedel diese Eigenschaften wie Viskosität und Elastizität visualisieren. Im Fachblatt „Nature Methods“ stellte er nun die von ihm entwickelte Technik vor.

red/Agenturen

Vor 101 Jahren erkannte der französisch-amerikanische Physiker Léon Brillouin, dass Licht von Materialien unterschiedlich gestreut wird, je nachdem, wie elastisch und viskos sie sind. Denn die Lichtteilchen (Photonen) wechselwirken beim Auftreffen mit Materieschwingungen, die von den mechanischen Eigenschaften des Materials bestimmt werden.

Robert Prevedel, der am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg forscht, nutzt das Phänomen der Brillouin-Streuung, um die physikalischen Eigenschaften des Gewebes in Embryonen verschiedenster Tiere dreidimensional zu visualisieren. „Man kann damit mechanische Eigenschaften mit Tausendstel Millimeter Genauigkeit im Embryo messen, während er sich entwickelt“, erklärte er.

„Wir denken bei Zellen und Geweben oft nur an deren biologische Eigenschaften“, sagte Prevedel und nennt in einer Aussendung als Beispiele, welche Gene aktiv sind oder welche chemischen Signale unterwegs sind. Eine Zelle oder ein Gewebe habe aber zudem ein „reichhaltiges mechanisches Eigenleben“.

Biologische Objekte ohne invasive Behelligung

Die physikalischen Kräfte, denen Zellen ausgesetzt sind, und ihre eigenen Materialeigenschaften spielen eine entscheidende Rolle bei sehr unterschiedlichen Prozessen wie der Embryonalentwicklung und der Entstehung von Krankheiten wie Krebs, so der Forscher: „Zwei dieser Eigenschaften sind die Viskosität und die Elastizität.“ Die Viskosität ist ein Maß dafür, wie leicht eine Substanz fließt, die Elastizität dafür, wie schnell ein verformter Gegenstand in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehrt.

Diese beiden Eigenschaften hat man bisher meist durch Einführen von Sonden oder „anstupsen“ ermittelt, wobei das untersuchte Gewebe oft Schaden erleidet. Mittels Brillouin-Mikroskopie könne man die physikalischen Eigenschaften von biologischen Objekte nun „beobachten“, ohne sie zu mit invasiven Methoden zu behelligen.

Das funktionierte bisher nur mit Einschränkungen: Erstens konnte man die physikalischen Eigenschaften nur Punkt für Punkt bestimmen, zweitens schädigte die nötige lange Lichteinstrahlung teils das Untersuchungsobjekt oder veränderte seine Eigenschaften.

Prevedel und Kollegen stellten nun die „Linien scannende Brillouin Mikroskopie (LSBM)“ vor, bei der jeweils nicht nur ein Punkt, sondern eine ganze Linie erfasst wird. Zudem kann durch Verwendung von Infrarotlicht und eine optimierte optische Geometrie das Risiko für Gewebeschädigungen verringert sowie die Signalstärke im Vergleich zum Hintergrundrauschen angehoben werden, berichten die Forscher. Das System ist mit einem klassischen Lichtmikroskop kombinierbar, das heißt, man kann die optischen und mechanischen Bilder einfach übereinanderlegen.

„Wissenschaftsgeschichte des Jahres 2022“

Die Wissenschafter haben die neuen Technologie erfolgreich bei drei Tierarten von „komplett anderen evolutionären Ästen“ angewendet: Nämlich bei Fruchtfliegen, Mäusen und einer Seescheide (Phallusia mammillata). „Bei all diesen Arten ermöglichte die neue Mikroskopiemethode, die Dynamik mechanischer Veränderungen in sich entwickelnden Embryonen dreidimensional und über einen Zeitraum von vielen Stunden zu verfolgen“, berichten sie.

Eine erste Version der Technik, die Prevedel und Kollegen schon im April des Vorjahres veröffentlicht haben, wurde von der britischen Tageszeitung „The Guardian“ als eine der „10 größten Wissenschaftsgeschichten des Jahres 2022“ erkoren.

„In Zukunft versuchen wir die Methode nochmals schneller und genauer zu machen“, so Prevedel: „Außerdem untersuchen wir nun systematisch, welche Zell- und Gewebekomponenten zu den mechanischen Eigenschaften beitragen, und was diese Eigenschaften zum Beispiel in der Fruchtfliege zur Embryonalentwicklung beisteuern.“

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