Viktor Frankl

Mediziner:innen auf Sinnsuche

Am 26. März vor 118 Jahren ist der weltberühmte Psychiater und Psychotherapeut, der „Vater der Logotherapie“, in Wien geboren. Seine Lehren sind zeitlos und besonders für Mediziner:innen relevant. Denn der Berufsalltag birgt eine Reihe von herausfordernden Situationen, die oftmals perspektivlos erscheinen. Die Denkansätze aus der Lehre Viktor Frankls können ein Weg sein, diese zu bewältigen.

Claudia Tschabuschnig

Die Grundthese des österreichischen Neurologen und Psychiaters Viktor Frankl (1905-1997) ist gemeinhin bekannt: Der Mensch braucht einen Sinn, für den er lebt. Einen Sinn zu haben treibt den Menschen an, gibt ihm Kraft, Opfer für eine Sache oder Person zu bringen. Zudem wird die Leidensfähigkeit und Frustrationstoleranz gestärkt. Sich am Sinn zu orientieren muss dabei nicht zwingend angenehm sein. Glück, etwa in Form von Anerkennung oder Geld, ist laut Frankls Theorie nur ein Nebeneffekt. Strebt man daher nur Glück an, ohne gleichzeitig nach Sinn zu suchen, besteht die Gefahr, den Halt und die Kraft zu verlieren.

Am Viktor Frankl Zentrum in Wien werden die Lehren des Psychiaters in die Praxis überführt. Ärzt:innen sie hierfür eine beliebte Zielgruppe. In Workshops werden etwa unter Mediziner:innen belastende Situationen identifiziert und versucht diese mit mit Frankls Theorien zu verknüpfen. Besonderen Stellenwert in Frankls Lehre hat die Entscheidungsfähigkeit. Überall wo es Wahlmöglichkeiten gibt, kann man entscheiden – durch aktives Verändern oder passives Erdulden. In ihrer Entscheidungsfähigkeit herabgesetzt sind Menschen, die unter Demenz, Schizophrenie oder endogener Depression leiden.

Angewandt auf ein häufiges Problem für Mediziner:innen, nämlich die Überlastung, könnte die Frage sein: Welche theoretischen Möglichkeiten habe ich, daran etwas zu ändern? Hierbei kann man großzügig die Möglichkeiten durchdenken und dann überlegen: Welche davon sind realistisch? Was ist das Beste für mich und mein Umfeld? Ein Beispiel hierfür könnte die Ausbildungszeit an und die jahrelange Belastung durch viele Bereitschaftsdienste im Spital. Nachdem ein Wechsel nicht denkbar und eine Änderung der Situation nicht möglich war, könne man auf anderem Weg versuchen das Beste daraus zu machen, Freunde etwa in der Nähe des Krankenhauses zu treffen oder wann immer es möglich war, zwischendurch ausreichend zu schlafen.

Logotherapie von Viktor Frankl

„Ganz Mensch ist der Mensch eigentlich nur dort, wo er aufgeht in einer Sache, ganz hingegeben ist an eine andere Person“, so Frankl. Seiner Lehre zufolge kann der Mensch den stärksten Instinkt überwinden. Für Frankl ist ein Mensch ein Novum und „ich-haft“, nicht „es-haft“ – er kann sich etwa auch dafür entscheiden, Aggressionen anders auszuagieren als durch Gewalt. 

Laut Frankl behält das Leben unter allen Lebensbedingungen Sinn, denn der Mensch behält die innere Freiheit und kann zu seinem Schicksal Stellung beziehen, indem er sich entscheidet, wie er damit umgeht. Mit der Distanz zu sich selbst kann der Mensch Herausforderungen, die das Leben stellt, bewusst bewältigen. Damit wird er vom Opfer seiner Zu- oder Umstände zum Gestalter seines Lebens. Dabei beschreibt Frankl das geistige Abrücken als humane Fähigkeit.

Frankl sieht drei Möglichkeiten, um Sinnvolles zu verwirklichen: Dazu gehören schöpferische Werte wie Leistung (eine gelungene Operation oder Behandlung), Erlebniswerte (wie Freizeitaktivität, Genuss oder auch nichts zu tun) und Einstellungswerte (die Art, wie man mit Situationen umgeht). 

Bei Frankl geht es nicht darum, warum Lebensbedingungen schwierig, ungerecht oder bedrohlich sind, sondern die Frage: „Wozu fordert mich die Lebenssituation heraus, wie will und soll ich darauf antworten oder agieren?“ Wir dürfen nach dem Sinn des Lebens nicht fragen, da wir selbst befragt werden, so Frankl. Lebensfragen können wir nur beantworten, indem wir unser Dasein selbst verantworten.

Viele Mediziner:innen sind auch mit der belastenden Frage, nämlich der Angst vor Fehlern und deren rechtlicher Konsequenzen, konfrontiert. Hierbei kann Frankl helfen, sich zumindest von der moralischer Verantwortung abzugrenzen. „Wenn ich überzeugt bin, dass ich eine Behandlung nach bestem Wissen gemacht habe, kann ich auch die Verantwortung tragen. Aber handelt man nach bester medizinischer Überzeugung und wird mit einem Prozess konfrontiert, darf ich mich bei einem negativen Prozessausgang nicht infrage stellen. Hat man tatsächlich einen Fehler gemacht, muss man es sich eingestehen und überlegen, wie man diesen wieder gut machen kann, damit man besser damit leben kann. In medizinischen Berufen ist es besonders wichtig, wie man mit Entscheidungen leben kann“, erläuterte die Fachärztin für Gynäkologie Imma Müller-Hartburg bei einem Workshop.

Stellung nehmen in belastenden Situationen

Häufig genannt wurde auch die fehlende Wertschätzung von Vorgesetzten und Patient:innen. Umgemünzt auf dieses Problemfeld kann man sich etwa fragen: „Ist meine Arbeit weniger sinnvoll, wenn mein Vorgesetzter oder Patient sie nicht schätzt? Hier hilft der Fokus: Wofür mache ich die Arbeit?“ Dadurch macht man sich weniger von der Anerkennung anderer abhängig. „In der Not sagen Patienten Dinge, die nichts mit mir zu tun haben, sie müssen nicht sehen, was ich für sie tue, davon mache ich mich nicht abhängig“, so die Gynäkologin.

Nicht angemessene Bezahlung beschäftigt die Kollegen ebenso. Hierbei könnte man sich fragen: „Wie viel Geld habe ich wirklich? Wofür brauche ich mehr Geld? Ist das Geld zu wenig oder geht es mir um mangelnde Anerkennung?“ Bei dem Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie könnte man sich die Frage stellen: „Wer braucht mich am meisten? Welche Möglichkeiten habe ich etwas zu ändern? Was möchte ich in zehn, zwanzig Jahren diesbezüglich über mich sagen?“

Auch der Tod eines Patienten als persönliches Versagen ist einThema in der Ärzteschaft. Die Frage, die man sich stellen könnte: „Nur weil ein Leben zu Ende geht, war die Behandlung vorher sinnlos?“ 

Viktor Emil Frankl (1905-1997) stellte die Sinnfrage ins Zentrum der Logotherapie und Existenzanalyse, die vielfach auch als die „Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“ bezeichne wirdt. Zu seinen Schwerpunkten zählten Depressionen und Suizid. In seinem 1946 erschienen Werk „…trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ schildert Frankl seine Erlebnisse und Erfahrungen in vier verschiedenen Konzentrationslagern, darunter Auschwitz, während des Zweiten Weltkriegs.

Das VIKTOR FRANKL ZENTRUM WIEN im 9. Wiener Gemeindebezirk wurde 2004 als Zentrum für Sinn- und Existenzfragen gegründet. Es handelt sich um eine gemeinnützige Bildungseinrichtung mit Schwerpunkt Öffentlichkeitsarbeit, welche die sinnorientierte Lehre Frankls – die Logotherapie und Existenzanalyse - einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Das Zentrum hat seinen Sitz in der Mariannengasse 1, direkt neben jener Wohnung, in der Viktor E. Frankl über 50 Jahre lebte und arbeitete. 2015 wurde dort, auf Initiative des VIKTOR FRANKL ZENTRUM WIEN, das weltweit erste Viktor Frankl Museum eröffnet. 

Imma Müller-Hartburg arbeitet seit 30 Jahren als Fachärztin für Gynäkologie und Geburtenhilfe im Krankenhaus und niedergelassenen Bereich. Auch hat sie als ärztliche Direktorin im Krankenhaus gearbeitet. Sie hat eine fünf- semestrige Ausbildung am Viktor Frankl Zentrum in Wien absolviert und bietet Beratungen in Krisensituationen an.

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Frankl
Viktor Emil Frankl war ein österreichischer Neurologe und Psychiater. Er war der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, die oft als "Dritte Wiener Schule der Psychotherapie" bezeichnet wird.
Prof. Dr. Franz Vesely Viktor-Frankl-Archiv 1965