Patienten angeblich falsch befundet
Die Anklage lautet auf Beteiligung am schweren gewerbsmäßigen Betrug. Der Arzt wies diesen Vorwurf entschieden zurück.
Die Anklage lautet auf Beteiligung am schweren gewerbsmäßigen Betrug. Der Arzt wies diesen Vorwurf entschieden zurück.
Am Wiener Landesgericht für Strafsachen hat am Montag der Prozess gegen einen renommierten Psychiater und Psychotherapeuten begonnen, der neun Patienten unrichtigerweise Arbeitsunfähigkeit bescheinigt und diesen damit einen Pensionsbezug ermöglicht haben soll.
Er sei „überhaupt nicht schuldig“, meinte der aus einer angesehenen Arztfamilie stammende Angeklagte. Nicht ohne Stolz berichtete er eingangs der Verhandlung einem Schöffensenat (Vorsitz: Michael Tolstiuk), er habe sämtliche Klassen der Mittelschule und sämtliche Rigorosen während des Studiums mit Auszeichnung bestanden und schließlich sub auspiciis promoviert. Er verwies auf seine jahrzehntelange Berufserfahrung und eine Karriere, die ihn in hohe Positionen im Wiener Gesundheitswesen führte. Er habe in seiner Laufbahn über 12.000 Patienten behandelt.
An die prozessgegenständlichen Patienten, die sich als Mitangeklagte ebenfalls vor Gericht zu verantworten hatten, konnte sich der Psychiater ganz genau erinnern, obwohl die inkriminierten Begutachtungen teilweise Jahre zurück lagen. „Alle waren krank“, betonte er und zählte die entsprechenden Leiden auf, wobei er die Mitangeklagten teilweise mit ihren Vornamen ansprach. Wie er hervorhob, hatten die neun Personen allesamt eine längere Krankengeschichte hinter sich, ehe er mit ihnen zu tun bekam: „Ich hab' mich grundsätzlich an dem orientiert, was es an Vorbefunden gegeben hat, was sinnvoll und vernünftig ist.“ Die vorliegenden Krankheitsbilder hätten sich bei seinen Begutachtungen bestätigt, teilweise verschlechtert. Mit seinen Befunden wären die Patienten dann zu einem Arzt der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) gegangen und neuerlich überprüft worden, ehe ihnen Invaliditätspensionen, Ausgleichszulagen oder Pflegegeld genehmigt wurden. Insofern verstehe er die Anklage nicht. „Das liegt dann in ihrer Verantwortung“, wobei die Ärzte der PVA „alte Hasen“ und in der Lage wären, Simulanten von Kranken zu unterscheiden, stellte der Psychiater fest.
Belastet wird er von einer Vertrauensperson der Polizei, die vorgeblich dubiose Vorgänge rund um den Arzt gemeldet und damit das Strafverfahren in Gang gesetzt hatte, und von einem von der Justiz bestellten psychiatrischen Sachverständigen, der die Befunde des Mannes in den zur Anklage gebrachten Fällen als inhaltlich falsch bzw. nicht nachvollziehbar beurteilt.
Beispielsweise fand der Gerichtsgutachter keine Hinweise auf die Borderline-Störung, die der Angeklagte einem Patienten attestiert hatte. Darauf angesprochen, meinte der Angeklagte trocken: „Der hat eine andere Schule. Er (der Gerichtsgutachter, Anm.) hat den Charakter nicht beurteilt. Ich weiß nicht, ob er das überhaupt kann.“ Ebenfalls stutzig hatte den Gerichtsgutachter gemacht, dass eine Frau angeblich an Alzheimer litt, obwohl sie im Untersuchungszeitraum erst um die 50 Jahre alt war. „Alzheimer wird oft zu spät diagnostiziert“, hielt der Angeklagte dem entgegen. Und mit Blick auf die Mitangeklagten fügte er hinzu: „Die Betroffenen hier waren viele Jahre in Pension. Das wurde von Ärzten im Sozialversicherungsverfahren überprüft.“ Zum Teil hätten sich dabei noch schwerere Erkrankungen als von ihm angegeben gezeigt.
Wie Verteidiger Georg Zanger unterstrich, hatten die Mitangeklagten, die sich allesamt ebenfalls nicht schuldig bekannten, seinem Mandanten nichts für seine Befunde bezahlt: „Es gibt kein Motiv. Er hat keinen Vorteil bekommen.“ „Geld hat überhaupt keine Rolle gespielt“, ergänzte der Psychiater. Es sei ihm nie welches angeboten worden, er hätte auch keines genommen: „Das sind keine reichen Leute. Wenn ich mich um Unterschichtpatienten kümmere, ist es klar, dass man nicht so viel Geld verdienen kann wie ein Gynäkologe.“
Die Verhandlung ist auf mehrere Tage anberaumt und wird Mittwochmittag fortgesetzt. Angeklagt ist ein Tatzeitraum von April 2007 bis 2017. Die PVA hat sich dem Verfahren als Privatbeteiligte angeschlossen und macht einen Schaden von 813.000 Euro geltend. So viel soll an die neun Mitangeklagten zu Unrecht ausbezahlt worden sein.