Ärztekammer fordert Sonderklasse auch für ambulante Leistungen
Die Vollversammlung der Ärztekammer für Wien hat das Parlament aufgefordert, zuzulassen, dass öffentliche Spitäler sowie Ärztinnen und Ärzte im bisherigen tagesklinischen Umfang künftig auch ambulant Leistungen für privatversicherte Patientinnen und Patienten verrechnen dürfen. Ansonsten drohe den öffentlichen Spitälern ein massiver Wettbewerbsnachteil.
Damit soll sichergestellt werden, dass mit diesen Einnahmen eine soziale Medizin für alle Bevölkerungsschichten finanziert werden kann. Sollte es zu einem Verbot der Sonderklasse für ambulante Leistungen kommen, würde den Wiener Spitälern Geld entzogen, das diese dringend benötigten. Außerdem würden die öffentlichen Spitäler, allen voran die Häuser des Wiener Krankenanstaltenverbunds, für Ärztinnen und Ärzte unattraktiver, was zu einer Abwanderung von Ärztinnen und Ärzten in die Privatmedizin führen würde, die ein solches Verbot bekanntlich nicht treffe.
„Auch wird eine Zwei-Klassen-Medizin forciert, indem Patientinnen und Patienten, die sich eine private Zusatzversicherung leisten können, zukünftig Privatspitäler aufsuchen werden“, heißt es weiter in der Resolution. Die Wiener Ärztinnen und Ärzte stünden für eine soziale Medizin und hätten für eine unsoziale Maßnahme – „wie es die Nichtermöglichung von Sonderklassegebühren für ambulanten Leistungen, die bisher stationär durchgeführt wurden, zweifellos ist“ – kein Verständnis, da sie einen massiven Wettbewerbsnachteil der öffentlichen Spitäler zugunsten von Privatspitälern mit sich bringen würde.
Die Ärztekammer wies bereits wiederholt darauf hin, dass eine ambulante Sonderklasse notwendig sei, um zu verhindern, dass sonderklasseversicherte Patientinnen und Patienten zukünftig in Privatspitäler abwandern. Das bekräftigte Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres anlässlich der aktuellen Debatte rund um die Honorierung von tagesklinischen Leistungen. Keinesfalls gehe es darum, „VIP-Ambulanzen“ oder „Fast Lanes“ zu positionieren.
Der Hintergrund: Durch den Fortschritt der Medizin werden immer mehr Leistungen, vor allem in der Augenheilkunde, der Onkologie, der Nuklearmedizin und der Orthopädie, die früher stationär erbracht wurden, inzwischen ambulant erbracht, was für alle Patientinnen und Patienten eine wesentliche Verbesserung darstellt. Dies betrifft unter anderem Augenoperationen, Stents sowie weitere einfache operative und invasive Eingriffe wie Arthroskopien, Hernien et cetera.
Um diese Leistungen im Interesse der öffentlichen Krankenhäuser, insbesondere in Wien, auch abrechnen zu können, hat man den Begriff der „tagesklinischen Leistungen“ geschaffen. Damit wurde verhindert, sonderklasseversicherte Patientinnen und Patienten stationär aufnehmen zu müssen – was das System verteuert und zudem nachteilig für die Patientinnen und Patienten gewesen wäre.
Ärztekammer unterstützt Vorstoß der Regierung
Nun wird im LKF-Verrechnungssystem (Leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung, Anm.) der Begriff „tagesklinisch“ durch das ersetzt, was es de facto ist, nämlich „ambulant“. Damit aber braucht es die ambulante Sonderklasse, damit die ambulant erbrachten und tagesklinisch verrechneten Leistungen in öffentlichen Spitälern mit den Privatkrankenversicherungen auch weiterhin verrechnet werden können.
Die Ärztekammer unterstützt daher den Vorstoß der Regierung, tagesklinischen Leistungen in der Sonderklasse zukünftig auch ambulant abrechenbar zu machen. Szekeres: „Es geht hier nicht um spezielle Ambulanzen für betuchte Patientinnen und Patienten, sondern ausschließlich um die Möglichkeit des Erhalts der bisherigen Möglichkeiten für öffentliche Spitäler und Ärztinnen und Ärzte.“
Den öffentlichen Spitälern eine ambulante Sonderklasse zu verbieten, würde nicht nur zu massiven Einnahmenrückgängen für die Häuser und die dort tätigen Ärztinnen und Ärzte führen, sondern auch dazu, dass die Privatkrankenversicherungen diese Leistungen zugunsten ihrer 1,8 Millionen Versicherten künftig ausschließlich in ihren Privatspitälern anbieten werden – „was wiederum dazu führt, dass die Zwei-Klassen-Medizin in Österreich sowie die Trennung von Privat- und sonstigen Patienten weiter fortschreitet und auch öffentliche Spitäler für Ärztinnen und Ärzte weniger attraktiv werden“.
Szekeres ist unglücklich darüber, dass eine Maßnahme, die eine Zwei-Klassen-Medizin verhindern soll, nun als Maßnahme für die Zwei-Klassen-Medizin politisch diskutiert wird. Er fordert alle Parlamentsparteien dazu auf, dem Entwurf der Bundesregierung zuzustimmen und die ambulante Sonderklasse als Ersatz für bisherigen tagesklinische Leistungen zu unterstützen.
Patientenanwälte ersuchen um Änderungen
Indes appellieren Patientenanwälte an die Politik, den diese Woche zu Abstimmung stehenden Gesetzestext „so umzuformulieren, dass zweifelsfrei klargestellt ist, dass keine neue Art einer ambulanten Sonderklasse eingeführt werden soll und darf“. Gleichzeitig regen sie an, das veraltete, intransparente und nicht mehr leistungsgerechte System der derzeitigen Sonderklasse „neu aufzusetzen“.
Die Patientenanwälte begrüßen zwar die zunehmende Verlagerung von Leistungen aus dem stationären in den ambulanten Bereich. „Eine solche Verlagerung darf aber nicht damit verknüpft werden, dass eine neue Art von ambulanter Sonderklasse geschaffen wird.“ Die Patientenanwälte übersehen auch nicht, dass durch eine solche Verlagerung sowohl bei den Ärzten als auch bei den Spitalserhaltern ein Einnahmen-Ausfall entsteht. Dieser dürfe aber nicht dadurch kompensiert werden, dass neue ambulante Sonderklassegebühren bei den Sonderklassepatienten geschaffen werden.
Vielmehr fordern die Patientenanwälte, die derzeitige Form der Sonderklasse insgesamt zu hinterfragen und neu zu ordnen. Das Leistungsprinzip sollte durch ein angemessenes und leistungsgerechtes Grundeinkommen und nicht über intransparente Zusatzeinkommen, wie bei der derzeitigen Sonderklasse, erfolgen. „Wir sprechen uns also durchaus für eine sehr gute Bezahlung der ÄrzteInnen aus. Aber nicht durch Umwege über ärztliche Sonderhonorare.“ Eine Neuordnung erscheint den Patientenanwälten auch deshalb wichtig, weil sie verhindern wollen, dass noch weitere Sonderklassepatienten vom öffentlich-solidarischen Bereich in den privaten Bereich der Krankenanstalten ausweichen.
Die umstrittene Passage soll einem Bericht des „Standard“ zufolge nun doch nicht kommen. Ein Inkrafttreten soll verhindert werden, schrieb die Tageszeitung und beruft sich auf Aussagen aus dem Kanzleramt. In welcher Form die Rücknahme der Novelle im Nationalrat eingebracht wird, sei noch offen. Möglich ist ein Abänderungs- oder Entschließungsantrag.