Welche Bedeutung hatten alte griechische Texte auf die Medizinbücher des Mittelalters, was verstand man unter „Bruckfleisch“ und warum galt das Fleisch des Bibers als „fischig“ und damit als Fastenspeise? Regelmäßig begibt sich Hans-Peter Petutschnig bei medinlive auf eine Zeitreise zu den Spuren der alten Wiener Medizin. Dabei gibt es viel zu entdecken, längst Vergangenes, mitunter Skurriles, Schockierendes oder auch Prägendes, oft gut verborgen unter baulichen Veränderungen der letzten Jahrhunderte. In dieser Folge: Ein Spaziergang durch das Griechenviertel rund um den Fleischmarkt und den Donaukanal.
Hans-Peter Petutschnig
Benannt wurde das Viertel nach griechischen Kaufleuten, die sich ab etwa 1700 am Fleischmarkt niederließen und hauptsächlich im Orienthandel tätig waren. Westlich grenzt es an das sogenannte „Judenviertel“ und im Süden an den Donaukanal.
Alte griechische Texte hatten einen hohen Einfluss auf die Medizinbücher des Mittelalters in Europa. Viele der Schriften überdauerten auch all die Jahrhunderte, ihre Lehren fanden sich in vielen mittelalterlichen Büchern wieder. Ein Beispiel dafür sind die Sammelschriften des griechischen Arztes Pedanios Dioskurides, der im 1. Jahrhundert n. Chr. lebte. Er verfasste seine Texte in altgriechischer Sprache. In der Folge wurden sie durch wechselnde Eigentümerschaften in Latein und arabisch ergänzt. Die Schriften enthalten detailreiche und exakte Darstellungen von Heilpflanzen, die für die Medizin des Mittelalters und der frühen Neuzeit von großer Bedeutung waren. Nach Wien gebracht wurden die Schriften im 16. Jahrhundert von dem Botaniker und Humanisten Ghislain de Busbecq im Zuge seiner diplomatischen Reise ins osmanische Reich. Sie befinden sich in der Österreichischen Nationalbibliothek und umfassen 485 großformatige Pergamentblätter.
Die Schriften Dioskurides sind ein schönes Beispiel dafür, dass das antike medizinische Wissen die Wirren des Zerfalls des Weströmischen Reichs im Osten unbeschadet überlebt und hier eine stetige Weiterentwicklung erfahren hat. Typisch für die Zeit der beginnenden Renaissance wird dieses Wissen nun durstig wieder aufgegriffen.
Nicht unweit vom Fleischmarkt befindet sich die heutige Schwedenbrücke, die früher Schlagbrücke hieß. Sie verbindet den 1. Bezirk über den Donaukanal mit dem 2. Bezirk. Ihren früheren Namen verdankt die Brücke dem Umstand, dass in der Mitte des 15. Jahrhunderts Ochsen und Rinder, die unter den Fleischbänken beim Roten Turm (daher der Name der auf die Schwedenbrücke im 1. Bezirk zusteuernden Rotentumstraße) verkauft wurden, nirgendwo anders geschlagen (das heißt: geschlachtet) werden sollten als „auf der Schlachtpruckh bei dem rothen Turm“.
Verkauft wurde im Mittelalter vor allem sogenanntes „Bruckfleisch“ (unter „Bruck“ verstand man früher ein Gestell, auf dem die Tiere vom Fleischer leichter geschlachtet werden konnten). Es besteht aus Herz, Milz, Leber, Bries, den „Lichteln“ beziehungsweise Herzröhren (Aorta) sowie dem Kronfleisch (grobfasriges Fleisch von der Brustinnenwand des Rindes). Da es ohne abzulagern sofort verwendet werden sollte, kam es direkt von der Schlagbrücke in die Küche.
In Streifen oder blättrig geschnitten, wurde Bruckfleisch mit Wurzelgemüse und Gewürzen gedünstet, gestaubt, mit Wasser aufgegossen und mit Rotwein oder Essig abgeschmeckt. In alten Kochvorschriften ist Blut zum Eindicken vorgeschrieben. Bei Ignaz Gartlers legendärem Kochbuch „Wienerisches bewährtes Kochbuch in sechs Absätzen“ (1818) gehörte das Bruckfleisch zu den „verschiedenen Nebenspeisen an Fleischtagen“.
Die Ernährung wurde speziell im Mittelalter sehr stark von religiösen Vorgaben geprägt. Nur an wenigen Tagen im Jahr durfte man Fleisch essen, der Rest war dem Fischverzehr vorbehalten. Allerdings war man mit der Auslegung, was nun „Fleischiges“ sei und was „Fischiges“, doch recht großzügig und durchaus auch kreativ. So galt Beispielsweise Biberfleisch, gebraten oder gedämpft, und hier insbesondere der Biberschwanz, als Fastenspeise. Die einfache Begründung: Der Biber bewege sich im Wasser, daher sei er als „fischig“ anzusehen. Untermauert wurde dies Ansicht dann auch vom Konstanzer Konzil von 1414/18: „Biber, Dachs, Otter – alles genug“. Und 1754 erklärte der Jesuitenpater Pierre Francois Xavier de Charlevoix: „Bezüglich des Schwanzes ist er ganz Fisch, und er ist als solcher gerichtlich erklärt durch die Medizinische Fakultät in Paris, und im Verfolg dieser Erklärung hat die Theologische Fakultät entschieden, dass das Fleisch während der Fastenzeit gegessen werden darf.“
Hans-Peter Petutschnig ist seit vielen Jahren für die Pressearbeit und den Verlag der Wiener Ärztekammer verantwortlich. Er ist zudem stellvertretender Kammeramtsdirektor der Ärztekammer für Wien und organisiert zahlreiche kulturelle Veranstaltungen für Ärztinnen und Ärzte. Zusammen mit der staatlich geprüften Wiener Fremdenführerin sowie Kunst- und Kulturvermittlerin Bibiane Krapfenbauer-Horsky hat er das Buch „Auf den Spuren der alten Heilkunst in Wien – Medizinische Spaziergänge durch die Stadt“ verfasst.
Die Ernährung wurde speziell im Mittelalter sehr stark von religiösen Vorgaben geprägt. Nur an wenigen Tagen im Jahr durfte man Fleisch essen, der Rest war dem Fischverzehr vorbehalten.