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Hoffnung auch für andere Krebsarten

Nuklearmedizin als „Spürhund“ gegen das Prostatakarzinom

Das Prostatakarzinom ist die häufigste Krebserkrankung beim Mann. Mit der PSMA-Radioliganden-Therapie bietet die Nuklearmedizin ein vielversprechendes, nicht invasives Verfahren zur Diagnostik und Behandlung beim Prostatakarzinom an. Bis zu 50 Prozent der Patienten im Endstadium und 80 Prozent der Patienten, bei denen eine andere Ersttherapie erfolglos war, sprechen gut darauf an.

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Zukünftig will man nach dem gleichen „theranostischen“ Prinzip, also der Kombination von Diagnostik und Therapie auf Basis der gleichen Substanzen, auch andere Krebsarten behandeln, die derzeit schwer therapierbar sind. Darüber und über weitere Einsatzmöglichkeiten der Nuklearmedizin in der Onkologie, Kardiologie und Neurologie geht es beim europäischen Nuklearmedizinkongress „EANM‘23“, der vom 9. bis 13. September im Austria Center Vienna stattfindet.

„Haben wir in den 1940er Jahren mit der Schilddrüsendiagnostik begonnen, hat sich die Nuklearmedizin durch neue große Einsatzgebiete wie der Onkologie, Kardiologie und Neurologie in den letzten Jahren von einer Nischendisziplin zu einem sehr gefragten Service-Provider für die Medizin entwickelt. Unser USP ist, dass wir mit ganz geringen Mengen an radioaktiven Substanzen Prozesse im Körper zielgerichtet sichtbar machen können – und das vor allem bei jenen Körperregionen, die sonst nur schwer zugänglich sind. Das macht uns zu einem wesentlichen Partner in der Diagnostik und Therapie. Ganz besonders sieht man das heute in der Behandlung des Prostatakarzinoms“, so Priv.-Doz. Dr. Wolfgang Wadsak, Vorstandsmitglied der European Association of Nuclear Medicine (EANM), Associate Professor an der MedUni Wien und Geschäftsfeldleiter der CBmed GmbH– Center for Biomarker Research in Medicine.

Häufigste Krebsart beim Mann

Jährlich erkranken 6.000 Österreicher am Prostatakarzinom. Das ist ein Viertel der Krebsdiagnosen beim Mann. „Ganz besonders betroffen sind Männer ab 65 Jahren – hier kommt es bei zwei Drittel zu einer Veränderung der Prostata, die – je nach Art der Veränderung – kontinuierlich beobachtet oder eben gegebenenfalls behandelt werden muss“, so Wadsak. Bisher standen für die Diagnostik klassische Bildgebungsverfahren, Blutproben und Biopsien zur Verfügung. Mit ihrer Hilfe konnte die Vergrößerung an sich, der Eiweißwert des Prostataspezifischen Antigens (PSA) gemessen und das entnommene Gewebe analysiert werden. Mit der Anwendung von PSMA-Liganden bietet nun die Nuklearmedizin eine ganz neue und nicht invasive Möglichkeit sowohl für die Diagnostik als auch für die zielgerichtete Therapie an

PSMA-Liganden als „Spürhund“ des Prostatakarzinoms

PSMA steht für das Prostata-spezifische Membran-Antigen, ein bestimmtes Merkmal von tumorös entarteten Zellen der Prostata an deren Oberfläche. Bestimmte radioaktive Moleküle – sogenannte Radioliganden – werden nun wie ein „Spürhund“ in den Körper geschickt und zeigen ohne große Intervention an, wo sich wie viele Tumorzellen im Körper bei der Prostata und den nächstliegenden Lymphknoten, sowie gegebenenfalls auch bei Fernmetastasen befinden. „Verwenden wir bei der reinen Diagnostik Medikamente mit Gammastrahlen, die den Krebs nur kurz markieren und innerhalb weniger Stunden völlig abgebaut werden, statten wir den „Spürhund“ bei der Therapie mit einer lokalen Bombe aus. Das sind dann Beta- oder Alpha-Strahler, die mehrere Tage und Wochen lokal an der Krebsstelle im Körper bleiben und genau dort durch den natürlichen Zerfallsprozess den Tumor samt seiner DNA zerstören“, erklärt der Radiochemiker.

Bis zu 50Prozent Wirkung bei Einsatz im Endstadium

Die PSMA-Liganden-Therapie ist sehr vielversprechend. Derzeit ist das Präparat Pluvicto bei der Behandlung vom Prostatakrebs zugelassen, wenn alle anderen Therapieverfahren ausgeschöpft sind. „In diesem späten Stadium sprechen bis zu 50 Prozent der Patienten auf die Therapie an. Wir schaffen für diese Menschen eine Verlangsamung bzw. Stabilisierung der Krankheit und verbessern ihre Lebensqualität enorm. Ich habe Patienten erlebt, die aufgrund der Metastasen bei der ersten Behandlung noch mit dem Rollstuhl kommen, bei der zweiten Behandlung den Gehstock benutzen und bei der dritten Behandlung schon ohne weitere Hilfe gehen können“, schildert Wadsak. Eine Heilung ist in einem so späten Stadium in der Regel nicht möglich, aber die Lebenserwartung kann um einige Monate verlängert werden und das bei einer deutlich gesteigerten Lebensqualität.

Einsatz als Zweitlinientherapie zeigt bis zu 80 Prozent Erfolgsrate

Um die PSMA-Liganden-Therapie auch bei früheren Verläufen des Prostatakarzinoms einsetzen zu können, sind gerade einige internationale klinische Studien im Endspurt. Dabei wird die PSMA-Liganden-Therapie dann angewandt, wenn nach Abschluss der ersten Krebsbehandlung ein Therapieerfolg ausbleibt. „Beim versuchsweisen Einsatz der PSMA-Liganden-Therapie als Zweitlinientherapie sprechen bis zu 80 Prozent der Patienten an. Einige von ihnen haben nach 3-4 Behandlungen sogar eine komplette Remission – sprich das Prostatakarzinom ist dann nicht mehr sichtbar und nicht mehr messbar“, erklärt Wadsak. Er ist sehr zuversichtlich, dass die PSMA-Liganden-Therapie mit Pluvicto ab nächstem Jahr bereits standardmäßig als Zweitlinientherapie angeboten werden kann.

Nächster Schritt: FAP-Liganden für den Einsatz weiterer Krebsarten

In Anlehnung an die Erfolge bei der PSMA-Liganden-Therapie arbeitet die nuklearmedizinische Forschung daran, dieses theranostische „Spürhund-Prinzip“ auch auf andere Krebsarten auszuweiten. Dafür werden derzeit Präparate entwickelt, die sich an das Fibroblasten-Aktivierungs-Protein (FAP) anhängen, das in den krebsassoziierten Fibroblasten vorkommt. „An die 28 Tumorarten weisen dieses Protein auf. Haben wir für die Diagnostik dieser Tumorarten schon jetzt gute nuklearmedizinisch Präparate zur Hand, braucht es noch Zeit, um Präparate zu entwickeln, die dann auch länger im Körper wirken können und sich damit für die Therapie eignen“, erklärt Wadsak. Schon jetzt wird in die FAP-Liganden-Therapie große Hoffnung für die Behandlung jener Krebsarten gesetzt, die derzeit schwer behandelbar sind wie beispielsweise Eierstock-, Bauchspeicheldrüsen- und triple-negativer Brustkrebs.

Medikamente ohne große Nebenwirkungen

Großer Vorteil all dieser nuklearmedizinischen Medikamente ist, dass sie sehr lokal beim Tumor wirken, keine Radioaktivität an die Umgebung abgeben, großteils ambulant durchgeführt werden können und für den Patienten selbst kaum spürbare Nebenwirkungen haben. „Wir arbeiten hier im diagnostischen Bereich mit sehr geringen radioaktiven Mengen, die eine Dosis von ca. 3 bis 5 Millisievert zur Folge haben. Jeder Mensch, der in einer größeren Stadt wie beispielsweise Wien lebt, ist durch Atmosphäre, Boden und Essen schon natürlich einer jährlichen Dosis von ca. 2 Millisievert ausgesetzt. Sprich die Belastung für den Körper bei der nuklearmedizinischen Diagnostik – ob nun PSMA-Liganden oder zukünftig die FAP-Liganden – entspricht der Strahlenbelastung von nur 2 Jahre Stadtleben und bewirkt gleichzeitig Großartiges für die Strategie zur Bekämpfung der Krebserkrankung“, erklärt Wadsak. Bei der nachfolgenden nuklearmedizinischen Therapie selbst kommt es nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung klarerweise zur lokalen Anwendung weit höherer Dosen, da nur so eine nachhaltige Schädigung der Krebszellen erreicht werden kann

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Abteilung für Strahlentherapie des Instituts für Nuklearmedizin in Moskau
Die Nuklearmedizin hat sich durch neue große Einsatzgebiete wie der Onkologie, Kardiologie und Neurologie in den letzten Jahren von einer Nischendisziplin zu einem sehr gefragten Service-Provider für die Medizin entwickelt.
Gavriil Grigorov/TASS
Felix Mottaghy EANM
Felix Mottaghy ist Vorstandsmitglied der European Association of Nuclear Medicine (EANM) und Klinikdirektor der Klinik für Nuklearmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen.
EANM