Digitalisierung

Keine große Akzeptanz bei Gesundheits-Apps

Zertifizierte Gesundheits-Apps, so genannten Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA): Sie sollen vor allem die Versorgung von chronisch Kranken verbessern. Doch in Deutschland ist trotz eines geregelten Zulassungssystems diese „Revolution“ ausgeblieben. Seit September 2020 gab es nur rund 200.000 Verordnungen auf Kassenkosten, bilanzierte jetzt die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Viele Fragen seien noch ungeklärt.

red/Agenturen

Die Digitalisierung soll auch die Patientenversorgung neu ausrichten bzw. verbessern. Das ist das Versprechen vieler Gesundheits-Apps für Handy, Tablet oder Computer. Deutschland hat 2019 mit dem „Digitale-Versorgung-Gesetz“ (DVG) eine Pionierrolle beansprucht. „Seit September 2020 können niedergelassene Ärzte solche DiGA auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen verordnen“, sagte Martin Möckel, Spezialist für kardiovaskuläre Prozessforschung an der Berliner Charite-Uniklinik und Sprecher der Arbeitsgruppe für Digitale Gesundheitsanwendungen der deutschen Internistengesellschaft, am Dienstag bei einer Pressekonferenz der deutschen Internistengesellschaft.

In Deutschland wurde ein eigenes Registrierungssystem geschaffen. DiGA müssen CE-zertifiziert sein und vom zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen werden. Dafür ist der wissenschaftliche Nachweis eines „positiven Versorgungseffektes“ für den Benutzer notwendig. Dieser Nachweis wird in klinischen Studien erbracht. Gewährleistet werden muss zum Beispiel auch die Datensicherheit. Es gibt ein eigenes Prüfverfahren für die Anträge. Falls für eine DiGA noch keinen ausreichender Nachweis einer Wirksamkeit vorliegt, kann eine nach dem Zufallsprinzip (Vergleichsgruppen) organisierte Studie innerhalb von maximal zwei Jahren nachgereicht werden, um eine endgültige Registrierung zu erlangen.

Akzeptanz bei Patient:innen sehr eingeschränkt

Doch ein „Tsunami“ für diese neuen Versorgungsformen ist bisher ausgeblieben. Das fängt laut dem Berliner Experten schon bei der Zahl der Apps an: „Mittlerweile wurden 45 DiGA jemals in diese Liste aufgenommen, davon fünf wieder gestrichen, so dass zum Stand 30. Jänner 2023 40 unterschiedliche DiGA verordnet werden können. Nur 15 DiGA sind bisher dauerhaft in das Verzeichnis aufgenommen worden.“ Die Verteilung der medizinischen Anwendungsgebiete ist relativ „einseitig“. „Schwerpunktmäßig“ seien vor allem psychische Leiden vertreten: Depression, Angststörungen und psychosomatische Krankheitsbilder. Nur drei der in Deutschland permanent zugelassenen „Apps auf Kassenkosten“ hätten einen Bezug zur Inneren Medizin, zum Beispiel eine in Sachen Diabetes, eine weitere zu Rückenschmerzen und eine dritte zur Versorgung von Adipositas-Patient:innen.

Die Akzeptanz bei den deutschen Patient:innen - offenbar auch bei den potenziellen Verschreibern (niedergelassene Ärzte) - ist bisher relativ eingeschränkt. „Es gab bisher rund 200.000 Verordnungen“, sagte Möckel bei einer Pressekonferenz. Die Benutzer seien de facto alle unter 60 Jahre alt, mehr Frauen als Männer. Viele Fragen seien noch offen. Eine davon: „Wie lange soll man therapieren?“ (Möckel). Wie sei damit umzugehen, wenn ein Arzt eine digitale Kopfschmerz-Management-App für drei Monate verschreibe, der Betroffene aber nach einem Monat keine Beschwerden mehr habe? Was soll getan werden, wenn beispielsweise die Symptome nach einem Jahr wieder auftreten. Soll dann die App noch einmal verschrieben oder vielleicht gewechselt werden?

„Fuß in die Tür“

Schwierig sei auch die Bestimmung der Wirksamkeit einer solchen App allein. Oft wären diese Softwareprogramme ja eigentlich Handlungsanleitungen, die auch - am Beispiel Rückenschmerzen - genauso bei einem Physiotherapeuten vermittelt werden könnten. Dann würde eventuell eine solche DiGA nur die Verfügbarkeit erleichtern. Für Möckel hätten die ersten derartigen Apps vor allem „den Fuß in die Tür“ für weitere Entwicklungen gestellt. Mehr zu erwarten sei jedenfalls von Digitalen Gesundheitsanwendungen, die in Zukunft auch Rückmeldungen an die Patienten böten: So könnten sich zum Beispiel Asthma-Patient:innen bei der Anwendung ihre Sprays filmen und eine Information bekommen, ob das auch richtig durchgeführt hätten. Damit könnte echter Mehrwert geschaffen werden, wie der deutsche Experte feststellte.

Insgesamt scheint damit die Entwicklung auch in Deutschland mit einem formal etablierten System erst in den Kinderschuhen zu stecken. In manchen medizinischen Fachbereichen will man an sich schon viel weiter sein: In internationalen Leitlinien für die Evidenz-basierte Versorgung von Patient:innen mit Depressionen wird laut dem Wiener Psychiater Lukas Pezawas bereits seit 2010 eine abgestufte Versorgung mit - unter anderem - zunächst App-basierter Behandlung und erst in einer zweiten Stufe eine Face-to-Face Psychotherapie empfohlen. Im österreichischen Bundesfinanzgesetz 2022 - so der Psychiater - sei aber bereits an mehreren Stellen der Wille zu einer Forcierung solcher digitaler Anwendungen enthalten gewesen.