Wiener Spitalsärzte warnen vor zunehmenden Versorgungsengpässen

Die Versorgungsengpässe in den Wiener Spitälern haben im vergangenen Jahr weiter zugenommen, warnte die Wiener Ärztekammer am Freitag in einer Pressekonferenz und verwies auf Ergebnisse einer aktuellen Umfrage unter Spitalsärzten: 87 Prozent sehen einen dramatischen Qualitätsverlust in der medizinischen Versorgung und 84 Prozent bei der Jungarzt-Ausbildung. Vizepräsident Stefan Ferenci ortete einen Bankrott der Wiener Gesundheitspolitik, ein Streik ist weiter in Vorbereitung.

red/Agenturen

Schon bei der ersten Spitalsärzte-Umfrage im Auftrag der Wiener Ärztekammer, die im Vorjahr von Public Opinion Strategies von Peter Hajek durchgeführt wurde, hatte eine überwiegende Mehrheit dem Wiener Spitalswesen ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Doch auch ein Jahr nach der Coronapandemie habe sich die Stimmung nicht aufgehellt. In einigen Bereichen habe es sogar eine Eintrübung gegeben, berichtete Hajek. So haben in der aktuellen Befragung (Online-Erhebung, 1.887 Befragte, Schwankungsbreite 2,3 Prozentpunkte) 84 Prozent von großen Engpässen bei der Patientenversorgung in den Wiener Spitälern berichtet, das sind noch einmal mehr als 2022 (78 Prozent).

77 Prozent haben den Eindruck, dass die Stadtpolitik nichts gegen die Probleme in den Wiener Spitälern unternehme. 81 Prozent meinen außerdem, dass Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) die Gefährdungsanzeigen, die laut Ferenci auf einem Allzeithoch sind, nicht ernst genug nehme. Im Vorjahr habe die Stadtregierung die schlechten Ergebnissen noch auf die Coronapandemie zurückgeführt. Die aktuellen Zahlen würden aber zeigen, dass diese bestenfalls ein Verstärker für die bestehenden Schwachstellen gewesen sein, betonte Ferenci.

Während die Wiener Ärztekammer seither ein Zehn-Punkte-Programm zur Verbesserung der Situation vorgelegt habe, hätte die Politik nichts unternommen, beklagte Ferenci ein „verlorenes Jahr„. Weder bei Ärzten noch Pflege habe es nachhaltige Veränderungen gegeben, dabei seien die Zustände teils katastrophal. So könne man in der Kinderpsychiatrie nur noch von einer Notversorgung sprechen. „Ich bin ermüdet, Ausreden zu hören. Ich würde gerne endlich Taten sehen.„

„Wir sind am Kollabieren“, warnte auch Eduardo Maldonado-González, Vizeobmann der Kurie angestellter Ärzte in der Wiener Ärztekammer, und berichtete von Bettensperren, Gangbetten, Pflegeengpässen und gesperrten OP-Betten in allen Spitälern Wiens. All das wirke sich nicht nur negativ auf die Patientenversorgung aus, auch die Ausbildung der Turnusärzte und der Ärzte in Ausbildung leide - immerhin fehle es den Jungärzten durch die gesperrten OPs auch an Praxis.

Zeitplan steht noch nicht

Dasselbe gelte für die Lehrvisite, wenn man dort regelmäßig Patienten von der Verschiebung wichtiger Eingriffe berichten müsse, erzählte Peter Poslussny, Personalvertreter im Wiener Gesundheitsverbund (Wigev). „Ich bin hier der Seelentröster, nicht der Ausbildner“, so Poslussny, der auch vor einer massiven Verunsicherung der Patientinnen und Patienten aufgrund der aktuellen Lage warnte. „Das geht uns allen schwer an die Nieren.“ Gleichzeitig sehe er keine echte Aussicht auf Verbesserung. Die Folgen der aktuellen Situation könnten das System über Jahrzehnte begleiten, warnte Ferenci - wenn nämlich Jungärzte wegen der schlechten Arbeits- und Ausbildungsbedingungen das Wiener Spitalssystem verlassen und dann auch nicht mehr zurückkommen.

„Ehrlicherweise sind wir nicht mehr dazu bereit, dass durch die Untätigkeit der Politik immer wieder zu lebensbedrohlichen Situationen in den Spitälern kommt“, verwies Ferenci etwa auf teils lange Wartezeiten bei Behandlungen und Eingriffen. Die Ärztekammer arbeitet deshalb gerade intensiv an den Vorbereitungen ihres bereits angekündigten Streiks, zu dem auch alle anderen Spitalsmitarbeiter eingeladen wurden.

Ein Zeitplan dafür steht noch nicht. Die Ärztekammer hat grundsätzlich den Zeitraum Mitte November bis Mitte Dezember ins Auge gefasst, derzeit würden aber erst erste Gespräche mit den Gewerkschaften laufen, mit denen man sich hier abstimmen wolle. Oberste Priorität sei jedenfalls die Sicherheit der Patienten, betonte der Vizepräsident. Sollte es am Streiktag eine massive Grippewelle geben, werde man diesen auch nicht auf Biegen und Brechen umsetzen.

Bei den Verbesserungen könne es auch nicht nur um die Ärzte gehen, es brauche Gehaltsanpassungen beim gesamten Spitalspersonal, von der Pflege über die Administration bis zu den Putzkräften. Sollte es einen klaren Dialog und Zeitplan der Politik geben, um die Situation nachhaltig zu verbessern, „wird man natürlich nicht streiken“, sagte Ferenci. Dasselbe gelte bei einem Gehaltsabschluss, mit dem sich die Kollegen in einer Urabstimmung zufrieden zeigen. „Wir streiken nicht um den Streikens willen. Wir streiken, weil wir verzweifelt sind.„

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