19 Forscher in Österreich erhalten hochdotierte ERC-„Starting Grants“

Die Rekordzahl von 19 in Österreich tätigen Forschern erhält hochdotierte „Starting Grants“ des Europäischen Forschungsrats (ERC). Noch nie gingen so viele dieser jährlich vergebenen, mit jeweils bis zu 1,5 Mio. Euro dotierten Förderpreise nach Österreich. Insgesamt bekommen in dieser Antragsrunde 400 Wissenschafter in einer frühen Karrierephase einen „Starting Grant“ für fünfjährige Grundlagenforschungsprojekte, gab der ERC am Dienstag bekannt.

red/Agenturen

Mehr als die Hälfte der an einer österreichischen Einrichtung tätigen ERC-Förderpreisträger sind Frauen. In Summe schüttet der ERC 628 Mio. Euro in der aktuellen Vergaberunde aus. Die meisten „Starting Grants“ gehen diesmal an Forscher in Deutschland (87), Frankreich (50) und den Niederlanden (44). Insgesamt gab es knapp 2.700 Einreichungen für die Förderpreise.

Die Zahl der österreichischen ERC-Förderpreisträger in der aktuellen Runde könnte noch steigen: Florian Praetorius, vom ERC noch als Angehöriger der Technischen Universität (TU) München geführt, wird Anfang 2024 an das Institute of Science and Technology Austria (ISTA) nach Klosterneuburg (NÖ) wechseln. Dafür ist noch nicht klar, ob der vom ERC der Universität Innsbruck zugerechnete, derzeit an der ETH Zürich tätige Ökologe Rubén Manzanedo nach Tirol zurückkehrt.

Vier „Starting Grants“ gehen an Wissenschafterinnen der Universität Wien:

Agnes Dellinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Uni Wien will anhand der Pflanzenfamilie der Melastomataceae untersuchen, wie sich Blüten an unterschiedliche Bestäubergruppen anpassen und welche Rolle verschiedene Einflüsse, etwa klimatische Umweltfaktoren, dabei spielen. U.a. will sie mit Methoden des maschinellen Lernens untersuchen, ob Muster in der Evolution von Blütenformen vorhersagbar sind.

Die Frage, wie das Gehirn verschiedene Versionen der Welt entwirft, steht im Zentrum des ERC-Projekts von Charlotte Grosse Wiesmann von der Fakultät für Psychologie der Uni Wien. Mit Hilfe neurowissenschaftlicher Methoden will sie untersuchen, wie Kinder die Fähigkeit entwickeln, auf abstrakte Weise über die Welt nachzudenken. Ziel ist es besser zu verstehen, wie sich die Fähigkeit der Menschen zum abstrakten Denken entwickelt.

Irma Querques von den Max Perutz Labs der Uni Wien widmet ihr ERC-Projekt „springenden Genen“ (Transposons). Sie will die molekularen Mechanismen dieser speziellen DNA-Abschnitte untersuchen und Einblicke geben, wie diese die Transposons zum „Springen“ befähigen sowie diese Erkenntnisse nutzen, um sie zu Werkzeugen für die Genom-Editierung der nächsten Generation weiterzuentwickeln.

Bisher wurde die mittelalterliche Christianisierung in Ostmitteleuropa vor allem aus Sicht der höchsten kirchlichen Institutionen konstruiert. Die Mittelalterforscherin und Archäologin Mária Vargha will diese Geschichte nun anhand einer vergleichenden Bewertung archäologischer und historischer Belege aus Perspektive der einfachen Bevölkerung beleuchten und damit das Verständnis der politisierten Narrative des Mittelalters erweitern.

Drei „Starting Grants“ gehen an Forscher, die an der TU Wien tätig sind:

Julian Leonard vom Atominstitut der TU Wien wird an sogenannten Quantensimulatoren forschen. Dabei will er sich Ähnlichkeiten in unterschiedlichen Quanten-Experimenten zunutze machen, um ungelöste Fragen der Festkörperphysik zu beantworten. Der Technologie-Zugang von Behinderten interessiert Katta Spiel vom Institut für Visual Computing and Human-Centered Technology der TU Wien. Sie wird u.a. den sozialen Kontext bei der Nutzung von Virtual Reality-Headsets durch Gehörlose untersuchen oder wie neurodivergente Personen sich selbst und Intimität erfahren. Xiao-Hua Qin, der an der TU Wien promoviert hat und derzeit an der ETH Zürich forscht, wird mit seinem ERC-Grant an die TU Wien zurückkehren. Er arbeitet an der Entwicklung mikrogedruckter Hydrogele zur Züchtung menschlicher Knochenorganoide auf Biochips.

Auch am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien freut man sich über drei neue „Starting Grants“: Moritz Gaidt vom IMP hat kürzlich einen Signalweg (MORC3-MRE) beschrieben, der bei der Erkennung von Virenaktivität eine wichtige Rolle spielt und eine Schutzreaktion auslöst. Nun will er in seinem ERC-Projekt mit Hilfe genetischer Ansätze in menschlichen Zellen und Mäusen neue Komponenten und molekulare Mechanismen dieses Signalwegs aufdecken und so das Verständnis der Interaktionen zwischen Wirt und Pathogen erweitern.

Erforschung von Virusabwehr, Embryonalentwicklung und Immuntoleranz

Diana Pinheiro vom IMP erforscht, wie mechanische Kräfte und Signalmoleküle („Morphogene„) zusammenwirken, um die Embryonalentwicklung zu steuern, damit sich die richtigen Zellen zur richtigen Zeit am richtigen Ort positionieren. In ihrem ERC-Projekt will sie anhand der Modellsysteme Zebrafisch und menschliches Gewebe herausfinden, wie eine Gruppe von Morphogenen die Entwicklungsprozesse bei allen Wirbeltierarten koordiniert.

Joris van der Veeken vom IMP will die Mechanismen aufdecken, die für die Aufrechterhaltung der Immuntoleranz im Darm verantwortlich sind, damit das adaptive Immunsystem nicht übertrieben auf Nahrungsmittel und harmlose Mikroben reagiert. Eine wichtige Rolle bei der Verhinderung solch schädlicher Reaktionen spielen regulatorische T-Zellen.

Ebenfalls drei „Starting Grants“ erhalten Wissenschafter des Institute of Science and Technology Austria (ISTA), alle drei geförderten Projekte beschäftigen sich mit neuartigen Materialien:

Forschung zu Darm-Mikrobiom, Immunreaktionen und Tumor-Metastasierung

Hryhoriy Polshyn vom ISTA untersucht mit der ERC-Förderung, wie sich Elektronen in Graphen und anderen 2D-Materialien verhalten. Dabei stapelt er atomar dünne Kristalle dieser Materialien übereinander, um eine noch nie da gewesene Kontrolle über deren Eigenschaften zu erlangen. So lassen sich neuartige elektronische Zustände, z.B. topologische Zustände, erzeugen und deren ungewöhnliche Eigenschaften untersuchen.

Mit quantenmechanischen Berechnungen lassen sich die Eigenschaften neuartiger Materialien vorhersagen und es gibt Datenbanken mit Millionen von solch theoretischen Materialien. Bingqing Cheng vom ISTA verfolgt in ihrem ERC-Projekt das Ziel, mit einem neuen Ansatz vorherzusagen, ob und wie ein Material hergestellt werden kann. Damit soll die Erfolgsrate von „materials by design“ erhöht werden.

Florian Praetorius, der Anfang 2024 am ISTA beginnt, will mit der ERC-Förderung eine neue Klasse von Nanomaterialien entwickeln, die die Vorteile von Proteindesign und DNA-Nanotechnologie in sich vereinen. Solche nukleinsäure-gestützten Proteinanordnungen könnten etwa bei der Entwicklung von Impfstoffen nützlich sein, die vor mehreren Krankheitserregern schützen.

Am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bekommen zwei Wissenschafterinnen einen „Starting Grant„:

Im Mittelpunkt von Clarissa Campbells (CeMM) ERC-Projekt steht das aus Billionen von Bakterien bestehende Darm-Mikrobiom und das Zusammenspiel zwischen Immunsystem und Stoffwechsel. Konkret will sie von Darmbakterien in Gang gesetzte immunregulatorische Prozesse identifizieren und deren Wirkmechanismen verstehen.

Forschung zu Rivalitäten zwischen Migrantengruppen

Barbara Maier (CeMM) widmet sich mit der ERC-Förderung der sogenannten „prämetastatischen Nische“. Dabei handelt es sich um eine tumorfreundliche Umgebung in den Lymphknoten, die von Stoffen geschaffen wird, die ein Tumor im fortgeschrittenen Stadium freisetzt und in der Folge so die Metastasierung fördert.

Die Politikwissenschafterin Heidrun Bohnet vom Department für Migration und Globalisierung der Donau-Universität Krems untersucht in ihrem ERC-Projekt die unterschiedlichen möglichen Rivalitäten, etwa in Bezug auf Jobs, zwischen verschiedenen Migrantengruppen. Sie geht dabei der Frage nach, welche Faktoren solche Rivalitäten verstärken bzw. schwächen und wie man die Solidarität zwischen Migrantengruppen fördern kann.

Weil Quantencomputer auf fundamental anderen Skalen als alles bisher Dagewesene operieren, will Richard Kueng vom Institute for Integrated Circuits der Uni Linz in seinem Projekt, für das er heuer bereits den START-Preis des FWF erhielt, Interfaces entwickeln, um Quanten- und Alltagswelt zu überbrücken. Damit sollen Daten des Quantencomputers (Qubits) in ein von klassischen Rechnern - oder Menschen - lesbares Format gebracht werden.

Verbesserung der Datenaggregation in der Elektrizitätsmodellierung

In seinem ERC-Projekt möchte Rubén D. Manzanedo das Verständnis darüber verbessern, wie die biologische Vielfalt die Stabilität von Ökosystemen, speziell in Wäldern, langfristig unterstützt. Sein Ziel sind genauere Vorhersagen darüber, wie die Wälder auf Klimaveränderungen reagieren. Der derzeit an der ETH Zürich tätige Ökologe hat den ERC-Grant an der Uni Innsbruck beantragt, mit der er derzeit über eine Rückkehr verhandelt.

Während in der modernen Literaturgeschichte große Autorennamen dominieren, hatten in der Antike auch namenlose Texten einen Eigenwert. Markus Hafner vom Institut für Antike der Uni Graz will mit der ERC-Förderung Fragen anonymer und kollektiver Autorschaft in der Antike behandeln und erstmals den ungehörten Stimmen griechischer Texte in den Bereichen Dichtung, Technik und Religion Raum geben.

Um komplexe Elektrizitätssysteme zu optimieren, werden Computermodelle verwendet, für die viele Daten zusammengefasst (aggregiert) werden. Das macht die Modelle aber ungenauer. Sonja Wogrin vom Institut für Elektrizitätswirtschaft und Energieinnovation der TU Graz will in ihrem ERC-Projekt die Datenaggregation verbessern und Methoden entwickeln, um bei gleicher Rechenleistung aussagekräftigere Modelle erstellen zu können. Unabhängig von den „Starting Grants“ kann sich an der Uni Wien zudem Mikrobiologin Christa Schleper über einen mit 150.000 Euro dotierten „Proof of Concept„-Förderpreis des ERC freuen, teilte die Uni Wien am Dienstag mit. Ihr Ziel ist die Entwicklung eines „Probiotikums“, das aus winzigen Einzellern (Archaeen) gewonnen wird und die menschliche Gesundheit verbessern soll.

Internet: https://erc.europa.eu

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MedUni Wien Forschung
In der aktuellen Runde der ERC-Förderpreise zeigt sich eine bemerkenswerte Präsenz von Frauen unter den österreichischen Preisträgern, die in verschiedenen Bereichen der medizinischen Forschung, von Genomik bis zur Embryonalentwicklung.
MedUni Wien, Christian Houdek