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Interview Kopfschmerz

„Das Thema hat nicht den Stellenwert, den es eigentlich bräuchte"

Kopfschmerzen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen sind in Österreich weitverbreitet: Rund eine Million Menschen sind alleine von Migräne betroffen. Sonja Tesar, Neurologin und Präsidentin der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft, skizziert im Gespräch mit medinlive rund um den Internationalen Kopfschmerztag am 5. September den Status quo, neue Medikamente und warum in Österreich definitiv eine Unterversorgung in Bezug auf Kopfschmerzen herrscht.

Eva Kaiserseder

medinlive: Sie sind Neurologin und unter anderem Leiterin der Kopfschmerzambulanz im Klinikum Klagenfurt. Welche Menschen kommen zu Ihnen, welche Probleme begegnen Ihnen häufig? 

Sonja Tesar: Wir in den Spezialambulanzen betreuen hauptsächlich Menschen mit primären Kopfschmerzen, also Kopfschmerzen, die nicht von Unfällen oder Ähnlichem herrühren. Das sind neurologische Erkrankungen und dazu gehören als typische Vertreter etwa Spannungskopfschmerzen, Migräne oder der Clusterkopfschmerz. Was wir dort so gut wie nicht sehen, ist der sekundäre Kopfschmerz, der etwa durch einen Sturz ausgelöst wird. Diese Menschen kommen natürlich in die Akutambulanzen. Erst wenn sich daraus ein posttraumatischer Kopfschmerz entwickelt, landen die Patient:innen wieder bei uns.

Zu uns kommen die Menschen, die bewusst an spezifischer Stelle Hilfe suchen. Weil diese Fälle schon herausfordernder sind und der Hausarzt oder niedergelassene Neurologe unsere zusätzliche Expertise möchte. Wir sehen also oft die etwas komplexeren oder bereits chronischen Fälle, die schon einiges an Therapie hinter sich habe. Die durch Selbstmedikation und Chronifizierung des zugrundeliegenden Kopfschmerzes in einer schwierigeren diagnostischen und therapeutischen Situation sind. Es gibt auch Patient:innen, die mit einem chronischen Kopfschmerz aufgrund von jahrzehntelangem Schmerzmittelgebrauch in Eigenbehandlung kommen und wo nie jemand dem ursächlichen Kopfschmerz auf den Grund gegangen ist. Wir haben in Österreich jedenfalls definitiv eine Unterversorgung von Kopfschmerzpatient:innen. Das Thema hat nicht den Stellenwert, den es eigentlich allein schon aufgrund der vielen Betroffenen von alleine einer Million Migränepatienten österreichweit bräuchte.

medinlive: Menschen, die mehrmals in der Woche ihren Kopfschmerz mit Schmerzmedikamenten wie etwa Paracetamol oder Ibuprofen behandeln, sich selbst aber nie als Kopfschmerzpatient:innen einstufen würden. Fehlt es hier vielleicht auch an Bewusstsein?

Tesar: Wir leben im Prinzip in einer Gesellschaft, die sich schwertut zu akzeptieren, dass es eigenständige Kopfweherkrankungen gibt. Wir haben gelernt und verinnerlicht, das Kopfweh eben dazugehört, wenn man zu wenig getrunken hat, sich zu wenig bewegt, zu wenig lüftet, viel sitzt oder am Vortag zu tief ins Glas geschaut hat. Diese Menschen therapieren sich selbst mit den gängigen Schmerzmitteln.

Es gibt allerdings auch eine andere Gruppe an Menschen, die gelernt hat, dass akuter Schmerz ein Warnsignal des Körpers ist und die durchaus zum Hausarzt oder gar in die Akutambulanz geht und das abklären möchten. Dann passiert meist Folgendes, weil schlicht die Zeit fehlt, so einen Fall von A bis Z aufzurollen: Die Patient:innen bekommen ein Schmerzmittel und oft eine Zuweisung zum MRT oder CT. Definitionsgemäß ist das MRT allerdings bei Kopfschmerzerkrankungen unauffällig, da ja keine andere Erkrankung zugrunde liegt – generell sind aber auch primäre Kopfschmerzen in speziellen MRTs (Studien) und Laboruntersuchungen nachweisbar und damit auch belegbar.

Die Patient:innen erhalten jedoch sozusagen durch das unauffällige MRT oder CT die Bestätigung, dass es keinen tieferliegenden körperlichen Grund für die Kopfschmerzen gibt. Und ist frei nach dem Motto „Sie haben ja gar nichts!“ auf sich selbst gestellt. Unter Umständen bekommen die Patient:innen dann noch eine Überweisung zum Neurologen mit einer durchschnittlichen Wartezeit von drei bis sechs Monaten, mit etwas Glück wird dann z.B. die Diagnose Migräne gestellt und die Patient:innen bekommen zumindest eine Grundversorgung. Dabei bräuchte es hier eine Weiterbetreuung, weil Kopfschmerz eine sehr komplexe Diagnose ist und ein multimodales Therapiesetting erfordert. Wir sind hier in Österreich jedenfalls deutlich unterversorgt. Und so beginnt die Reise für viele Patient:innen.

medinlive: Wenn Sie als auf Kopfschmerz spezialisierte Neurologin jemanden mit Verdacht auf Migräne bekommen: Wie gehen Sie dann weiter vor?

Tesar: Ich stelle spezifische Fragen, etwa: Wie ist der Kopfschmerz von der Stärke und Charakteristik her? Betrifft er den ganzen Kopf, ist er einseitig, wechselseitig, punktuell oder ein z.B. ein Münzkopfschmerz? Wie fühlt er sich an, elektrisierend oder dumpf? Und ich erörtere die Dauer des Kopfschmerzes, wie lange er schon da ist, ob er erst vor kurzer Zeit aufgetreten ist oder schon vor Jahren. Wichtig ist auch, typische Auslösermomente zu hinterfragen, etwa wenn Alkohol getrunken wird, was typisch für den Clusterkopfschmerz wäre. Oder ob Kopfschmerzen immer zur Zeit der weiblichen Monatsblutung auftauchen. Typisch ist außerdem der Abfall von Stress: Wenn die Entspannung einsetzt und gleichzeitig das Kopfweh kommt. Die Anamnese ist extrem wichtig und dafür nehme ich mir viel Zeit.

Was zusätzlich von großer Bedeutung ist: Ob und wie sehr schon eine psychische Belastung vorhanden ist. Gibt es schon Hinweise auf eine Angststörung? Nehme ich schon eine Tablette, weil ich mich vor der nächsten Attacke fürchte? Oftmals sind Depressionen eine Begleiterkrankung, die mit chronischer Migräne assoziiert sind, man ist damit ja unweigerlich in einer sozialen Isolation oder zumindest eingeschränkt in seinem Alltag, man muss Termine absagen oder traut sich gar keine mehr auszumachen, kann vielleicht nicht mehr wandern oder sporteln gehen.

In unserer Wahrnehmung müssen wir uns jedenfalls distanzieren, dass Kopfschmerz alleine als Symptom besteht, denn es ist nur EIN Symptom. Zu so einer komplexen Erkrankung gehören ganz viele Faktoren, denken Sie an Lichtempfindlichkeit oder Übelkeit. Bei der Diagnosefindung orientiert man sich am Kriterienkatalog der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft und definiert, ob es sich um einen Clusterkopfschmerz, eine Migräne, eine Trigeminusneuralgie oder andere Kopfschmerzarten handelt. Und dann gilt es, nach dieser Zeit, wo man die Patient:innen kennenlernt, viel mit ihnen bespricht, neurologische Untersuchungen macht, die natürlich unauffällig sein müssen, eine individuelle Therapie zu finden. Wie lebt der Patient, hat er etwa Schichtdienst und unregelmäßige Schlaf- und Wachzeiten, welche Medikamente kann man geben mit Blick auf mögliche Nebenwirkungen, braucht er akute Therapie oder Prophylaxe, müssen wir den aktuellen Medikamentengebrauch schon einbremsen und dafür andere Medikamente benutzen, die die insgesamte Frequenz bremsen und eine Remission herstellen – solche Faktoren muss man dann berücksichtigen.

medinlive: Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, wie komplex das Thema Kopfschmerz ist. Laienhaft gefragt, geht es darum, die Erkrankung, so sie schon chronisch ist, wegzubekommen oder geht es darum, mit ihr leben zu lernen? Und wie ist es dabei um die medizinische Interdisziplinarität bestellt?

Tesar: Sinnvoll ist es natürlich, es nicht zur Chronifizierung kommen zu lassen, aber Migräne und Cluster sind an sich unheilbare Kopfschmerzerkrankungen in dem Sinn, dass man sie nicht einfach beseitigen oder gar wegoperieren kann. Das heißt, man muss lernen, diese Erkrankung zu managen. Grundsätzlich läuft es auch hier wie überall im Leben wellenförmig und nicht immer gleich ab, aber die Krankheit wird immer da sein. Daher ist es ein wesentlicher Ansatz zu sagen, ja, ich akzeptiere die Krankheit, aber die Migräne dominiert mein Leben nicht vollständig, sondern ich habe Wege gefunden, damit umzugehen. Dieses multimodale Setting braucht gute betreuende Ärzt:innen und Physiotherapeuten. Auch Psychotherapie ist wichtig. Damit schafft man unterschiedliche Zugänge.

Ärtz:innen sind natürlich für die medikamentöse Versorgung zuständig, der Physiotherapeut kümmert sich um Aktivität und Körpergespür und mit dem Psychotherapeuten kann man sich zum Beispiel Dinge wie die kognitive Verhaltenstherapie anschauen, wobei es ganz intensiv um Selbstwirksamkeit geht. Denn grundsätzlich ist der erste Gedanke bei so einer Diagnose Rebellion. Man möchte so eine Krankheit, die beeinträchtigend ist, nicht haben. Apropos, Migräne steht etwa bei Menschen unter 50 auf Platz eins der am meisten beeinträchtigenden Krankheiten. Diese große Belastung spüren Patient:innen natürlich. Und deswegen ist hier die Selbstverantwortung so wichtig, auch weil man sich dann weniger ausgeliefert fühlt.

medinlive: Wir haben das Thema Hormone schon kurz erwähnt. Einmal ist die Migräne assoziiert mit der Menstruation, einmal im Zusammenhang mit dem so genannten Wechsel, also der Menopause. Welche Bedeutung haben Hormone Ihrer Erfahrung nach tatsächlich als Trigger?

Tesar: Hier geht es tatsächlich hauptsächlich um Migräne und die ist absolut getriggert durch den Östrogenabfall bei der Menstruation. Umgekehrt ist der konstante Östrogenlevel etwa im zweiten Trimenon einer Schwangerschaft oder nach der Menopause für viele Migränepatientinnen eine große Erleichterung. Grundsätzlich gilt, ein Auf und Ab bei den Hormonen kann als Trigger fungieren.

medinlive: Stichwort Therapie: Welche Wirkstoffe, welche Medikamente und Ansätze sind denn State of the Art bei Migräne oder Clusterkopfschmerzen?

Tesar: Zur Akuttherapie bei der Migräne zählen natürlich nach wie vor die NSAR, also die nichtsteroidalen Antirheumatika. Dazu zählen Ibuprofen oder Naproxen, in zweiter Wahl auch Metamizol. Nicht mehr erste Wahl ist Paracetamol. Dann gibt es natürlich die seit 30 Jahren spezifisch für Migräne zugelassenen Triptane. Neu sind die Ditane und Gepante, die für die Akuttherapie der Migräne in Europa zugelassen sind.

medinlive: Wie sieht der Weg zur individuellen Therapie aus?

Tesar: Bei der Migräne gilt, so früh wie möglich das am besten wirksamste Präparat zu nehmen. Beurteilt wird dabei die Schmerzfreiheit zwei Stunden nach Einnahme, zudem gilt als Kriterium die Befreiung von den am meisten beeinträchtigenden Symptomen. Wenn z.B. vor allem Übelkeit oder Lichtempfindlichkeit und gar nicht so konkret der Kopfschmerz im Vordergrund stehen, zählt auch, ob diese Faktoren sich verringern. Die bleibende Schmerzfreiheit ist natürlich auch entscheidend, ob ein Akutmedikament wirksam ist oder nicht.

Zu den Triptanen sollte man erwähnen, sie haben leider zu Unrecht nach wie vor ein eher schlechtes Image, was mit ihrer Einführung vor über 30 Jahren zu tun hat. Deswegen werden sie nicht in dem Umfang verordnet, wie es eigentlich sein sollte.

medinlive: Welches Problem gab es damals?

Tesar: Triptane sind ja kontrainduziert bei Patient:innen, die von Herz-Kreislauferkrankungen betroffen sind, weil sie gewisse gefäßverengende Effekte haben. Heute wissen wir jedoch, dass ihr Hauptmechanismus der Wirkung nicht über die Gefäße, sondern über Serotonin-Rezeptoren funktioniert. Außerdem wurden sie als recht starke Medikamente mit Nebenwirkungen wie etwa Müdigkeit in den Markt eingeführt. Und damit hatten sie das Image der „schweren Medikamente“ und das sind sie nie richtig losgeworden. Dabei haben wir mittlerweile so viele Daten, dass man sich von einer eventuellen Gefahr fast völlig distanzieren kann. Selbst Schwangere können Triptane problemlos nehmen, was Aborte, frühkindliche Entwicklungsstörungen oder Fruchtschädigung betrifft, sie sind laut den wissenschaftlichen Daten harmlos. Wir haben hier sehr viele Belege, weil ja wesentlich mehr Frauen als Männer Migräne haben und sie im Anfangsstadium ihrer oft noch nicht bekannten Schwangerschaft die Triptane weiter nehmen.

medinlive: Und beim Clusterkopfschmerz, der ja etwas völlig anderes als die Migräne hinsichtlich Schmerzempfinden und Schmerzstärke ist? Wie geht man hier vor?  

Tesar: Das ist ein Schmerz, der in Extremfällen schon zu Suiziden geführt hat, ein wirklich brutaler Kopfschmerz. Ganz wichtig ist, diesen Schmerz nicht mit der Migräne zu verwechseln und ihn richtig zuzuordnen, denn er wird ganz anders behandelt. Es gibt einen Akutnasenspray und einen Pen mit Triptanen, aber auch hochdosierten Sauerstoff, der in einem speziellen Verfahren vornübergebeugt 15 Minuten wirklich intensiv inhaliert wird, wir sprechen hier von 10 bis 15 Litern. Die zweite Wahl ist ein Lidocain-Nasenspray. Wenn der Cluster, der typischerweise in Episoden abläuft, beginnt, fängt man mit höher dosiertem Cortison an. Einschleichend dosiert man ein Medikament, das aus der Herzbehandlung kommt, das Verpamil. Das ist ein Kalziumantagonist, den man aufdosieren muss. Auch Topiramat spielt eine Rolle.

Monoklonale CRGP Antikörper für episodische Cluster sind in den USA zugelassen mit einem einzigen Vertreter, in Europa leider jedoch nicht. Wir haben allerdings gute Erfolge mit einer angepassten Dosierung. Das probieren wir dann, wenn wir Patient:innen haben, bei denen alle anderen Therapiewege und Medikamente nicht geholfen haben. Und bevor wir einen chronischen Cluster riskieren, ist dieser so genannte individuelle Heilversuch – wie gesagt, in Österreich fehlt hierfür die Zulassung – ein gangbarer Weg. Dieses Ausprobieren vor dem Hintergrund vieler Erfahrungswerte, der Kenntnis aktueller Literatur und dem Stand der Wissenschaft ist unter anderem Aufgabe der Spezialambulanzen bzw. uns Spezialisten. Wir sind in der Thematik natürlich sehr stark verankert und können dieses komplexe Wissen dann unseren Patient:innen zur Verfügung stellen. Leider gibt es hier zu wenige Kopfschmerzambulanzen, wenn man sich die Zahlen ansieht: In Österreich sind eine Million Menschen von Migräne betroffen, beim Cluster sind es zum Glück deutlich weniger. Und pro Bundesland gibt es meist eine Kopfschmerzambulanz, in Wien mehrere.

medinlive: Stichwort Trigger: Was sind denn klassische Auslöser?

Tesar: Beim Cluster ist es der Alkohol, zudem beginnen die Episoden ganz klassisch im Frühling und Herbst und ca. 90 Minuten nach dem Einschlafen. Warum das so ist, wissen wir nicht genau. Und die Migräne hat oft mit dem Hormonwechsel zu tun, dem Östrogenabfall. Und jede Form der Dysbalance, sei es Stressabfall, Unregelmäßigkeiten im Schlaf/Wachrhythmus oder Unterzuckerung etwa nach dem Sport, kann ebenfalls Attacken auslösen. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass eine totale Vermeidung der Trigger unmöglich ist, aber dass man sie erkennen kann und dann etwa medikamentös reagieren kann. Ganz wichtig ist es mir nochmals zu betonen, dass Triptane zu Unrecht immer noch ein schlechtes Image haben. Sie sind große Stützen in der Behandlung von Kopfschmerzen und sehr sicher in der Anwendung. 

medinlive: Wie sieht es in der Prophylaxe aus, was findet Anwendung und ab welchem Zeitpunkt sollte man hier agieren?

Tesar: Wenn eine Akuttherapie mehrmals im Monat eingenommen werden muss, sollte man über Prophylaxe sprechen.

Hier gibt es herkömmliche Substanzklassen, dazu zählt etwa die Valproinsäure, die für Migräne zugelassen ist, aber mittlerweile obsolet für Frauen im gebärfähigen Alter ist, weil sie fruchtschädigend sein kann. Zudem können in der prophylaktischen Therapie Betablocker zum Einsatz kommen oder neben trizyklischen Antidepressiva auch ein Calciumantagonist sowie ein anderes Antiepileptikum, Topiramat, das als potentes Prophylaktikum wirkt. Valproinsäure kommt ja ebenfalls aus der Epilepsiebehandlung.

Diese Substanzklassen hatte man in Österreich bis Herbst 2018 zur Verfügung. Bis dahin musste man bei der Medikation auch beachten, ob die Patient:innen eher quirlig und nervös, wo Betablocker gut geeignet wären, oder ob sie eher ruhig und gelassen sind. Bei Patient:innen, die unter Schlafstörungen leiden, ist zum Beispiel Amitriptylin, ein trizyklisches Antidepressivum, ideal, denn das wirkt als Nebeneffekt schlaffördernd. Und so hat man sich hier beholfen.

2018 kamen dann die monoklonalen CGRP Antikörper und das war eine Revolution, denn damit haben wir eine spezifische Prophylaxe, die wirklich wunderbar funktioniert. Bei 75 bis 80 Prozent aller Migränepatient:innen helfen diese Antikörper. Und wir sprechen hier von einer Pen-Verabreichung einmal im Monat oder einer Infusion alle drei Monate, was natürlich sehr bequem ist. Die Nebenwirkungen sind minimal, wir sprechen hier von einer rinnenden Nase oder Schmerzen an der Einstichstelle und der Wirkungseintritt ist äußerst schnell.

Auch die schon erwähnten Gepante sind neu und werden auch prophylaktisch eingesetzt, derzeit fehlt jedoch noch die Erstattungsmöglichkeit.

medinlive: In Laienmedien ist manchmal die Rede von einer so genannten Impfung gegen Migräne, ist das damit gemeint?

Tesar: Ja, genau, nur wäre eine Impfung etwas, dass das „Problem“ längerfristig saniert. Wir wissen jedenfalls schon länger, dass das Molekül welches hier „angegangen“ und bekämpft wird, ein Hauptplayer in der Entstehung von Migräneattacken ist. Man sieht das ganz deutlich im Blut von Migränepatient:innen, dass das CRGP ansteigt, wenn eine Attacke entsteht. Damit konnte man passende Antikörper finden. Auch bei den Gepanten gab es schon länger Studien, die aber dann durch Leberwerterhöhungen und andere Nebenwirkungen wieder hinfällig wurden. Jetzt stehen sie endlich zur Verfügung. In Europa haben wir das Rimegepant als Vertreter, in den USA gibt es einige mehr. Hier tut sich grundsätzlich sehr viel.

medinlive: Wie betroffen sind eigentlich Kinder vom Kopfschmerz?

Tesar: Schon sehr häufig, am häufigsten ist der Spannungskopfschmerz vertreten. In Oberösterreich wurde unter anderem vor Jahren von mir die erste Kinderkopfschmerzambulanz gegründet, am Linzer AKH, die es leider nicht mehr gibt. Die Therapie stellt uns Ärzt:innen vor Herausforderungen: Kindern will man ohnehin nicht gerne Medikamente geben, zudem gibt es für viele Medikamente Zulassungen erst ab 12 oder 18 Jahren. Wir behelfen uns hier in der Akuttherapie aufgrund langjähriger Erfahrungen und leitlinienkonform mit Triptanen, wo wir wissen, dass sie sicher sind. Ein Triptan mit der Zulassung ab 12 Jahren gibt es ohnehin, wir wissen aber auch bei anderen Triptanen, dass sie gute Erfolge und keine schweren Nebenwirkungen zeigen. Es laufen auch erste Studien zu den CRGP-Antikörpern bei Kindern, die hoffentlich bald publiziert werden. Ansonsten arbeiten wir mit Betablockern in der Prophylaxe oder Flunarizin, einem Calciumkanalantagonisten. Auch Topiramat ist zugelassen, aber das ist sehr reich an Nebenwirkungen und zeigt sich etwa mit Kribbeln in den Fingern oder Wesensveränderungen, sprich, sehr unangenehmen Dingen.

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Sonja Tesar Porträt
Die Neurologin Sonja Tesar hat sich auf die Behandlung von Kopfschmerz spezialisiert, unter anderem leitet sie die Kopfschmerzambulanz im Klinikum Klagenfurt.
Gernot Gleiss_Gleiss Photo
„Wir leben im Prinzip in einer Gesellschaft, die sich schwertut zu akzeptieren, dass es eigenständige Kopfweherkrankungen gibt. Wir haben gelernt und verinnerlicht, das Kopfweh eben dazugehört, wenn man zu wenig getrunken hat, sich zu wenig bewegt, zu wenig lüftet, viel sitzt oder am Vortag zu tief ins Glas geschaut hat."- Sonja Tesar
„2018 kamen dann die monoklonalen CGRP Antikörper und das war eine Revolution, denn damit haben wir eine spezifische Prophylaxe, die wirklich wunderbar funktioniert. Bei 75 bis 80 Prozent aller Migränepatient:innen helfen diese Antikörper."