„Grüne Gentechnik“: Forschungsinstitute gegen „ideologische Debatte“

Schon bald soll die neue EU-Richtlinie zu gentechnisch veränderten Pflanzen vorliegen. Ein geleakter Verordnungsentwurf der Kommission sah Erleichterungen für den Einsatz von „Neuer Gentechnik“ (NGT) vor, was NGOs sofort kritisierten. Österreichische Forschungsinstitutionen pochen nun in einem „Offenen Brief“ auf eine weniger „ideologisch geführte Debatte“. Grüne Gentechnik solle „auf Basis von wissenschaftlicher Evidenz“ bewertet werden.

red/Agenturen

Einer der zentralen Gründe, die „Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt“ zu überarbeiten, ist die Entwicklung der „Genschere“ (CRISPR/Cas). Mit ihr können mittlerweile ganz gezielt und mit relativ wenig Aufwand Veränderungen im Erbgut vorgenommen werden.

Das hat eine Art wissenschaftliche Revolution ausgelöst und den Entdeckerinnen - Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna - im Jahr 2020 den Chemie-Nobelpreis eingebracht. In dem Offenen Brief, der u.a. vom Präsidenten der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Heinz Faßmann, vom Chef des Wissenschaftsfonds FWF, Christof Gattringer, dem Präsidenten des Institute of Science and Technology Austria (ISTA), Martin Hetzer, dem Geschäftsführer des Austrian Institute of Technology (AIT), Wolfgang Knoll, und den Rektorinnen und Rektoren der Unis Wien, Innsbruck und Graz sowie der TU und Boku in Wien unterzeichnet wurde, ist in dem Zusammenhang von einem „Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte“ die Rede.

Forscher:innen kritisieren zu strenge Reglementierung

In der Richtlinie aus dem Jahr 2001 wurde zum Beispiel das Verändern des Erbguts innerhalb einer Art und das Einbringen von Fremdgenen gleichermaßen streng reglementiert. Das wurde von Forscher:innen in der Vergangenheit mehrfach kritisiert. Die nun verfügbaren Methoden zur „Gen-Editierung“ basierten „auf einem natürlichen molekularbiologischen Prinzip, bei dem bereits vorhandene Gene gezielt verändert werden. Ähnliche Veränderungen könnten auch durch konventionelle Züchtung auftreten, sind durch konventionelle Methoden jedoch wesentlich langsamer zu erreichen“, betonen die Unterzeichner.

Der Argumentation folgt auch der Kommissionsentwurf, demzufolge beispielsweise Verfahren wie die CRISPR/Cas-Genschere keinen EU-Gentechnikregeln unterliegen würden, wenn die so entwickelten Sorten auch durch Verfahren wie Kreuzung oder Auslese hätten entstehen können. Solche Züchtungen würden dann unter die sogenannte „Kategorie 1“ der durch neue Techniken (NGT) gezüchteten Pflanzen fallen, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) kürzlich vermeldete.

Die wissenschaftlichen Einrichtungen weisen in ihren Ausführungen nun vor allem auf die Chancen durch die Gen-Editierung hin. „In fast 700 erforschten Beispielen in über 40 Pflanzenarten“ konnten demnach „größere Schädlingsresistenzen, verbesserte Eiweiß- oder Fettsäurezusammensetzungen oder weniger unverträgliche Inhaltsstoffe erzielt werden“. Die „Grüne Gentechnik“ könne also auch einen wichtigen Beitrag zur Klimawandelanpassung leisten, heißt es in dem Papier. Dort spricht man sich daher gegen den Aufbau von „unüberwindbaren Hürden für die Forschung, die Freilanderprobung und das Inverkehrbringen“ aus.

Kommissionsvorschlag „ist das Gegenteil von Wissenschaft“

Bewertet sollten Pflanzen nach ihren Eigenschaften und nicht nach ihrer Art der Erzeugung werden. Damit liege man auf einer Linie mit den Argumentationslinien der deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina oder des European Academies Science Advisory Councils. In Richtung Politik, Interessensvertretungen und NGOs richten die Unterzeichner der Briefes den Appell, mit der Wissenschaft in Dialog zu treten, und nicht mit einer ideologisch aufgeladenen Diskussion Ängste bei Bürgerinnen und Bürgern zu schüren und der „Wissenschaftsfeindlichkeit“ in die Hände zu spielen.

Einen gänzlich anderen Ton schlugen am Mittwoch Vertreter:innen von NGOs bei einem Online-Pressegespräch an. Der bekannt gewordene Entwurf sei unwissenschaftlich und willkürlich, hieß es. „Der ganze Kommissionsvorschlag ist das Gegenteil von Wissenschaft“, sagte Eva Corral von Greenpeace. Die Kommission nehme die Versprechen der Industrie einfach für bare Münze und verzichte auf bisherige Standards im Umgang mit möglichen Risiken. Noa Simon Delso von BeeLife beklagte das Fehlen von umfassenden Daten. „Es gibt jede Menge offener Fragen und keinen Grund, auf eine ordentliche Folgenabschätzung zu verzichten“, meinte Helmut Burtscher-Schaden, Sprecher der Europäischen Bürgerinitiative „Save Bees and Farmers“.

Service
Der Offene Brief online

Genmais
Der viel zitierte "Genmais" wird immer wieder ins Treffen geführt. Die wissenschaftlichen Einrichtungen weisen in ihren Ausführungen nun vor allem auf die Chancen durch die Gen-Editierung hin.
Andreas Varnhorn / Greenpeace