Neue Rollenbilder für Ärztinnen gefordert

Obwohl die Medizin immer weiblicher wird, sind Ärztinnen mit vielen Benachteiligungen konfrontiert. Um Frauenkarrieren zu fördern braucht es neben familienfreundlichen auch strukturelle Maßnahmen, betont Karin Gutierrez-Lobos, Ärztliche Direktorin in der Krankenanstalt Rudolfstiftung, kürzlich bei einer Veranstaltung in Wien. Und auch Netzwerke und Rollenbilder müssen gestärkt werden, so der Tenor der Expertinnen am Diskussionspanel.

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Die Anzahl der heimischen Ärztinnen verdoppelte sich in den letzen 20 Jahren. 48,41 Prozent der österreichischen Medizinabsolventen sind weiblich, bei den Studienanfängern sind es sogar 54,09 Prozent. „Der hohe Frauenanteil unter den Medizinerinnen ist ein Ergebnis der Frauenbewegungen und der Forderung nach Gleichberechtigung. Gleichzeitig mit einem drohendem Ärzte und Ärztinnenmangel  gibt es gerade jetzt sehr viel Dynamik im System“, beschreibt Cornelia Hieber, Leiterin des Referats für Gendermainstreaming und Diversity Management der Ärztekammer für Wien, den Status quo von Frauen in der Medizin und damit den Hintergrund der Expertendiskussion. 

„Bergdoktor könnte langsam in Pension gehen“

„Die Feminisierung der Medizin muss zu fairen Einkünften führen und darf nicht benutzt werden, Tarife zu drücken“, fordert Maria M. Hofmarcher-Holzhacker, Direktorin HS&I Health SystemIntelligence; Vorstandsmitglied aha. Austria Health Academy. Es bestehen deutliche Einkommenslücken zu ungunsten von Ärztinnen. Der Gesundheitsexpertin zufolge verdienen sie zwischen 30 und 50 Prozent weniger als Männer. Über die Gründe kann nur spekuliert werden: „Machen Männer öfter 'Mehrdienste'?, profitieren von 'Männerprämien'?, liegt es am 'Frauenmoll'?, der Region oder der Zahlungsbereitschaft?“, wirft sie in den Raum. Klar sei, dass Frauen in Fachgruppen mit hohen Einkünften deutlich unterrepräsentiert sind, betont Hofmarcher-Holzhacker.

„Frauen müssen mehr wollen und die Medien andere Bilder setzen“, greift die Gesundheitsexpertin ein grundlegendes Problem auf. Denn mit Fernsehserien wie dem „Bergdoktor“ oder der „Landärztin“ werden mediale Bilder erzeugt, die reflektiert werden müssen. „Es müssen neue Bilder her“, appelliert sie und ergänzt: „der Bergdoktor könnte schön langsam in Pension gehen“. In dieselbe Kerbe schlägt auch Gutierrez-Lobos. Sie plädiert dafür aktiv Propaganda für erfolgreiche Ärztinnen zu machen.

Karriere den Umständen angepasst 

Während die „Karriere“ von männlichen Ärzten Untersuchungen zufolge eher linear verläuft, nimmt sie bei Ärztinnen einen diskontiuerlichen Verlauf an. Grund dafür: Ärztinnen passen ihre Karriereplanung den Umständen an. Dabei wurde die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als eine der zentralen Karrierehürden identifiziert.

„Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf nicht als ein ausschließlich privates, sondern muss als gesellschaftliche und betriebliche Herausforderung verstanden werden“, betont Gutierrez-Lobos. 

Zu familienfreundlichen Maßnahmen zählen etwa die betriebliche Kinderbetreuung, unterschiedliche Kinderbetreuungsangebote (wie Ferien- und Notfallbetreuung), flexible Arbeitszeit, eine familiengerechte Dienstplanung, Telearbeit (etwa für Wissenschafterin), Wiedereinstiegsprogramme, Väterkarenz, die individuelle Unterstützung (wie coaching und mentoring), Serviceleistungen für Familien (Gesundheitsangebote, Elternseminare, …) und nicht zuletzt Incentives für familienfreundliche Maßnahmen (familienfreundliche Spitäler, Gruppenpraxen). Teilarbeitszeitmodelle seien unter den bestehenden Rahmenbedingungen wenig geeignet, um Klinikärztinnen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu entlasten, erläutert sie.

Familienfreundliche Maßnahmen alleine reichen nicht

Zwar seien familienfreundliche Maßnahmen wichtig, um Karrierehürden abzubauen, aber „alleine nicht ausreichend“, unterstrich Gutierrez-Lobos. Es gehe auch um kulturelle Veränderungen von Organisationen. Diese Maßnahmen sollten in Universitäten und Institutionen verankert sein. Diesem Appell schließt sich auch Hofmarcher-Holzhacker an: Frauen sollten mehr in den Institutionen des Gesundheitswesens vertreten sein. Denn die Steuerung und Verwaltung der Strukturen sei männerdominiert, und auch das Gesundheitssystem insgesamt sehr „arztdominiert“, erläutert sie.

Schlussendlich sei es besonders wichtig mehr auf die Gemeinsamkeiten der Geschlechter zu schauen, als auf die Unterschiede, denn Ärztinnen und Ärzte haben gemeinsame Ziele, so Gutierrez-Lobos. Einig waren sich die Expertinnen auch bei dem Wunsch, dass sich mehr Frauen in der Ärztekammer engagieren sollen. 

Bevorzugung von Männern und Männernetzwerke

Die Benachteiligung von Frauen in der Medizin hat auch eine Studie bestätigt, die kürzlich im Auftrag der Österreichischen Ärztekammer von Peter Hajek Public Opinion Strategies erstellt wurde (Onlinebefragung von 2.497 österreichischen Ärztinnen = 11,3 Prozent der Grundgesamtheit von ca. 22.050 Ärztinnen). Demnach sind Familienplanung und Kinderbetreuung nach wie vor zentrale Karrierehindernisse für Frauen in der Medizin. Auch zu wenig Förderung durch Vorgesetzte bzw. in der Turnusausbildung sowie die Bevorzugung von Männern im beruflichen Alltag behindern die Karriere – wobei dabei auch Männernetzwerke ein Thema sind.

Weiters sind 33 Prozent der Ärztinnen nicht in dem Fachbereich tätig, auf den sie sich ursprünglich spezialisieren wollten, bei 42 Prozent von ihnen war die Familienplanung ausschlaggebend dafür. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird mit einem Mittelwert von 3,2 „nur sehr mäßig“ beurteilt, wie Studienautorin Alexandra Siegl ausführt.

67 Prozent der Ärztinnen, die Kinder haben, haben den Großteil der Kinderbetreuung selbst übernommen, nur bei mageren 6 Prozent hat dies der Partner getan. Karriereeinbußen werden damit einhergehend vorwiegend bei Frauen geortet. Frauenfeindliches Verhalten ist (auch) im medizinischen Bereich ein Problemthema, auch wenn sexuelle Übergriffe die absolute Ausnahme sind: „Meist handelt es sich um geringschätzige und/oder anzügliche Bemerkungen, die von einer Mehrheit der Ärztinnen erlebt oder beobachtet werden“, so Siegl.

Die Umfrageergebnisse im Detail

Insgesamt sind 75 Prozent der Ärztinnen mit ihrer Karriereentwicklung (sehr) zufrieden (26 bzw. 49 Prozent). Diesem an sich erfreulichen Wert stehen aber immerhin 23 Prozent der Befragten gegenüber, die unzufrieden mit ihrer Karriereplanung sind – wobei auffällig ist, dass dies vor allem Spitalsärztinnen betrifft: 30 bzw. 26 Prozent der in Ausbildung stehenden bzw. danach im Spital tätigen Ärztinnen gaben an, unzufrieden mit ihrer Karriereentwicklung zu sein, während es bei den niedergelassenen Allgemeinmedizinerinnen bzw. Fachärztinnen lediglich 13 bzw. 9 Prozent waren.

Das bei Weitem am häufigsten genannte Karrierehindernis waren die Familienplanung und Kinderbetreuung: Fast zwei Drittel aller Ärztinnen in Österreich (61 Prozent) sehen diese Parameter als Grund dafür, beruflich nicht entsprechend weiterzukommen. Danach folgen mit jeweils ähnlichen Werten zu wenig Förderung durch Vorgesetzte (37 Prozent), zu wenig Förderung in der Turnusausbildung in relevanten Wissensbereichen (32 Prozent), die Bevorzugung von Männern bei interessanten Jobs bzw. Führungspositionen (31 Prozent) sowie der Umstand, dass Ärztinnen generell weniger zugetraut wird als Ärzten (30 Prozent, Mehrfachnennungen möglich).  Auch interessant: Immerhin jede vierte Ärztin vermisst ein ausreichendes berufliches Netzwerk. Und insgesamt 74 Prozent meinen, dass Männer im Arztberuf über bessere Netzwerke verfügen und sich gegenseitig stärker zu interessanten Jobs verhelfen als Frauen.

Petra Preiss, Präsidentin der Ärztekammer für Kärnten und Referentin für Gender-Mainstreaming und spezifische Berufs- und Karrieremodelle von Ärztinnen der ÖÄK, sieht hier die Ärztinnen in einer Art Doppelzwickmühle: „Netzwerke aufzubauen ist zeitintensiv, und die Mehrfachbelastung lässt dafür wenig Raum. Frauen werden sich aber trotzdem in Zukunft zusammentun müssen, die Ärztekammer und wir als Genderreferat können da mithelfen.“

Ähnlich ernüchternd aus Ärztinnensicht ist die Beantwortung der Frage, ob Frauen in ihrer Karriere von Vorgesetzten bzw. Kolleginnen und Kollegen gleichermaßen unterstützt werden wie Männer. Nicht einmal jede vierte Ärztin (23 Prozent) glaubt dies, während 66 Prozent der Meinung sind, dass Männer mehr unterstützt werden. Was ein bisschen hoffnungsfroh stimmt: Bei den Ärztinnen in Ausbildung, also den jungen Kolleginnen, sind es immerhin 27 Prozent, die von einer Chancengleichheit ausgehen. Dass Frauen in ihrer Karriereplanung mehr unterstützt werden als ihre männlichen Kollegen, hat übrigens kaum eine der 2497 befragten Ärztinnen angegeben (unter 1 Prozent).

Nicht in dem Fachbereich, in den man ursprünglich wollte

Hinsichtlich der Art der ärztlichen Tätigkeit hat sich gezeigt, dass fast die Hälfte der angestellten Ärztinnen im Spital bleiben möchte (46 Prozent), währenddessen 39 Prozent als niedergelassene Ärztinnen bzw. in einem sonstigen angestellten Dienstverhältnis (z.B. Ambulatorium) arbeiten möchten. Als Gründe für die Niederlassung gelten bessere Arbeitszeiten (keine Nacht- und Wochenenddienste zu haben gaben 75 Prozent jener, die in Zukunft niedergelassen/freiberuflich arbeiten möchten, als Grund dafür an), die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie (66 Prozent), „ich wollte schon immer meine eigene Chefin sein“ (59 Prozent) sowie Unzufriedenheit mit der beruflichen Entwicklung im Spital (38 Prozent, Mehrfachnennungen möglich). Lediglich 28 Prozent der befragten Ärztinnen gaben an, dass es schon immer/schon länger ihr Wunsch sei, in die Niederlassung zu gehen.

Als besonders belastende Faktoren im Arbeitsalltag werden von den angestellten sowie freiberuflich tätigen Ärztinnen vornehmlich zu viel Bürokratie (65 bzw. 62 Prozent), zu wenig Zeit für Patienten (46 bzw. 39 Prozent) sowie die Nacht- und Bereitschaftsdienste (angestellte Ärzte: 39 Prozent) und zu geringe Unterstützung durch die Sozialversicherungsträger (freiberuflich tätige Ärztinnen: 32 Prozent, Mehrfachnennungen möglich) genannt.

Die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie dürfte mit ein Grund dafür sein, dass deutlich mehr Spitalsärztinnen in den Wahlarztbereich (61 Prozent jener, die in Zukunft niedergelassen arbeiten möchten) tendieren als in den Kassenbereich (20 Prozent; Rest: weiß nicht/keine Angabe). Preiss erklärt sich dies mit einem anderen schon lange bekannten Faktum, das auch durch die aktuelle Studie wieder untermauert wurde. Preiss: „Familienarbeit ist auch in Arztfamilien immer noch Frauenarbeit. Es stimmt also nach wie vor das Klischee, wonach der Mann Karriere macht, währenddessen die Frau jene beruflichen Nischen sucht, die in Einklang mit der Kinderbetreuung stehen.“

Wobei die Strategie für die niedergelassenen Ärztinnen nicht wirklich aufgehen dürfte: Bei der Frage, wie gut für Ärztinnen Beruf und Familie vereinbar sind, gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen niedergelassenen und angestellten Ärztinnen. Demnach beurteilten niedergelassene Allgemeinmedizinerinnen und niedergelassene Fachärztinnen diese Frage mit einem Wert von 3,3, bzw. 3,1 (1 = sehr gut vereinbar, 5 = überhaupt nicht gut vereinbar), bei den in Ausbildung stehenden bzw. danach im Spital tätigen Ärztinnen waren es 3,3 bzw. 3,2.

Eingeschränkte Karrieremöglichkeiten

Eindeutig sind auch die Werte, wenn es um die jeweiligen Karrieremöglichkeiten geht. Auf die Frage, ob Frauen im ärztlichen Beruf durch Kinder im Durchschnitt größere Karriereeinbußen erleiden als Männer, antworteten 66 Prozent mit „ja, auf jeden Fall“ und 29 mit „eher ja“. Lediglich 3 Prozent verneinten die Frage. Auffallend ist hier eine gewisse Altersschere: Jüngere Ärztinnen sind bei dieser Frage noch pessimistischer als ältere („ja, auf jeden Fall“: in Ausbildung stehende Ärztinnen 75 Prozent, danach im Spital tätige Ärztinnen bzw. niedergelassene Allgemeinmedizinerinnen und Fachärztinnen zwischen 58 und 64 Prozent).

Wobei sich auch die Unterstützung seitens der Dienstgeber in Grenzen halten dürfte. So haben lediglich 10 Prozent der befragten Spitalsärztinnen angegeben, vom Arbeitgeber in Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr unterstützt zu werden, immerhin 17 Prozent gaben an, überhaupt keine Unterstützung zu erfahren. Der Mittelwert beträgt hier 3,1 (1 = sehr gut, 5 = gar nicht gut).

Karrieremodelle für Ärztinnen gefordert

Auch wurden mögliche frauenfeindliche Erfahrungen im Beruf abgefragt. Gleich vorweg: Von sexuellen Übergriffen durch Vorgesetzte oder Kollegen haben „nur“ 1 Prozent („selbst erlebt“) bzw. 3 Prozent („bei anderen mitbekommen“) berichtet. Deutlich höher ist der Prozentsatz jener, die über geringschätzige Bemerkungen gegenüber Ärztinnen (47 / 27 Prozent) bzw. unerwünschte anzügliche Bemerkungen (43 / 21 Prozent) klagen. Preiss: „Wir beobachten hier eine deutlich höhere Sensibilisierung in den letzten Jahren, natürlich auch dank der aktuellen MeToo-Debatte. Trotzdem muss es unser Ziel sein, in Zukunft verstärkt darauf hinzuarbeiten, dass Übergriffe, auch wenn sie nur in verbaler Hinsicht erfolgen, als Grenzüberschreitung gesehen werden, die unter keinen Umständen toleriert werden kann.“

Immerhin 62 Prozent der befragten Ärztinnen sind grundsätzlich (sehr) zufrieden mit ihrer beruflichen Tätigkeit. Lediglich 3 Prozent haben bei der Umfrage „gar nicht zufrieden“ angegeben. Am zufriedensten sind niedergelassene Fachärztinnen (80 Prozent), am wenigsten zufrieden sind Ärztinnen in Ausbildung (Anteil der mäßig bis wenig Zufriedenen: 44 Prozent

Krankenhausbetreiber müssen mit den Gemeinden und Privatinitiativen intensiv zusammenarbeiten, um Spitalsärztinnen eine flexible Kinderbetreuung in ausreichendem Umfang zur Verfügung zu stellen. Ausfallszeiten durch Karenz sowie Teilzeit für Ärztinnen gehören fix in die Personalbedarfsplanung der Krankenhausträger. Und Karrieremodelle sollten so gestaltet sein, dass sie auch für Ärztinnen in Frage kommen. Das sind einige der Forderungen, die Preiss anlässlich des Welt-Frauentags am 8. März 2019 aufgestellt hat.

Beratungsgespräch
46.337 Ärzte sind mit Ende 2018 registriert gewesen - auf Vollzeitäquivalente umgerechnet 39.110. 7.099 Ärzte haben davon einen Vertrag mit einer Gebietskrankenkasse.
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FA
Frauenanteil unterschiedlicher Arztgruppen.
Ärztekammer für Kärnten
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Studien legen auch nahe, dass der Karriereverlauf zwischen Frauen und Männern schon vor Geburt eines Kindes unterschiedlich ist. Mit steigender Kinderzahl verschärft sich die Lage.
Gutierrez-Lobos 2015, Karolinska Institute
IHS
Frauen verlieren mit wachsender Kinderzahl, Männer gewinnen.
HSI Präsentation Hofmarcher-Holzhacker