Bei schwerem Schlaganfall ist Kathetereingriff lebensrettend

Beim Schlaganfall zählt jede Minute, bis zu der die Blut- und damit die Sauerstoffversorgung in dem betroffenen Gehirnareal wieder hergestellt werden kann. Eine große von der EU geförderte Studie mit Beteiligung von Grazer Experten hat jetzt ergeben, dass die Beseitigung des ursächlichen Blutgerinnsels mit einem Kathetereingriff bei schweren Schlaganfällen Menschenleben retten kann.

red/Agenturen

„Auch bei Patient:innen mit schweren Schlaganfällen zeigt die Behandlung mittels eines Katheters zur Öffnung des Gefäßverschlusses Erfolge. Bei knapp 20 Prozent der behandelten Patient:innen konnte durch ein entsprechendes Verfahren der Tod oder eine Pflegebedürftigkeit verhindert werden“, berichtete jetzt die Hamburger Universitätsklinik (UKE).

Vor rund 20 Jahren wurde begonnen, im Falle von ischämischen Schlaganfällen (Blutgerinnsel in einem Hirngefäß; Anm.) die medikamentöse Auflösung dieser Thromben per Medikament (rtPA; sogenannte Thrombolyse) anzuwenden. Schon das führte zu deutlich besseren Behandlungsergebnissen, weil bleibende Schäden durch die schnelle Wiederherstellung der Sauerstoffversorgung im Gehirn verhindert werden können. In den vergangenen Jahren kamen immer öfter Kathetereingriffe zur mechanischen Beseitigung des Gerinnsels hinzu. Die besten Erfolge werden mit allen Behandlungen erzielt, wenn sie binnen viereinhalb oder sechs Stunden nach Auftreten der Symptome erfolgen - also möglichst schnell.

Die Entwicklung geht aber weiter. „Die von der Europäischen Union mit sechs Millionen Euro geförderte TENSION-Studie wurde in 40 Schlaganfallzentren in acht Ländern Europas sowie in Kanada durchgeführt. Untersucht wurde die Behandlung von Patient:innen mit einem akuten ischämischen Schlaganfall (Hirninfarkt), dem ein großer Gefäßverschluss zugrunde lag, der bereits zu einem größeren Infarktkern (Areal mit Absterben des Gewebes; Anm.) geführt hatte“, schrieb die Hamburger Klinik. An der Studie war auch Hannes Deutschmann von der Klinischen Abteilung für Neuroradiologie der MedUni Graz als Co-Autor beteiligt.

Bisher wurde die Katheterbehandlung von Schlaganfallpatienten vor allem bei Betroffenen durchgeführt, bei denen noch wenig Hirngewebe durch den Gefäßverschluss geschädigt worden war. Außerdem war das Zeitfenster für die Therapie zumeist begrenzt. In der Studie erfolgte die Behandlung aber auch bis zu zwölf Stunden nach Beginn der Symptome.

Katheterbehandlung revolutioniert Schlaganfalltherapie

In der Untersuchung wurden die Patienten nach dem Zufallsprinzip entweder einer Gruppe mit der herkömmlichen Standardtherapie (Thrombolyse per Medikament etc.) oder zusätzlich mit einer Katheterbehandlung versorgt. „Bei dieser sogenannten endovaskulären Thrombektomie schieben Ärzte unter Röntgenkontrolle von der Leiste aus einen Katheter in die Arterien des Gehirns vor, um anschließend das Blutgerinnsel zu entfernen, das den Gefäßverschluss verursacht hat“, stellte die Hamburger Universitätsklinik das Vorgehen dar.

Schon in der ersten Zwischenauswertung zeigten sich große Vorteile der Katheterbehandlung. Im Zuge der Auswertung des Krankheitsverlaufs von 253 Patienten nach 90 Tagen waren deutlich mehr davon nach dem Schlaganfall nicht auf dauerhafte Hilfe angewiesen (zwei Prozent gegenüber 17 Prozent); 31 Prozent waren selbstständig gehfähig (gegenüber 13 Prozent in der Vergleichsgruppe mit medikamentöser Behandlung allein). "Der Anteil an Patienten, die in Folge des Schlaganfalls gestorben sind oder pflegebedürftig wurden, war in der Gruppe mit Kathetertherapie um fast 20 Prozent geringer (69 gegenüber 87 Prozent), die Zahl der Todesfälle lag um elf Prozent niedriger (40 gegenüber 51 Prozent)“, teilten die Wissenschafter mit.

"Die Ergebnisse der TENSION-Studie zeigen, dass eine Katheterbehandlung auch bei schweren Schlaganfällen wirksam ist. Diese Behandlungsmethode kann dazu beitragen, dass die betroffenen Patientinnen und Patienten weniger Folgeschäden entwickeln und ein Leben in größerer Selbstständigkeit führen. Auf dieser Grundlage kann die Standardtherapie bei schweren Schlaganfällen erweitert und so die Patientenversorgung verbessert werden“, wurde dazu Studienkoordinator Götz Thomalla, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie des UKE, zitiert. Aufgrund der so bereits frühzeitig nachgewiesenen Wirksamkeit der endovaskulären Thrombektomie bei schweren Schlaganfällen wurde die Studie nach der ersten geplanten Zwischenanalyse vorzeitig beendet. Sie wurde beim Welt-Schlaganfallkongress vor kurzem in Toronto präsentiert und in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet" publiziert (DOI: https://doi.org/10.1016/S0140-6736(23)02032-9). In Österreich erleiden jährlich rund 25.000 Menschen einen Schlaganfall.