Medikamente

Diskussion um „Abnehmspritzen": Behandlungsdauer umstritten

Derzeit machen die sogenannten „Abnehmspritzen“ Schlagzeilen. Ursprünglich für die Behandlung von Typ-2-Diabetes eingesetzt, bewirken sie auch eine deutliche Gewichtsreduktion. Fachleute diskutieren jetzt, wie lange eine solche Behandlung gegen Adipositas dauern sollte.

red/Agenturen

Die Fakten: Durch das Hervorrufen eines Sättigungsgefühls und durch die Verlangsamung der Magenentleerung bewirken die im Darm freigesetzten Hormone GLP-1 (Glukagon-like Peptide 1) und GIP (Glucose-dependent insulinotropic Peptide) zusätzlich zu einer Freisetzung von Insulin, was für Typ-2-Diabetiker entscheidend ist, bei Behandelten auch eine deutliche Gewichtsabnahme. Das machte die Medikamente auch für die Adipositas-Therapie so interessant.

Mit dem GLP-1-Analogon Semaglutide zeigte sich laut einer in „JAMA Network Open“ publizierten Studie nach sechs Monaten eine Gewichtsreduktion um 10,9 Prozent. Noch stärker war in einer anderen klinischen Untersuchung an Adipösen die Wirksamkeit des neu entwickelten „Twinkretins“ Tirzepatide, das sowohl den Effekt von GLP-1 als auch von GIP imitiert. Einmal wöchentlich 15 Milligramm der Substanz unter die Haut injiziert, brachten minus 20,9 Prozent des ursprünglichen Gewichts im Vergleich zu minus 3,1 Prozent in einer Placebogruppe, wie sich in einer im „New England Journal of Medicine“ publizierten Untersuchung zeigte. Eine weitere erst vor kurzem veröffentlichte Studie (SURMOUNT-2) zeigte auch bei adipösen Typ-2-Zuckerkranken ein ähnliches Resultat, wie das „Deutsche Ärzteblatt“ schrieb.

Adipositas - definiert mit einem Body-Mass-Index von mehr als 30 - ist aber eine schwere und über viele Jahre verlaufende Erkrankung. Die Frage ist, wie lange solche Medikamente verwendet werden sollten. Der „Run“ auf die Inkrektin-Mimetika hat ja mittlerweile auch schon zu Engpässen in der Versorgung geführt, was vor allem Typ-2-Diabetiker zu beeinträchtigen drohte. Hinzu kommen die Kosten für die Medikation.

In Großbritannien wurde bisher die Verschreibungsdauer für diese Arzneimittel mit zwei Jahren begrenzt. Anderer Meinung war vor wenigen Tagen laut dem „British Medical Journal“ (BMJ) Barbara McGowan, Adipositas-Spezialistin von der St. Thomas' NHS-Stiftung in London. „Wir stimmen alle darüber ein, dass Adipositas eine chronische Erkrankung ist. Deshalb meinen wir, dass die Medikation nach zwei Jahren nicht beendet werden sollte. Man würde ja auch nicht mit der Statin-Behandlung (Cholesterinsenker; Anm.) oder mit der Einnahme von Blutdruck-Tabletten aufhören.“ Außerdem gebe es die Gefahr einer neuerlichen Gewichtszunahme und psychologische Probleme.

„Keine Patentlösung“

Der Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, Martin Clodi, ist da anderer Meinung. „Die Abnehmspritze funktioniert, solange man sie anwendet. Wenn man damit aufhört, zeigen Studien, steigt das Körpergewicht der Mehrheit der Nutzer wieder auf 70 Prozent des Ausgangsgewichts“, erklärte er gegenüber einem Informationsdienst für Ärzt:innen, „Relatus Med“. Es handle sich also um keine Patentlösung.

Clodi meint, dass ohne den Willen zum Abnehmen und eine entsprechende Lebensstiländerung auch die neuen „Abnehmspritzen“ - von einer der mittlerweile mehreren Substanzen soll es in Zukunft auch Tabletten zum Schlucken geben - die Verwendung von Inkretin-Mimetika & Co. kaum sinnvoll wäre. Im Endeffekt dürfte eine Dauermedikation, abgesehen von den manchmal deutlichen Nebenwirkungen (z.B. Übelkeit, Erbrechen) der Arzneimittel, auch von der Kostenerstattung durch die Krankenkassen abhängen. Der Lebensstil werde immer die Basis eines gesunden Lebensstils bleiben.

Die neuen „Abnehmspritzen“ können jedenfalls bei dauernder Anwendung Gewichtsabnahmen bis hin zum Effekt der Adipositas-Chirurgie bewirken. Allerdings müssen auch solche Eingriffe (Magen-Bypass etc.) nicht immer anhaltend mit einer ausreichenden Gewichtsreduktion verbunden sein. Der Markt für Schlankmacher ist jedenfalls riesig. Allein in Österreich (Daten aus 2019) sind laut Statistik Austria 16,5 Prozent der Menschen adipös. In den USA beträgt der Anteil der Adipösen in etwas weniger als der Hälfte der Bundesstaaten bereits zwischen 30 und 35 Prozent.