Prozess gegen Herzmediziner

Herr über Leben und Tod gespielt?

Der Berliner Oberarzt wurde aus der Untersuchungshaft in den Saal geführt: Nach dem Tod zweier Patienten steht in Berlin ein Herzmediziner der Charité - Berlins traditionsreichem Universitätsklinikum - wegen Totschlags vor Gericht.

red/Agenturen

Der 56-Jährige soll einen 73-jährigen Schwerstkranken im November 2021 mit überdosierten Medikamenten getötet haben. Im Juli 2022 soll so auch eine Patientin - ebenfalls 73 Jahre alt - auf der kardiologischen Intensivstation der Charité zu Tode gekommen sein. „Nach meinem Eindruck hat jemand Gott gespielt“, sagte Nebenklage-Anwältin Galina Rolnik am Dienstag am Rande des Prozesses. Sie vertritt die Ehefrau des 73-Jährigen.

Der angeklagte Arzt war am 8. Mai dieses Jahres wegen des dringenden Verdachts des zweifachen Mordes verhaftet worden und befindet sich seitdem in Haft. Von der Klinik war der 56-jährige Deutsche bereits im August 2022 freigestellt worden, als es einen ersten Verdacht gab. Mitangeklagt ist eine 39 Jahre alte Krankenschwester, die in der Intensivmedizin tätig ist.

Gericht bewertet Fall anders als Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft war bei ihrer Anklage von Heimtückemord aus niedrigen Beweggründen in zwei Fällen ausgegangen. Der Mediziner habe jeweils gehandelt, „um seine Vorstellungen zum Sterben und Zeitpunkt des Lebensendes der Patienten zu verwirklichen“, führte Staatsanwalt Martin Knispel aus. Er habe sich „als Herr über Leben und Tod“ aufgeführt und dabei das Vertrauen der jeweils schwerstkranken Patienten und deren Angehöriger missbraucht.

Die zuständige Kammer beim Landgericht bewertete den Fall jedoch bei der Eröffnung des Verfahrens anders, wie der Vorsitzende Richter Gregor Herb erklärte. Nach ihrer Auffassung besteht in beiden Fällen lediglich ein hinreichender Tatverdacht für den Straftatbestand des Totschlags. Mordmerkmale seien bislang nicht erkennbar, erklärte Gerichtssprecherin Lisa Jani. Aus Sicht der Kammer könne es sich auch um eine „Mitleidstötung“ gehandelt haben.

Angeklagte äußern sich zunächst nicht

Der Facharzt für Innere Medizin, gekleidet mit schwarzem Anzug und weißem Hemd, und die Krankenschwester äußerten sich zum Prozessauftakt nicht zu den Vorwürfen. Über ihre Verteidiger ließen sie aber erklären, dass sie sich grundsätzlich zu einem späteren Zeitpunkt äußern wollten.

Laut Anklage soll der Kardiologe im ersten Fall mindestens drei Krankenpflegerinnen angewiesen haben, eine eigentlich erfolgreiche Reanimation einzustellen. Außerdem soll er die Mitangeklagte angewiesen haben, dem Patienten eine tödliche Menge des Sedierungsmittels Propofol zu geben. Dies habe sie „zögerlich“ getan. Weil der Mann aber unerwartet weiterhin Vitalzeichen aufgewiesen habe, soll der Arzt dem 73-Jährigen dann selbst eine weitere, letztlich tödliche Dosis verabreicht haben. Im zweiten Fall soll der Mediziner der Patientin ohne medizinischen Grund mehrere Dosen des Sedierungsmittels gespritzt haben.

„Es hätte jeden treffen können“, meinte Rechtsanwältin Rolnik. Der Arzt habe gehandelt, ohne nachzufragen und ohne zu schauen, ob es eine Patientenverfügung gebe. „Der Ehemann meiner Mandantin hat nach der Reanimierung noch gelebt, dann hat er die erste Spritze bekommen, dann noch eine.„

Ermittlungen nach anonymem Hinweis

Ins Visier der Ermittler waren die Angeklagten durch einen anonymen Hinweis geraten. Nach Charité-Angaben war dieser am 19. August 2022 im Rahmen einer Art Whistleblower-System mit Vertrauensanwälten eingegangen. Dorthin können sich Beschäftigte der Klinik vertraulich wenden, die etwa Ungereimtheiten bemerken.

Im konkreten Fall meldete jemand vier Fälle mutmaßlich nicht rechtmäßigen medizinischen Vorgehens mit Todesfolge in der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin auf dem Campus Virchow-Klinikum. Der Staatsanwaltschaft zufolge ergab sich dann in zwei Fällen durch ein medizinisches Gutachten der dringende Tatverdacht. Zuvor sei nicht auszuschließen gewesen, dass die hohe Dosierung des Sedierungsmittels noch medizinisch vertretbar gewesen wäre, hieß es von den Ermittlern.

„Die Zusammenarbeit mit der Charité hat wunderbar funktioniert“, sagte Staatsanwalt Knispel. Beim nächsten Prozesstag am 7. November soll nun als Zeugin die Whistleblowerin gehört werden. Bei ihr handelt es sich laut Knispel um eine junge Pflegerin. „Ich habe sie so verstanden, dass sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte, Augen und Ohren zuzumachen“, sagte der Staatsanwalt.

Die Charité, die zu den größten Universitätskliniken Europas gehört und einer der größten Arbeitgeber Berlins ist, wollte sich mit Blick auf das laufende Gerichtsverfahren aktuell nicht äußern. Sie hatte das Whistleblower-System als Konsequenz aus einer früheren Mordserie durch eine Krankenschwester eingerichtet - die Täterin wurde 2007 zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Landgericht Berlin hat bislang 19 weitere Verhandlungstage bis zum 16. Januar 2024 geplant.