Praevenire: Universitätskliniken sollen wieder Hausärzte ausbilden

Ein neuer Vorschlag soll dem bundesweiten „Schwund“ an niedergelassenen Kassen-Allgemeinärzt:innen begegnen. Der Bund sollte den österreichischen MedUnis/Universitätskliniken 120 zusätzliche Fünf-Jahres-Ausbildungsstellen für Hausärzt:innen zahlen. Sie bilden sonst vor allem Fachärzt:innen aus. Dies erklärte am Dienstag Wilhelm Marhold, Experte der Praevenire-Gesundheitsinitiative, bei einem Hintergrundgespräch in Wien.

red/Agenturen

„Wir stehen vor einer enormen Pensionierungswelle (unter den niedergelassenen Allgemeinmedizinern; Anm.) in den kommenden sieben bis zehn Jahren. Derzeit 'verzichten' wir an den Universitätskliniken auf die Ausbildung von Allgemeinmedizinern. Unser Vorschlag ist ein Projekt mit 120 Dienstposten an den Universitätskliniken der MedUnis in Österreich. Sie sollte der Bund bezahlen. Es kostet den Dienstgeber pro Auszubildenden brutto rund 100.000 Euro im Jahr. Damit kommen wir auf zwölf bis 13 Millionen Euro. Das wäre ein Paket für eine Ausbildung von fünf Jahren“, erklärte Marhold, ehemals Chef des damaligen Wiener Krankenanstaltenverbundes.

Gegenmaßnahmen zur Pensionierungswelle

Der Praevenire-Experte will damit schnell Gegenmaßnahmen zur Pensionierungswelle unter den Hausärzten in Österreich gesetzt sehen. Im Jahr 2000 - so Alexander Biach, ehemaliger Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger (nunmehr Dachverband) - gab es 10.650 Allgemeinmediziner:innen, davon 4.228 Kassen-Hausärzt:innen, bei einer Bevölkerung von rund acht Millionen Einwohner:innen. 2022 waren es knapp 13.000 Allgemeinmediziner:innen, aber nur noch 3.990 Hausärzt:innen mit Kassenvertrag - bei knapp neun Millionen Einwohner:innen.

Die Universitätskliniken sind seit Jahrzehnten vor allem auf die Ausbildung von Fachärzten ausgerichtet. Mit einer Ausnahme: Unter der ersten Gesundheitsministerin Österreichs, Ingrid Ledolter (SPÖ; Amtszeit 1971 bis 1979) wurden wegen der damaligen „Ärzteschwemme“ für eine gewisse Zeit zusätzliche Spitalsausbildungsstellen für Allgemeinmediziner, z.B. an der Universitätsklinik Wien, geschaffen und vom Bund bezahlt. Daran will Marhold angeknüpft sehen: „Es soll eine rasche Maßnahme sein. Sie ist leicht zu realisieren.“ Man könnte an solche Stellen in Wien, Graz, Innsbruck, Salzburg und Linz denken.

Ausbildungscurriculum

Geschaffen werden müsse ein Ausbildungscurriculum, das sicherstellt, dass aus dem Programm ausschließlich Allgemeinmediziner:innen für die niedergelassene Praxis herauskommen. Das war auch unter Ministerin Leodolter der Fall und sei unabhängig von der geplanten Etablierung des Facharzttitels für Allgemeinmediziner in der Zukunft zu sehen. Marhold: „Auch Erwin Rasinger (langjähriger ÖVP-Gesundheitssprecher und Hausarzt in Wien; Anm.) hat damals eine solche Ausbildung am Wiener AKH absolviert.“

Gegenüber der APA äußerte sich der Rektor der MedUni Wien, Markus Müller, vorsichtig positiv zu dem Plan: „An sich ist das eine interessante Idee. Wir haben an den Universitätskliniken der MedUni Wien bereits Teil-Anerkennungen als Ausbildungsstätten (auch für angehende Allgemeinmediziner; Anm.) durch die Ärztekammer. Das könnte man weiter ausbauen.“ An sich sei man im Studium und als auch am Ende mit dem klinisch praktischen Jahr und rund hundert Lehrordinationen bereits jetzt auch stark in der Ausbildung von zukünftigen Allgemeinmediziner:innen engagiert.

   Im Bildungsministerium lehnt man eine Finanzierung durch den Bund ab, hieß es in einer der APA übermittelten Stellungnahme. Die ärztliche Ausbildung nach Abschluss des Studiums sei keine universitäre Aufgabe, sondern könne an zahlreichen Gesundheitseinrichtungen und Krankenanstalten in ganz Österreich erfolgen. Darunter seien natürlich auch die Krankenanstalten der Länder, die mit den Medizinischen Universitäten (z.B. das AKH Wien) zusammenwirken. "Die Schaffung zusätzlicher Dienstposten an den Krankenanstalten zur Verbesserung der Ausbildung für Allgemeinmedizin ist sicher eine überlegenswerte Initiative zur Erfüllung der Aufgaben der Länder, allerdings sind diese Dienstposten durch die Krankenanstalten bzw. die Länder zu finanzieren."

„Aufpassen“ sollte die Politik jedenfalls bei der Etablierung des Facharztes für Allgemeinmedizin, meinte Müller. Hier dürfte nicht der Eindruck von (Fach-)Ärzten zweiter Klasse entstehen, so der Rektor. Noch einen Schritt will Müller im Sinne für schnelleren Nachwuchs an fertig ausgebildeten Ärzten gesetzt sehen: „Die sogenannte Basisausbildung im Spital sollte ersatzlos gestrichen werden. Das ist ein Nadelöhr. Es gibt Wartezeiten. Diese Basisausbildung ist redundant mit den Studieninhalten.“

Neue Modelle gefragt

Für neue Modelle in der niedergelassenen medizinischen Versorgung sprach sich bei dem Hintergrundgespräch Alexander Biach aus: „Ich glaube, es geht bei der Ausgestaltung der Kassenverträge vor allem um die Frage der Lebensqualität.“ 70 Prozent der fertig ausgebildeten Ärzt:innen wollten laut Umfragen in der niedergelassenen Praxis „unselbstständig“ arbeiten. Viele würden sich eine Einzelordination mit den wirtschaftlichen Risiken nicht zutrauen. Teamarbeit sei gefragt. Die Ärzt:innen wollten sich auch zunehmend nicht um die Kassenabrechnungen und die Organisation kümmern, sondern auf ihre ärztliche Tätigkeit konzentrieren.

Biachs Vorschlag: „Ich bin dafür, auch selbstständige Ambulatorien als Primärversorgungseinheiten auf Beschluss einer Landesregierung und mit Verträgen der Krankenkassen zu etablieren.“ Diese sollten nicht in der Ärztekammer, sondern in der Wirtschaftskammer standesrechtlich verortet werden. So wäre die Bildung von multiprofessionellen Teams auch mit verschiedenen Berufsgruppen und in Anstellungsverhältnissen für das Personal leichter möglich. Das sollte aber Einzelordinationen von Ärzt:innen nicht an die Wand drängen.