Universität Wien

Evolution von Muskeln: gemeinsamer Ursprung bei Seeanemonen und Mensch

Tiere bestehen in der Regel aus hunderten von Zelltypen – doch wie sich diese zelluläre Komplexität im Lauf der Evolution entwickelt hat, ist nach wie vor nicht geklärt. Ein Forschungsteam der Universität Wien fand nun heraus, dass verschiedene Muskelzelltypen in der Seeanemone durch eine Vielzahl von Genduplikationen und nachfolgenden Diversifizierungen entstanden sind. Außerdem entdeckten die Forscher:innen einen wahrscheinlichen evolutionären Ursprung von Herzmuskelzellen.

red/Agenturen

Seit langem beschäftigt die Wissenschaft die Frage, welche Mechanismen dem hohen Grad an zellulärer Komplexität verschiedener Organismen zugrunde liegen. Mögliche Antworten liefert die Entwicklungsbiologie durch das Studium von Zelltypen, die allen Tieren gemein sind - wie z.B. den Muskelzellen. Von diesen Zellen gibt es verschiedene Arten - bei Wirbeltieren z.B. den quergestreiften Herzmuskel, die quergestreifte Skelettmuskulatur und die glatte Muskulatur, die beispielsweise den Darm auskleidet.

Seeanemonen – komplexer als gedacht

Auch Seeanemonen, die zu den evolutionär ältesten und somit „einfachsten“ Tierstämmen gehören, besitzen Muskeln, die jedoch anatomisch alle sehr ähnlich aussehen. Durch eine relativ neue molekularbiologische Methode, die Einzel-Zell-Sequenzierung, konnte ein Forschungsteam rund um den Entwicklungsbiologen Ulrich Technau von der Universität Wien nun aber bestätigen, dass es in Seeanemonen tatsächlich vier verschiedene Muskelzell-Subtypen gibt. Diese lassen sich wiederum in zwei Hauptkategorien - schnell-kontrahierende und langsam-kontrahierende Muskeln - unterteilen, ähnlich wie es beim Menschen schnelle und langsame Muskeln gibt. Schnelle und langsame Muskeln unterscheiden sich auf molekularbiologischer Ebene durch einen ganzen Satz an Strukturproteinen, die jeweils durch Genduplikationen entstanden und vermutlich für die unterschiedlichen Eigenschaften verantwortlich sind.

Hinweis auf gemeinsamen evolutionären Ursprung

Das Forschungsteam ging als nächstes der Frage nach, wie die Entstehung und Differenzierung dieser vier Muskelzell-Subtypen reguliert wird. „Erstaunlicherweise sind in den langsamen Muskeln Regulator-Gene aktiv, die beim Menschen und bei Fliegen auch bei der Entwicklung der Herzmuskelzellen eine Rolle spielen. Dies weist auf einen gemeinsamen evolutionären Ursprung von Herzmuskelzellen sowie den langsamen Muskeln der Seeanemonen hin“, betont Entwicklungsbiologin Alison Cole, Erstautorin der Studie. Die Entwicklung der beiden schnellen Muskeln der Seeanemonen wird hingegen von Schwestergenen reguliert, die man nur bei ihnen findet und die dort durch Genduplikation entstanden sind.

Die Studie, die aktuell im renommierten Fachjournal Nature Communications veröffentlicht wurde, zeigt, dass selbst einfach anmutende Tiere bereits eine höhere Komplexität als erwartet haben können und dass bei dieser Diversifizierung von Zelltypen Genduplikationen eine bedeutende Rolle spielen.

Seeanemonen
Eine Kolonie von Nematostella-Polypen im Aquarium.
Patrick Steinmetz