„Schmerzen warnen uns, damit wir unseren Körper schützen“, so Auer-Grumbach, die an der Universitätsklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Medizinischen Universität Wien arbeitet: „Ein gesunder Mensch zieht deswegen zum Beispiel seine Hand von einer heißen Herdplatte.“ Es gibt aber Leute, die dabei keine Schmerzen spüren, weil dafür nötige Nervenzellen abgestorben sind. In der Regel wird diese Schmerzbefreitheit vererbt. Zusätzlich vermindert diese Erkrankung die Wundheilung. „Solche Verletzungen sind deswegen doppelt gefährlich“, erklärt die Medizinerin. Sie entzünden sich oft schwer. „Infektionen dringen manchmal bis an Knochen vor und können zu Knocheneiterungen führen“, so die Expertin.
Manchmal betrifft die erbliche Nervenerkrankung (hereditäre sensible und autonome Neuropathie - HSAN) schon Babys. Das Kennenlernen der Umwelt durch Abtasten und Gegenstände in den Mund nehmen, ist dann hochgefährlich. Einem Kleinkind mit dieser Neuropathie tut es nicht weh, wenn es sich auf die Zunge, in die Lippen oder Finger beißt, und es kommt oft zu schlimmen Verletzungen und sogar Verstümmelungen im Mundbereich sowie den Händen, berichtet Auer-Grumbach. Teils suchen die sensorischen Probleme die Betroffenen jedoch erst später im Leben heim.
Es gibt unterschiedliche Genveränderungen, die zu HSAN führen. „Je nach dem betroffenen Gen unterscheidet sich das Krankheitsbild, also die Schwere der Erkrankung und das Ausbruchsalter“, erklärt die Neurologin: „Für viele der Familien in Österreich konnten wir die genetische Ursache in den vergangenen zwei Jahrzehnten sogar klären.“ Sie selbst wäre an der Entdeckung mehrerer HSAN auslösender Genveränderungen beteiligt, wie zum Beispiel bei den Genen SPTLC-1 und SPTLC-2. „Liegen in diesen Genen Mutationen vor, dann werden die davon abgelesenen Proteine falsch gebildet und lagern sich als giftige Abfallprodukte in den Nervenzellen ab“, erklärt Auer-Grumbach.
Bisher ungeklärte Fälle lösen
Für diese genetische HSAN-Unterform gäbe es bereits erste Therapiemöglichkeiten. Bei anderen Auslösern mangelt es hingegen an Behandlungsmöglichkeiten. Wegen der niedrigen Fallzahlen dieser „seltenen Erkrankung“ wird auch weniger nach ihnen gesucht, als bei häufigeren Leiden. Deshalb haben sich jene Mediziner europaweit zusammengeschlossen, die solche Patienten betreuen. Das „Europäische Netzwerk für hereditäre sensible Neuropathien (ENISNIP)“ wird vom FWF gefördert. Es soll bei Patienten, die bisher keine Diagnose hatten, diese auf Basis von Gentests und Messungen toxischer Stoffwechselprodukte ermöglichen.
Zudem will man bisher ungeklärte Fälle lösen. „Hierfür wurden nationale Daten über Mutationen und Krankheitsbilder in einer gemeinsamen Analyse erfasst und auf Überschneidungen untersucht“, so die Medizinerin. Außerdem wird ein Register aller Krankheitsfälle angelegt, damit die Experten abschätzen können, wie viele Menschen europaweit betroffen sind und welche Mutationen die Erkrankung jeweils auslösen. „Mit diesen Zahlen hoffen wir auch Pharmafirmen zu motivieren, an der Entwicklung von Therapien zu arbeiten“, so Auer-Grumbach.
Bei Betroffenen ohne ursächliche Therapiemöglichkeit sind präventive Verhaltensmaßnahmen besonders wichtig. „Sie sollen auf keinen Fall barfuß gehen, ihre Schuhe stets auf Fremdkörper untersuchen, weiches Schuhwerk tragen und auch kleinste Verletzungen vermeiden“, sagt sie: „Besonders im Fall betroffener Kinder sind solche Regeln eine tägliche Herausforderung.“
ENISNIP