Krebs

„Paradigmenwechsel": Immuntherapie auf dem Vormarsch

Die moderne Krebs-Immuntherapie mit sogenannten Immuncheckpoint-Hemmern bringt die Onkologie immer weiter voran. Ein internationales Team mit Beteiligung von Wiener Dermatologen hat aktuell eine sehr gute Wirkung gegen Melanom-Rückfälle belegt. Beim europäischen Krebskongress in Madrid werden aufsehenerregende Resultate in der Lungenkarzinom-Behandlung vorgestellt.

red/Agenturen

Die Forscher James Allison (USA) und Tasuku Honjo (Japan) wurden 2018 für ihre Arbeiten zur innovativen Immuntherapie bei Krebs mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Dabei werden mit monoklonalen Antikörpern (Immuncheckpoint-Blockade) jene Mechanismen gestoppt, welche T-Lymphozyten daran hindern, Krebszellen zu erkennen und anzugreifen. Während diese Medikamente in der Onkologie vor allem bei fortgeschrittenen Krebsleiden mit Erfolg angewendet wurden, zeigen sie jetzt hervorragende Wirkung in früheren Stadien solcher Erkrankungen.

Erst am vergangenen Montag ist in „Nature Medicine“ eine internationale Studie zur Wirkung des Immuncheckpoint-Hemmer Nivolumab bei Melanomerkrankungen erschienen. „Patienten, bei denen ein Melanom im Stadium IIB/C (vollständig; Anm.) chirurgisch entfernt werden konnte, haben ein hohes Rückfallrisiko - ähnlich wie im (bereits fortgeschritteneren; Anm.) Stadium IIIA/B“, schrieben die Wissenschafter, unter ihnen Christoph Höller (Universitäts-Hautklinik MedUni Wien/AKH).

In die wissenschaftliche Untersuchung wurden 790 Melanompatienten aufgenommen. Zwei Drittel erhielten nach der Operation ein Jahr lang alle vier Wochen den Immuncheckpoint-Inhibitor, ein Drittel der Erkrankten hingegen ein Placebo. Dabei zeigte sich ein eindeutiger Vorteil für die Erkrankten, die Nivolumab bekommen hatten: Nach einer Mindestbeobachtungsdauer von 7,8 Monaten war die Häufigkeit von Rückfällen um 58 Prozent geringer.

Nach einem Jahr war bei 89 Prozent der Behandelten kein Rezidiv (Rückfall) aufgetreten (hingegen bei 79,4 Prozent der Probanden in der Placebogruppe). Fernmetastasen traten in der Nivolumab-Gruppe um 53 Prozent seltener auf. Unter diesen Patienten kam es aber auch zu einem mit der Therapie in Verbindung zu bringenden Todesfall (0,2 Prozent).

Nivolumab: Rückfallrate sank um 42 Prozent

Von einem „Paradigmenwechsel“ sprechen Onkologen gar, wenn es um die aktuellen Ergebnisse mit der Immuntherapie bei der häufigsten Lungenkrebsform, dem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom, geht. Beim Jahreskongress der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO; 20. bis 24. Oktober) in Madrid werden zu diesem Thema Studien vorgestellt, welche die Chancen von Patienten in einem frühen Stadium der Erkrankung wesentlich verbessern dürften.

Eine dieser Untersuchungen ist die sogenannte CheckMate-77T-Studie. Durch einen Bruch des Embargos musste die ESMO bereits vor dem Start des Kongresses die Ergebnisse aller aktuellsten Studien vorzeitig freigeben.

In der wissenschaftlichen Untersuchung wurde Nivolumab bei Lungenkarzinompatienten mit chirurgisch entfernbaren Tumoren zusätzlich zu einer Chemotherapie vor („neoadjuvant“) und nach dem chirurgischen Eingriff („adjuvant“) angewendet. Jeweils rund 230 Patient:innen bekamen den Immuncheckpoint-Inhibitor oder ein Placebo.

Das Hauptergebnis: Durch die zusätzliche Behandlung der Patient:innen mit Nivolumab bereits vor der Operation sank die Rückfallrate um 42 Prozent. Eine längere Beobachtungszeit soll in Zukunft zeigen, wie sich dieses Ergebnis in den Überlebensraten auswirkt.

Lungenkrebs: Erkrankung wird in allermeisten Fällen zu spät erkannt

Wird ein Lungenkarzinom in einem frühen Stadium erkannt und ist der Tumor chirurgisch entfernbar, steigen mit einer Immuntherapie laut eine ebenfalls beim ESMO-Kongress vorgestellten US-Studie die Überlebensraten deutlich. In der CheckMate-816-Untersuchung wurden Patienten mit einem nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom im Stadium 1B bis IIIA schon vor der Operation mit einer Kombination von zwei Checkpoint-Inhibitoren oder Chemotherapie behandelt.

Nach einer mittleren Beobachtungsdauer von 49,2 Monaten lebten 72 Prozent der mit Immuntherapie Behandelten ohne weitere Krankheitszeichen, hingegen nur 47 Prozent der Kranken, welche die herkömmliche Chemotherapie erhalten hatte. Nach drei Jahren lebten 85 Prozent der Kranken aus der Immuntherapiegruppe (66 Prozent in der Vergleichsgruppe).

Diese Ergebnisse lassen die Bedeutung einer frühen Diagnose von Lungenkrebs nur noch größer werden. Derzeit sterben weltweit pro Jahr rund 1,8 Millionen Menschen an Lungenkrebs. 2019 erkrankten in Österreich 2.770 Männer und 2.061 Frauen an einem bösartigen Lungentumor. 2.337 Männer und 1.641 Frauen verstarben daran. Lungenkarzinome sind damit laut Statistik Austria weiterhin die häufigste Krebstodesursache bei Männern und bereits die zweithäufigste Krebstodesursache bei Frauen in Österreich.

Das liegt vor allem daran, dass die Erkrankung in den allermeisten Fällen zu spät erkannt wird. Eine jährliche Computertomografie-Untersuchung von langjährigen starken Rauchern könnte die Mortalität erheblich senken. Die österreichischen Pneumologen und Radiologen haben immer wieder betont, dass die Gesundheitspolitik an die Entwicklung eines Lungenkrebs-Früherkennungsprogramm gehen sollte. Das ist bisher nicht geschehen.

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