Onkologie

Wie bösartige Krebszellen wieder „gutartig“ werden sollen

Je weniger Krebszellen vollständig entwickelten gesunden Zellen ähneln, desto aggressiver sind sie. Britische Wissenschafter wollen jetzt erstmals solche nicht „ausdifferenzierte“ Zellen wieder „gutartiger“ machen. Zumindest im Labor und in Tierversuchen dürfte ihnen das laut einer neuen Studie beim Neuroblastom gelungen sein.

red/Agenturen

Anna Philpott vom Wellcome-Stammzell-Forschungszentrum in Cambridge und ihre Co-Autoren haben ihre Forschungsergebnisse am Montag in „Development Cell“ veröffentlicht. „Neuroblastome sind die dritthäufigste Tumorerkrankung von Kindern. Sie entstehen aus in ihrer Entwicklung gestoppten Zellen der sogenannten Neuralleiste“, schrieben die Wissenschafter.

Es handelt sich somit um entartete und noch unreife (nicht ausdifferenzierte) Zellen des Nervensystems (sympathisches Nervensystem). Oft treten die Tumoren im Bereich der Nebennieren oder entlang der Wirbelsäule, im Hals, Brustkorb oder im Bauchraum auf. Bei etwa der Hälfte der Erkrankten kann auch eine intensive Therapie (Chemo-, Strahlentherapie, Arzneimittel der gezielten Krebstherapie, chirurgische Eingriffe) ein aggressives Wachstum nicht verhindern. Neuroblastome verursachen rund 15 Prozent der Krebstodesfälle bei Kindern.

Doch bestimmte Neuroblastom-Formen, die vor allem im Säuglings- und im frühen Kindesalter auftreten, können auch plötzlich wieder verschwinden. Darauf bauen die Forschungen der britischen Wissenschafter auf. In solchen Fällen dürfte es nämlich wieder zu einer Entwicklung der Nervenzellvorläufer in Richtung einer normalen Ausreifung kommen. Kirsty Ferguson von dem Forschungsinstitut in Cambridge erklärte dazu: „Aus Zell-Entwicklungsstudie wissen wir, dass wir mit einer Verlangsamung ihrer Teilung auch ein 'Reprogrammieren' von Zellen erreichen können. Sie beginnen sich selbst zu 'korrigieren' und kommen wieder auf den Weg zu einer normalen Entwicklung mit Ausdifferenzierung.“

Die Wissenschafter „behandelten“ deshalb im Labor Neuroblastomzellen mit dem vor allem aus der Brustkrebstherapie bekannten Wirkstoff Palbociclib. Es handelt sich dabei um eine Substanz, welche den Zellzyklus von bösartigen Zellen blockiert. Das erfolgt über eine Hemmung sogenannter Cyclin-abhängiger Enzyme (CDK4 und CDK6) und wird vor allem bei fortgeschrittenen hormonabhängige Mammakarzinom-Erkrankungen erfolgreich eingesetzt.

Kombination aus Palpociclib und Retinsäure

„Neuroblastomzellen schauen auch gar nicht wie Nervenzellen aus. Sie haben eine runde Gestalt und teilen sich sehr schnell. Wenn wir aber Palbociclib hinzufügten, wurde die Zellteilung gebremst. Gleichzeitig entwickelten sie Fortsätze, Axone und Dendriten. Das war für uns ein Zeichen, dass die Neuroblastomzellen wieder zur normalen Nervenzellen ausreiften“, schilderte Ferguson in einer Aussendung des Forschungsinstituts.

Auch im Tierversuch mit Mäusen, denen man humanes Neuroblastomgewebe transplantiert hatte, wurde dieser Effekt beobachtet. Doch eine völlige Unterdrückung des Tumorwachstums wurde nicht erzielt. Deshalb verfielen die britischen Wissenschafter auf eine Kombination von Palbociclib und Retinsäure (Vitamin A-Säure). Sie wird in der Behandlung von bestimmten Leukämieformen und auch zur Behandlung von Akne seit langem verwendet. Damit konnte zumindest im Labor das Wachstum von Neuroblastomzellen blockiert werden. Jetzt sollen erneut Tierversuche mit Mäusen und der möglichen Kombinationstherapie erfolgen.

„Weil sich die beiden Medikamente als sicher erwiesen haben und eines davon (Retinsäure; Anm.) auch bereits bei Kindern eingesetzt wird, könnten die klinischen Studien schnell erfolgen“, erklärte Anna Philpott. Trotzdem würde es wahrscheinlich noch Jahre dauern, bis daraus eine routinemäßig anwendbare Therapie würde.

Trotzdem äußerten die an den Arbeiten beteiligten Wissenschafter große Hoffnungen. Sara Gillen aus dem Labor in Cambridge: „Kinder (mit einem Neuroblastom; Anm.) werden weiterhin eine Chemotherapie brauchen, um den Haupttumor zu 'killen'. Aber danach sollte eine Behandlung mit Palbociclib und Rentinsäure ausreichen, um übrig gebliebene Neuroblastomzellen zu beeinflussen. Da diese Medikamente die Zellen nicht direkt zum Absterben bringen, könnten sie diese sozusagen wieder 'auf den richtigen Weg' bringen. Das wäre eine viel schonendere Behandlung mit weniger Nebenwirkungen.“

Studie