Onlinesucht

„Wir müssen das Rad nicht neu erfinden!"

Das Thema Onlinesucht ist vor allem für junge User ein großes Thema. Kurosch Yazdi, Vorstand der Klinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin an der Linzer Keplerklinik, über die Faktoren, die diese Sucht triggern, warum Prävention der Goldstandard in der Behandlung ist und wo Eltern ihr Kind abholen können, wenn es bereits am Weg zur problematischen Nutzung ist.

Eva Kaiserseder
KuroschYazdi_Psychiater_Keplerklinikum
Die massiv gestiegene Verfügbarkeit des Handys schon für Schulkinder sieht Kurosch Yazdi als hochproblematisch.
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medinlive: Im DSM-5, dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, also dem amerikanischen Handbuch psychischer Erkrankungen, ist das Thema Gaming Disorder nun inkludiert. In welcher Form?

Yazdi: Es ist dort inkludiert, wo die Vorschläge aufgenommen werden, und zwar als Abhängigkeitserkrankung. Vorher galt das Thema Spielsucht als Störung der Impulskontrolle. Insgesamt gibt es nun neun Kriterien für Internet Gaming. Veranschlagt ist es deshalb „erst“ bei den Vorschlägen, weil das zwar Diagnosen sind, die es schon gibt, wo man sich aber noch nicht sicher ist bei den Kriterien aufgrund noch fehlender wissenschaftlicher Daten. Der Vorschlag kommt genau deswegen hinein, damit Wissenschaftler weltweit forschen und es somit bis zur nächsten Ausgabe des DSM klar ist, ob es valide Daten dazu gibt. Das ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, Anm. d. Red.), mittlerweile in Version 11, wird sich voraussichtlich sehr stark an diese neue Version des DSM anlehnen, die üblicherweise ein paar Jahre vorher erscheint. Die Amerikaner sind hier durchaus Vorreiter.  

medinlive: Nach welchen Kriterien definiert man Onlinesucht? Wir haben es mit social media zu tun, es gibt Internet Gaming und es gibt eine recht große Grauzone dazwischen, Stichwort Smartphone. Wie dröselt man den Begriff „Onlinesucht“ als Psychiater auf?

Yazdi: Wenn man grundsätzlich einmal versteht, dass Suchterkrankung Suchterkrankung ist, muss man sich damit beschäftigen, was bei jeder dieser Süchte gleich abläuft und wo sie beginnt. Bei jeder psychischen Krankheit ist etwa der Leidensdruck gleich. Der muss da sein, entweder für den Betroffenen oder für die Umgebung, mit ein paar Ausnahmen. Und es muss eine deutliche Verminderung des psychosozialen Funktionsniveaus vorliegen. Das definiert jede psychische Erkrankung, egal ob das Alkoholismus oder sonst etwas ist. Wenn der Betroffene zum Beispiel nicht mehr arbeiten kann, weil er so betrunken ist oder sich nichts mehr merken kann ob seiner Alkoholdemenz. Genauso würde ich das auch beim Thema Onlinesucht machen als Psychiater: Diese Parameter überprüfen. Wir müssen hier das Rad jedenfalls nicht neu erfinde, auch wenn wir es mit einer relativ jungen Abhängigkeit zu tun haben.

Die erste Frage, die sich stellt, ist also: Wie groß ist der Leidensdruck? Die zweite Frage lautet, inwieweit das psychosoziale Funktionsniveau beeinträchtigt ist. Damit ist zum Beispiel bei jungen Menschen, die ja oft betroffen sind, ein Leistungsabfall in der Schule oder bei der Ausbildung gemeint. Oder es kommt in der Familie zu Streitereien, man isoliert sich von Freunden oder geht keinen anderen Hobbies mehr nach außer vor dem Computer zu sitzen. Kann sich der Betroffene noch um sich selbst kümmern, räumt er sein Zimmer auf, kocht er sich etwas? Das ist viel entscheidender als die Frage, ob er sechs oder acht Stunden vor dem Rechner verbringt. Übrigens ist die Fokussierung auf die Menge auch bei anderen Süchten, etwa beim Alkohol, mehr oder weniger irrelevant geworden. Es geht vielmehr darum, welchen Schaden der Konsum verursacht.

Und dann geht es bei der Onlinesucht ganz allgemein um die klassischen Suchtkriterien: Habe ich Entzugssymptome, wenn ich nicht online bin? Oder habe ich schon oft versucht, weniger zu spielen und bin daran gescheitert? Habe ich wichtige Dinge wie schlafen oder essen vernachlässigt aufgrund meines Konsums? Dann das Stichwort Craving: Habe ich ein ständiges Verlangen danach, online zu sein, denke ich dauernd darüber nach oder daran? Das ist bei allen Süchten relativ ähnlich bis auf ein, zwei Kriterien.

medinlive: Wie funktioniert das Thema Suchterkrankung aus neurologischer Sicht?

Yazdi: Im Grunde sind hier verschiedene Systeme im Gehirn aktiv, auch neurobiologisch gesehen, die süchtig machen können. Die beiden Klassiker sind auf der einen Seite das Belohnungssystem, das gleichzeitig als Motivationssystem fungiert. Hier greift das so genannte Glückszentrum, der Nucleus accumbens, der ja Teil des ventralen Striatums ist. Dieser Nucleus accumbens ist in erster Linie für die Belohnungserwartung zuständig, also nicht konkret für das Belohnungsgefühl, sondern schon dafür, dass sich quasi im Vorfeld die Hoffnung auf Belohnung regt. Gleichzeitig ist hier das Motivationszentrum, das dafür zuständig ist, einer Sache nachzugehen. Wenn man sich also als Nichtsüchtiger fragt, warum ein Kokainsüchtiger Kokain schnupft, dann geht es darum, dass er einen extrem hohen Dopaminausstoß hat, wenn er Kokain nimmt und dass er sich hier massiv belohnt fühlt. Wobei wir schon beim Trigger sind, denn sobald der Kokainsüchtige nur den Gedanken daran hat, er könnte wieder Kokain nehmen, erlebt er schon einen Dopaminausstoß, eine Belohnungserwartung. Das ist bei allen Süchtigen ähnlich gepolt.

Wenn der Nuccleus acumbens nun permanent hohe Dopaminausschüttungen gewohnt ist, kommt es zur Downregulation der Dopaminrezeptoren. Das heißt, ich brauche immer mehr, um das gleiche Glücksgefühl zu empfinden, es entsteht das, was gerne umgangssprachlich als „Toleranzentwicklung“ bezeichnet wird.  Gleichzeitig ist das Tragische, dass andere, natürliche Glücksauslöser, die mich sonst glücklich machen, nicht mehr ausreichen. Ein nichtsüchtiger Mensch ist glücklich, wenn er zum Beispiel einen Freund trifft, gut isst, einen interessanten Film sieht. Bei Süchtigen ist es so, dass ihnen derlei nicht mehr reicht.

Das Belohnungssystem ist aber nur die eine Seite der Medaille, hier ist man hauptsächlich dopaminerg und opioiderg gesteuert. Auf der anderen Seite haben wir das System mit den Hauptakteuren GABA (γ-Aminobuttersäure) versus Glutamat. GABA beruhigt und Glutamat erregt mich. Wenn ich allerdings oft Substanzen zu mir nehme, die GABAerg wirken, dann verlernt das Gehirn irgendwann, selbst GABA auszustoßen. Ganz vereinfacht gesagt: Das Gehirn verlernt, sich selbst zu beruhigen. Wehe mir, ich kann als Süchtiger einmal nicht das konsumieren, was GABAerg bei mir wirkt! Als Folge hat der Süchtige dann nämlich zu viel Glutamat (der wichtigste erregende Neurotransmitter, Anm. d.Red.) im Gehirn. Und wenn das der Fall ist und man dem natürlichen Glutamat, das wir selber produzieren, nichts mehr entgegensetzen können, weil das GABAerge System verkümmert ist, dann beginnt das, was wir als „Entzugssymptome“ wahrnehmen, egal bei welcher Sucht, ob Substanzen im Spiel sind oder nicht.  Diese äußern sich dann durch Zittern und Schwitzen etwa beim Alkoholiker, auch Gereiztheit und Aggressionen gehören zu diesem Spektrum dazu. Schauen sie sich zum Beispiel das Glücksspiel an: Der klassische Satz eines Süchtigen lautet: „Immer, wenn ich mit meiner Frau streite, muss ich zur Beruhigung Automaten spielen gehen.“ Während dieser Phase der Beruhigung wird das GABAerge System hochgefahren, um dem stressbedingten Glutamat entgegenzuwirken. Bei kleinen Kindern, die weinen und schreien und dann als Reaktion von Mama oder Papa gestreichelt und hochgehoben werden, passiert dasselbe. Das GABAerge System wird aktiv. Unser Gehirn unterscheidet da nicht so sehr, ob eine Substanz oder Verhaltensweise im Spiel ist.

Vom zuerst erwähnten Belohnungssystem ist dieses GABAerge System übrigens weit entfernt, es gibt zum Beispiel viele Alkoholiker, die kein Belohnungsgefühl beim Trinken spüren. Aber zumindest fühle sie sich nicht mehr schlecht. Das liegt daran, weil sie vor dem Trinken zu glutamerg waren und der Alkohol eine GABAerge Wirkung hat.   

Früher wurde in diesem Zusammenhang von „Reward Craving“ gesprochen, also wenn ich mich nach Aufregung und Belohnung sehne, und „Relieve Craving“, wenn ich mich einfach nicht mehr schlecht fühlen will und nach Beruhigung suche.  Grob zusammengefasst könnte man sagen, einerseits ist der eine Part dopaminerg und opioiderg, der andere Part GABAerg und glutamerg. Das sind sozusagen die beiden hauptsächlichen Suchtsysteme. Alle Drogen greifen auf eine der der beiden System zu. 

medinlive: Gerade bei Onlinesucht wird die betroffene Gruppe wenig überraschend immer jünger. Gibt es einen Königsweg in der Therapie?

Yazdi: Da haben wir jetzt so einige Fragestellungen angerissen. Erstens das Alter. Junge Menschen sind grundsätzlich besonders gefährdet süchtig zu werden, egal nach was übrigens. Wenn sie einem Elfjährigen Alkohol oder Zigaretten in die Hand drücken, wird er schneller süchtig als ein 25jähriger. Mit einem Smartphone funktioniert das genauso. Es ist nämlich egal, mit welchem Trigger sie das Hirn ködern. Deswegen bekommen Elfjährige auch üblicherweise keinen Alkohol und Zigaretten, beim Smartphone ist uns dieser Trigger aber noch nicht so bewusst, scheint es.

medinlive: Warum ist das so?

Yazdi: Das Belohnungssystem, dieser Teil des Suchtsystems, ist in alten Hirnteilen angelegt, also im limbischen System. Dieses ist auch beim Baby schon ausgereift. Während sich das, was mich vernünftig steuern lässt, das Kognitive, im präfrontalen Stirnhirn, in der Großhirnrinde, abspielt. Dieser Teil, wo man selbst sagt, nein, das ist jetzt genug oder zu viel, der ist bei Kindern noch nicht reif. Der Satz „So, jetzt reicht es mit dem Smartphonespielen, jetzt mache ich Hausübung!“- das wird bei Kindern so nicht passieren. (lacht) Wie gesagt, bei Alkohol und Zigaretten ist uns das alles klar, deswegen verbieten wird das unseren Kindern, bei Handy und Internet ist es uns scheinbar noch nicht wirklich ins Bewusstsein gedrungen. Kinder sind also grundsätzlich gefährdeter für Süchte. Und dann gibt es noch eine gefährdete Bevölkerungsgruppe, nämlich diejenigen, die mit dem Dopamin und GABA-Haushalt ein Problem haben, etwa Menschen mit ADHS. Hier liegt ein Problem auf der dopaminergen Schiene vor. Dieser Personenkreis ist grundsätzlich suchtgefährdeter und zwar egal, in welchem Alter. Aber natürlich gibt es noch andere Faktoren, die einen Prädisposition darstellen, etwa chronische Depressionen, wo Suchtmittel als Kompensation verwendet werden. Jemanden, der völlig gefeit gegenüber Süchten ist, gibt es dagegen nicht.

medinlive: Die zweite Frage war die Frage nach dem Königsweg in der Therapie. Gibt es einen solchen?

Yazdi: Ja, das wäre die Prävention, wenn Sie so wollen. Denn wenn wir schon dort sind, mitten in der Sucht, im übermäßigen Konsum, dann wird es schwierig. Deswegen gilt, schon vorher den Konsum einzuschränken. Hin und wieder am Handy zu spielen, ist völlig in Ordnung. Aber das jeder Elfjährige zu Weihnachten ein Handy geschenkt bekommt, zur freien Verfügung, das müssen wir verhindern, als Gesellschaft, als Eltern. Denn das ist absurd, dadurch fördere und erzeuge ich ja erst die Sucht! Durch die massiv gestiegene Verfügbarkeit des Suchtmittels. Die Nutzungszeiten müssen da zum Beispiel eingeschränkt werden, es soll nicht jeden Tag Computer gespielt werden. Bei Kindern geht das ja durchaus, aber viele Eltern fürchten sich, ihre Kinder einzuschränken. Sie fürchten sich, ihrem Neunjährigen das Computerspielen zu beschränken, Stichwort Gruppendruck. Aber natürlich kann der Neunjährige das nicht selber steuern! Wir geben einem Kind ja auch nicht ein Kilo Schokolade und sagen, du wirst schon merken, wann du genug hast. Warum machen wir das dann bei Handys, und Computerspielen und erwarten uns, dass das in Ordnung ist?   

Viele Eltern kommen außerdem zu uns und haben schlicht keine Idee davon, was ihre Kinder den ganzen Tag am Computer machen. Damit müssen sie sich aber auseinandersetzen, das ist wichtig!  Es reicht nicht zu sagen, ich kenne mich damit nicht aus! Eltern müssen das lernen, weil es für junge Menschen ein großes Thema ist.  

medinlive: Welche Methode greift dann, wenn die Prävention nicht ausreichend war?

Yazdi: Wenn jemand bereits eine Sucht entwickelt hat oder ein problematisches Verhalten zeigt, dann geht es hauptsächlich um die Motivation. Das heißt, der betroffene Mensch muss in irgendeiner Art und Weise bereit sein, sein Konsumverhalten und ergo sein Leben insgesamt zu ändern. Das ist unser größtes Dilemma in der Spielsuchtambulanz, wenn die Eltern mit ihren Kindern kommen und diese Kinder null Problemeinsicht zeigen. Natürlich haben sie dann auch keine Motivation, etwas zu ändern, wenn sie das Problem nicht begreifen. Dann wird es schwierig, denn wie wir wissen, geht es da um einen psychotherapeutischen Prozess, der nur dann funktioniert, wenn man sich als Betroffener darauf einlässt. Das ist auch die hohe Kunst der Behandlung, diese Motivation zu induzieren. Dafür muss man ein Händchen haben.  

medinlive: Gibt es eigentlich aktuelle Daten für Österreich zum Thema Gaming Disorder?

Yazdi: Leider nicht, es ist ganz schwierig, hier überhaupt an Zahlen zu kommen. Es gibt nur zwei seriöse Untersuchungen in den letzten Jahren, also Studien, die auch wissenschaftlich untermauert sind, und das ist zum einen die SEYLE Studie der EU (Saving and Empowering Young Lives in Europe, Anm. d. Red.) und zum anderen die Studie der Tiroler Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Beide Datenerhebungen stammen aus 2012, veröffentlicht wurden sie 2013. Seit 2012 gibt es allerdings keine aktuellen Daten mehr, und das bei einer Sucht, die weltweit an Relevanz zunimmt und enorm im Steigen begriffen ist. Das heißt, die Daten, die wir dazu überhaupt haben, sind in Wahrheit nicht mehr brauchbar. Es waren in Österreich jedenfalls damals schon 3-4 Prozent der 15jährigen internetsüchtig. Aber nachdem die Suchtprävalenz ja von der Verfügbarkeit des Suchtmittels abhängig ist und die Verfügbarkeit gestiegen ist, siehe WLAN und steigende Zahlen an Smartphones, ist, würde ich sagen, das mittlerweile – auch mit Blick auf Deutschland – auch bei uns wahrscheinlich um die 7- 8 Prozent der Jugendlichen internet- und handysüchtig sind. Ich sehe dieses Problem auf jeden Fall noch dramatisch im Ansteigen begriffen. Und global betrachtet haben wir in Ländern wie Korea und Taiwan ja fast schon eine Epidemie! Es ist katastrophal, wie viele handysüchtige Menschen es dort gibt. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass dieser Teil Asiens generell technikaffiner ist, trotzdem ist das ein Alarmsignal, dass auch bei uns noch Schlimmeres auf uns zukommt, wenn wir Onlinesucht nicht zum Thema machen, in der Schule und im Gesundheitswesen ganz allgemein.

medinlive: Wie sehen die körperlichen Probleme beim Thema Spielsucht aus?

Yazdi: Es gibt genug Jugendliche, die mit 13, 14 anfangen zu spielen und mit 19,20 massive Wirbelsäulenschäden und Haltungsschäden haben oder bereits Gelenksabnützungen. Außerdem werden die Jugendlichen schneller adipös, sind anfälliger für Diabetes und nehmen schlicht psychosozialen Schaden, wenn sie wichtige Entwicklungsfenster verpassen.  Deswegen sprechen wir ja auch von psychischen Erkrankungen in Bezug darauf. Die körperlichen Erkrankungen stehen nicht im Vordergrund, vielmehr verpassen die Kinder die Reifezeit, den normalen sozialen Umgang, die Zeit, die es für das Erlernen sozialer Kompetenzen brauchen würde. Diese Zeit verbringen sie nämlich vor dem Bildschirm.

medinlive: Gibt es eigentlich eine Gewichtung, was problematischer ist, Social media oder Spielsucht?

Yazdi: Das ist ganz unterschiedlich, außerdem betrifft das eine Burschen, das andere fast nur Mädchen, aber laut Prävalenzzahlen aus Deutschland ist beides gleich problematisch und gleich häufig. Es ist schade, dass die Diagnosekriterien derzeit nur Gamingkriterien beinhalten, aber nachdem ICD 11 ja erst in der Betaversion existiert, könnte es sein, dass es das Thema Social Media noch als Untergruppe hineinschafft.

medinlive: Diese klare Genderabgrenzung, woher kommt die bei dieser Thematik?

Yazdi: Das ist bei Süchten grundsätzlich ja nichts Neues, bei Heroin zum Beispiel gibt es fast nur männliche Süchtige. Bei Benzodiazepinen viel mehr Frauen. Diese Süchte entsprechen den unterschiedlichen Veranlagungen und Interessen sowie den unterschiedlichen Normen, diese bedingen das.

medinlive: Wie sieht Ihr persönlicher Therapievorschlag aus, sobald ein Jugendlicher zu Ihnen kommt?

Yazdi: Der Weg ist ein psychotherapeutischer, das Problem lässt sich teilweise auch noch pädagogisch in den Griff bekommen, wenn es noch nicht dramatisch fortgeschritten ist. Wichtig ist es, die Eltern ins Boot zu holen, ihnen zu vermitteln, dass sie wertschätzend und respektvoll mit ihrem Kind umgehen sollen. Das heißt in der Praxis, „Hör auf mit dem Blödsinn!“ ist ein völlig falscher Ansatz. Für das Kind ist Computerspielen oder das Handy eben gerade das Allerwichtigste, diese Wichtigkeit kleinzumachen und abzuwerten, ist nicht zielführend. Es geht ja darum, das Kind dort abzuholen, wo es sich gerade befindet. Verständnis ist wichtig, zu sagen, du, ich sehe das ein, wie wichtig dir das ist, aber trotzdem müssen wir uns gemeinsam Zeiten ausmachen und Grenzen festlegen. Es ist wichtig, dem Kind klarzumachen, dass diese Einschränkung passiert, weil man sich Sorgen macht. Auch dieser therapeutische Aspekt, herauszufinden, wo die Ursachen zu verorten sind, warum der Jugendliche eigentlich so viel Zeit vor dem Computer verbringt, Kommunikationschwierigkeiten im „echten“ Leben zum Beispiel, der ist wichtig. Wenn diese Mechanismen beleuchtet worden sind, können Zukunftsideen entwickelt werden. Wir haben auch für die Eltern eine eigene Therapiegruppe, wo es darum geht, wie man mit seinen Kindern in Beziehung bleiben kann trotzdem man sie empfindlich einschränkt. Oft sind die Eltern natürlich beunruhigt und fürchten, dass das Kind sie jetzt hassen würde. Diese Angst ist durchaus nachvollziehbar. Da geht es dann darum, wie komme ich mit diesem Zorn zurecht und bleibe trotzdem in Beziehung miteinander?

medinlive: Ich bedanke mich sehr herzlich für das Gespräch!

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„Wenn man grundsätzlich einmal versteht, dass Suchterkrankung Suchterkrankung ist, muss man sich damit beschäftigen, was bei jeder dieser Süchte gleich abläuft und wo sie beginnt. Bei jeder psychischen Krankheit ist etwa der Leidensdruck gleich. "
„Wichtig ist es, die Eltern ins Boot zu holen, ihnen zu vermitteln, dass sie wertschätzend und respektvoll mit ihrem Kind umgehen sollen. Das heißt in der Praxis, „Hör auf mit dem Blödsinn!“ ist ein völlig falscher Ansatz. Für das Kind ist Computerspielen oder das Handy eben gerade das Allerwichtigste."