Studie

Menschen mit Behinderungen in Massenmedien stark unterrepräsentiert

Menschen mit Behinderungen sind in Massenmedien und auf deren Social-Media-Kanälen stark unterrepräsentiert. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von „Media Affairs“, die am Dienstag im Rahmen der Auftaktveranstaltung der Zero Project Conference 2023 im Parlament präsentiert wurde. „Ein Viertel der Berichterstattung 2021/22 wies problematische Inhalte auf“, sagte Studienleiterin Maria Pernegger. Im Vergleich zur letzten Erhebung 2015/16 sei das aber eine Verbesserung.

red/Agenturen
„Inklusion braucht Sichtbarkeit“ Studienleiterin Maria Pernegger

„Inklusion braucht Sichtbarkeit“, sagte Pernegger eingangs. Diese mediale Sichtbarkeit fehle Menschen mit Behinderung nach wie vor, obwohl laut Statistik Austria mehr als 18 Prozent der österreichischen Bevölkerung betroffen sind.

Wird über Menschen mit Behinderung berichtet, so liegt der Fokus oft auf zwei Themen: Charity und Behindertensport. Diese beiden Sparten machen die Hälfte aller Berichte aus. Bei ersterem würden Journalisten Menschen mit Behinderung oftmals als „arme Bittsteller“ oder „Opfer“ darstellen, in der Sportberichterstattung sei es hingegen eine „Heldendarstellung“. Beides erachte die UN-Behindertenrechtskonvention als problematisch, da diese Darstellung nicht den tatsächlichen Alltag von Menschen mit Behinderung abbilde. „Charity bringt vielleicht einer Einzelperson etwas, hindert aber strukturelle Veränderung. Ein zu großer Fokus auf Charity verunmöglicht echte Inklusion“, so Pernegger.

Zentrale Alltagsthemen von Betroffenen wie etwa die inklusive Bildung und die finanzielle Absicherung sowie die Arbeitsmarkt- oder Wohnsituation von Menschen mit Behinderung seien hingegen nach wie vor stark unterrepräsentiert. Problematisch sei es laut UN-Konvention etwa, wenn diskriminierende Phrasen verwendet werden, die beleidigen oder Rollenklischees bedienen („er ist vom Leben gezeichnet“, „an den Rollstuhl gefesselt“). Auch die Einordnung in „Opfer“ und „Held“ oder „Heldin“ schlage in diese Kerbe.

Viertel der Berichterstattung widerspricht UN-Konvention

Aus Sicht der UN-Behindertenrechtskonvention sei ein großer Teil der Berichterstattung in Österreich - sowohl in klassischen Medien als auch auf deren Social Media Accounts - als neutral zu beurteilen. Ein Viertel der Berichterstattung widerspreche jedoch noch immer der UN-Konvention. Im Jahr 2015/16 waren es aber noch gut 50 Prozent der Berichte, die problematische Inhalte enthielten. Auffällig sei laut Pernegger, dass Boulevardmedien besonders schlecht abschneiden würden. Besonders positiv fielen die Social Media Kanäle der Zeit im Bild und der Tageszeitung „der Standard“ sowie orf.at auf.

Seit der letzten Erhebung 2015/16 gebe es aber auch eine positive Entwicklung zu beobachten. Es würden Projekte und Vorbilder präsentiert, welche Inklusion gelingen lassen und durch Information und Best-Practice-Beispiele Bewusstsein geschaffen. Darüber hinaus erhalten Themen der gesellschaftlichen Teilhabe und des selbstbestimmten Lebens mehr Raum - dazu gehört beispielsweise die umfassende Barrierefreiheit oder die persönliche Assistenz. Auch werden mehr Menschen mit Behinderung im Job gezeigt und so Vorurteile abgebaut, betonte Pernegger.

Klar zu beobachten sei auch ein „Gender-Gap“. Ein knappes Drittel der präsenten Menschen mit Behinderung seien Frauen. Damit sei man noch deutlich von einer Gleichstellung entfernt, im Vergleich zu 2015/16 sei das aber ein positiver Aufwärtstrend. Die Medienanalyse zeige auch, dass Beiträge über Menschen mit Behinderungen in Medien zu drei Viertel von Redakteurinnen, also Frauen kommen. Außerdem würden Medien in der Regel eine „Außenansicht“ transportieren. Das ergäbe sich daraus, dass nur selten Menschen mit Behinderung in „den Redaktionen der einflussreichsten Medienhäuser in Österreich aktiv mitgestalten“, heißt es in der Studie.

Perneggert kritisiert Politik

Kritik gab es von Pernegger für die Politik. Lediglich zwei Prozent der Berichterstattung seien auf Vertreter oder Vertreterinnen von Parlamentsparteien zurückzuführen. Sprechen diese über Behinderungen und Inklusion, dann auch nicht im „sachpolitischen Kontext“, bemängelte Pernegger. Treten Politiker und Politikerinnen in Berichten über Behinderungen auf, so zu meist in der Charity- oder Sportberichterstattung oder durch Porträts von Politikern mit Behinderungen. „Inklusion kann nicht automatisch passieren, nur weil sie gesetzlich festgeschrieben ist“, so Pernegger.

Die Zero Project Konferenz findet jährlich in der Wiener UNO-City statt. In diesem Jahr widmet sich die Konferenz von 22. bis 24. Februar den Themen selbstbestimmtes Leben und politische Teilhabe sowie Informations- und Kommunikationstechnologie. Im Rahmen der heutigen Auftaktveranstaltung haben Nationalratsabgeordnete konkrete internationale Projekte - etwa zur Stärkung der politischen Teilhabe von Menschen mit Behinderung oder der Unterstützung bei der Kindererziehung - vorgestellt.

Auszeichnungen für barrierefreie Innovationen

Bei der Zero Project Conference werden auch Awards für Innovationen vergeben, welche die Barrierefreiheit zum Ziel haben. Darunter befinden sich heuer auch zwei Projekte von „Licht für die Welt“, wie die Fachorganisation für Menschen mit Behinderungen zum Konferenzbeginn mitteilte. So wurde der Zero Project Award 2023 an die Onlineplattform „EnableMe Kenia“ verliehen, die wichtige Informationen aus den Lebensbereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit, politische Partizipation, Partnerschaft und vieles mehr zur Verfügung stellt.

Jeden Monat werden auf „EnableMe Kenia“ verschiedene Themen diskutiert und über Social Media verbreitet. Anlässlich der Wahlen 2022 in Kenia hatte sich die Plattform unter dem Hashtag #thedisabilityvote2022 für barrierefreie Wahlen eingesetzt. „Der Onlinechat zu den Wahlen ist durch die Decke gegangen. Mehr als 614.000 User*innen haben sich an der Diskussion beteiligt. Sie ist auf die Mainstream Medien übergesprungen und sieben Menschen mit Behinderungen haben Mandate erhalten. Das ist der höchste Anteil, den wir im kenianischen Parlament je hatten“, berichtete Faith Masengo, Innovation Lead bei EnableMe in Kenia.

Wahlen hatte auch das zweite ausgezeichnete „Licht für die Welt“-Projekt im Blickpunkt. In Zusammenarbeit mit lokalen Behörden in Burkina Faso einen Leitfaden für inklusive Wahlen erstellt. Wenngleich die Abhaltung solcher nach den beiden Militärputschen offen bleibt, sollen mit dem Leitfaden fehlendes Wissen und Diskriminierung, unzugängliche Informationen sowie physische Barrieren abgebaut werden, damit die politische Teilhabe ermöglicht wird. Der Award bedeute, das Projekt „ist innovativ, es hat Impact und es dient anderen als Vorbild“, freute sich Étienne Bagré, Länderdirektor von Licht für die Welt Burkina Faso.

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