ÖH im Interview

„Die Allgemeinmedizin wird stiefmütterlich behandelt!"

Ärztemangel am Land, immer stärkere Abwanderung ins Ausland und immer lauter werdende Wünsche nach mehr Work-Life-Balance sind Themen, die die Ärzteschaft bewegen. Wie aber geht es dem medizinischen Nachwuchs damit? medinlive hat sich mit Isolde Kostner, der 2. Stv. Vorsitzenden der ÖH Medizin Wien und Generalsekretärin Olga Fotiadis zusammengesetzt, um mehr darüber zu erfahren.

Eva Kaiserseder

medinlive: Wir sitzen hier quasi im Bauch des Kolosses, im Wiener AKH, wo Klinik und Lehre zusammenkommen. Die universitäre Ausbildung ist mittlerweile stark verschult und weniger frei gestaltbar als früher. Wie geht es den Studierenden damit?

Isolde Kostner: Da haben Sie Recht, durch den vorgefertigten Lehrplan des Medizinstudiums wird uns nur wenig Gestaltungsfreiheit gelassen. Trotzdem haben wir neben dem fix vorgegebenen Curriculum die Möglichkeit, Wahlfächer mit diversen interessanten Themen zu besuchen und im Rahmen von Famulaturen bestimmte Fachrichtungen anzuschauen. Ein Problem ist allerdings, dass die meisten Studierenden neben dem Studium arbeiten müssen, wofür durch die Verschulung des Studiums aber kaum Zeit bleibt. Es ist zwar ein freier Nachmittag in der Woche vorgesehen, den man zum Arbeiten verwenden kann (dieser ist von der Wahl der Kleingruppe und des sogenannten „Line-Tages“ abhängig, somit haben nicht alle Studierenden gemeinsam frei, Anm.), aber meistens ist das nicht ausreichend. Ansonsten ist es ein sehr geballtes, intensives Studium, denn das Ziel der MedUni ist es, nach sechs Jahren fertige Medizinerinnen und Mediziner zu „produzieren“, wie das Unwort heißt, und damit ein gutes Fundament zu legen, da wir ja nachher ohnehin noch eine recht lange Facharztausbildung vor uns haben. Dabei ist es aber selbstredend schwierig, alle Inhalte gleichermaßen zu behandeln, manche Fächer verlieren dabei an Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Das ist unserer Meinung nach ein Problem.

medinlive: Welche Fächer fallen Ihnen da spontan ein?

Kostner: Der Löwenanteil der Inhalte wird in Vorlesungen vermittelt, es gibt dann vertiefende Seminare, etwa in Pädiatrie, was auch gut ist, aber Themen wie beispielsweise die Urologie gehen momentan unter. Auch die Allgemeinmedizin wird stiefmütterlich behandelt.

medinlive: Gutes Stichwort, wie sehen Sie die Debatte um die fehlenden Allgemeinmediziner? Es gibt ja seitens der MedUni das so genannte „KPJ Exzellenzprogramm Allgemeinmedizin“, wie funktioniert das?

Olga Fotiadis: Beim Exzellenzprogramm geht es darum, den Studierenden einfach einen Anreiz zu schaffen, auch in diesem Bereich zu arbeiten. Das Problem bisher war dabei, daß es im KPJ (Klinisch Praktisches Jahr, das sechste und letzte Jahr der Ausbildung, Anm.) nur in der Klinik eine Aufwandsentschädigung in Höhe von derzeit 650 Euro brutto gibt bzw. arbeitet man je nach Arbeitsort immer noch unentgeltlich. Da soll dieses Programm Abhilfe schaffen, konkret heißt das, man bekommt auch Geld, wenn man in der Niederlassung ist. Es ist allerdings noch nicht ganz ausgereift, momentan gibt es nur 20 Plätze, die auf Wien begrenzt sind und der Start für das 1.Tertial im August ist sehr unflexibel, weil es fix vorgesehene Einstiegstermine gibt.

medinlive: An was liegt es Ihrer Meinung nach, dass der Nachwuchs wenig Interesse an der Allgemeinmedizin zeigt?

Fotiadis: Das Ganze hat recht viele Gründe und viele davon entwickeln sich schon im Studium. Wir bekommen zum Beispiel erst extrem spät Einblick in die Allgemeinmedizin und die Anreize, von selbst hineinzuschnuppern, fehlen. Es gibt ja auch keine bezahlten Praktika, Famulaturen oder ähnliches in der Allgemeinmedizin und bis dato noch keinen Facharzt, auch wenn das im Werden ist. Da fehlt einfach die Wertschätzung, obwohl wir rational alle wissen, wie wichtig die Primärversorgung ist. Dabei denke ich, wenn man wirklich schon in der Ausbildung beim Allgemeinmediziner wäre und mitbekommt, was da den ganzen Tag gemacht wird, wieviel Respekt ihm die Patienten entgegenbringen und wie abwechslungsreich das Ganze ist, dann wären auch viel mehr Studierende an dem Beruf interessiert. Aber soweit kommt man in der Ausbildung einfach nicht und deshalb ist und bleibt das Thema unsichtbar für uns.

medinlive: Haben Sie also das Gefühl, wenn der Bereich schon im Studium forciert werden würde, gäbe es mehr Absolventen, die sich dafür entscheiden würden?

Kostner: Ja, definitiv! Ich selbst zum Beispiel weiß noch nicht in welche Richtung ich später gehen möchte. Wenn ich mit einem Fachbereich nie in Kontakt komme, wie soll ich dann wissen, was das Fach so interessant macht? Und wenn mir während des Studiums diese Inhalte auf eine spannende Art nähergebracht werden würden, dann wäre es für mich eindeutig auch eine Überlegung wert, mich für diese Ausbildung zu entscheiden.

medinlive: Stichwort KPJ: Wieviel ist dran an der vielfach kritisierten Situation der Studierenden im praktischen Jahr als „Systemerhalter“, erleben Sie das auch so und hat sich das gebessert?

Kostner: Eine schwierige Frage, da das sehr von der Abteilung und dem Krankenhaus, in dem die Studierenden ihr Klinisch-Praktisches Jahr absolvieren, abhängt. Wir hören aber nach wie vor, dass man eher für Tätigkeiten wie Blutabnahme, Anamnese oder Arztberichte schreiben eingesetzt wird. Ein Extrembeispiel ist zum Beispiel, das ein KPJ-ler nicht mit auf Visite durfte, weil er stattdessen Blut abnehmen musste. Wir plädieren außerdem dafür, dass sich Mentoren mehr Zeit nehmen, aber auch, dass nicht nur Oberärzte oder Fachärzte diese Aufgabe übernehmen, sondern auch Assistenzärzte. Denn sie sind noch viel näher an der Ausbildung dran und zudem öfter auf den Stationen. Die Mentoren sollten dann optimalerweise mit den Studierenden die Woche Revue passieren lassen, mit ihnen über Erlebtes sprechen, wo in dieser Woche die Schwierigkeiten lagen, Feedback zum Geleisteten und Raum für Wünsche geben, was man nächste Woche üben bzw. gerne sehen würde. Sinn würde für uns Studierende auch eine Art Belohnungssystem für gute Mentoren machen, also ein Anreiz für Lehrende, die besonders motiviert sind, gute Lehre zu betreiben. Ich hatte zum Beispiel eine großartige Famulatur im Sommer, dort durfte der aktuelle KPJ-Studierende überall mit hin, überall mit anpacken und das war toll zu sehen. So geht es also auch. Genau das sollte die Regel sein.

medinlive: Wie ist Ihr Eindruck, wie wird das KPJ für die Stammteams in den Krankenhäusern empfunden?

Kostner: Ich glaube, der Personalmangel verursacht einiges an Schwierigkeiten. Es gibt zum Glück viele Ärztinnen und Ärzte die sagen, sie würden gerne Lehre betreiben. Aber sie haben einfach unmöglich Zeit dafür und bedauern diesen Zeitmangel auch. Was ziemlich traurig ist, denn wir sind der Nachwuchs und wir brauchen das Knowhow erfahrener Ärztinnen und Ärzte, die uns ihr Wissen und ihre Skills weitergeben. Das KPJ ist unser Sprungbrett in die Klinik und wir müssen uns danach sicher fühlen, Patientinnen und Patienten gut zu betreuen. Wenn es da holpert, dann fehlt ein wichtiger Baustein. Abgesehen davon ist das KPJ ja auch eine potentielle Win-Win-Situation für alle Beteiligten inklusive den Patienten: Wenn das Spital einen begabten Studierenden hat, dann kann versucht werden, ihn oder sie am Haus zu halten oder später zum Zurückkommen zu bewegen.

medinlive: Was sagen die Studierenden, die ihr KPJ im Ausland verbracht haben, wo liegen die Unterschiede zu Österreich?

Kostner: Das ist so stationsabhängig, auch national, und es gibt so große Unterschiede in den Spitälern, deswegen tue ich mich da schwer, diese Unterschiede örtlich oder gar über Landesgrenzen hinaus festzumachen. Was mir allerdings aufgefallen ist, auch aus Eigeninteresse: Es gibt zum Beispiel in Heidelberg eine so genannte interprofessionelle Ausbildungsstation (HIPSTA), dort betreuen Medizinstudierende im Praktischen Jahr gemeinsam mit Pflegeauszubildenden und Auszubildenden anderer Professionen einen Teil einer Station selbst. Das geschieht zwar unter Supervision eines Arztes oder im Fall der Pflegeauszubildenden mit Lehrbegleitenden der Pflege, aber die Studierenden sind dazu angehalten, eigenständig über die nächsten Schritte und die weitere Therapie nachzudenken und im interdisziplinären Team zu arbeiten. So etwas auch in Wien oder Österreich zu etablieren, wäre ein großer Gewinn für die Ausbildung, solche Projekte fördern die Selbstsicherheit, Teamwork und auch die Wertschätzung anderer Professionen ungemein.

medinlive: Themenwechsel weg vom KPJ: Die Niederlassung und Spital sind zwei doch relativ unterschiedliche Arbeitswelten. Wie erleben Sie diesen Unterschied im Studium, wo liegen hier für Sie die Pros und Contras?

Fotiadis: Aus meiner persönlichen Warte kann ich sagen, dass ich direkt nach dem Studium unbedingt in eine Klinik möchte, weil mich die Niederlassung leider finanziell und bürokratisch abschreckt. Außerdem möchte ich Erfahrungen sammeln und mich mit den Kollegen austauschen, um möglichst viel zu lernen, das geht alleine in der Niederlassung meiner Meinung nach eher schlecht. Allerdings kann ich mir später eine eigene Praxis gut vorstellen, die Selbstständigkeit ist ja durchaus reizvoll, aber ich würde im Moment nicht als Hausärztin arbeiten wollen, sondern eher als Fachärztin.

Kostner: Ich glaube, damit sprichst du ganz vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Seele, so geht es vielen von uns, man traut sich nicht wirklich in die Niederlassung, solange noch keine Routine und Erfahrung da ist. Auch der Austausch ist einfach so wichtig und der ist in einem Spital einfach viel intensiver gegeben.

medinlive: Und so genannte PVEs (Primärversorgungseinheiten), was halten Sie davon? Also Gruppenordis, die entweder unter einem Dach zusammenarbeiten oder als Netzwerk (PVN) an unterschiedlichen Standorten?

Kostner: Gemeinsam zu arbeiten ist sicherlich viel attraktiver, bei mangelndem Wissen holt man sich Kolleginnen und Kollegen zur Unterstützung und deswegen denke ich, wäre das schon ein Anreiz.

Fotiadis: Ich glaube sogar, es gibt Leute, die das auch gleich nach dem Abschluß machen würden, in eine Gruppenordi zu gehen. Wenn man das entsprechend fördert und etwa für kleine, eher entlegene Orte passenden Gebäude zur Verfügung stellt, ist das sicherlich attraktiv für viele.

medinlive: Wie ist Ihr Gefühl zur Haltung der Studierenden gegenüber der Profession Medizin? Was hat sich geändert, welche Dinge sind wichtig, die bei den Vorgängergenerationen vielleicht noch „unter ferner liefen“ verbucht waren?  Wie wird der  dräuende Ärztemangel erlebt? 

Kostner: Die vielzitierte „Work Life Balance“ ist definitiv ein großes Thema, viele von uns wollen eine Familie gründen und die Vereinbarkeit dessen mit dem Arztberuf ist nicht unbedingt die Allerbeste. Das bereitet vielen Kopfzerbrechen und spielt eine große Rolle bei den Plänen der Studierenden. Wir haben uns ja alle bewusst für diesen extrem zeitraubenden Beruf entschieden und gerade am Anfang muss man sich sehr reintigern. Ich denke, viele überlegen dann, mit einer Intensivierung der Familienphase in die Niederlassung zu gehen, wo man die Arbeitszeiten einfach viel besser regeln kann.

Fotiadis: Ich finde es sehr schade und schlimm, dass die Vereinbarkeitsfrage noch immer so ein großes Fragezeichen in Österreich ist. Es betrifft alle, aber noch immer sind vor allem die Frauen damit konfrontiert, wie sich Familie und Job unter einen Hut bringen lassen. Ich höre so oft von Freundinnen, die ins Studium starten und hochambitioniert sind und zB. Neurochirurgie machen wollen und die dann später sagen, nein, ich mache doch etwas anderes, weil das lässt sich mit der Familie einfach nicht vereinbaren. Und das ist meiner Meinung nach wirklich skandalös, denn man sollte das Fach wählen, zu dem man sich berufen fühlt, dass man gut kann und das man wirklich machen möchte. Das sollte einfach möglich sein. Und es gibt andere Länder, die da eindeutig Vorreiter sind! Die klassischen Beispiele, die immer genannt werden, sind Schweden und Norwegen und tatsächlich herrscht dort eine ganz andere Arbeitskultur, die deswegen aber nicht weniger effizient ist! In Schweden gibt es im Karolinska zum Beispiel ein durchschnittlisches Arbeitspensum von 40-45 Stunden und es funktioniert gut, warum soll das nicht auch bei uns möglich sein.

Es darf anno 2020 einfach nicht mehr sein, dass ich mir als Frau Gedanken machen muss, ob sich Kinder für mich ausgehen oder nicht, wenn es mein Job nicht zulässt. Hier ist es oft so, wenn man ein Jahr Karenz nehmen möchte, wird man als Ärztin, als Arzt ja angeschaut, als würde man den Beruf jetzt völlig aufgeben, als wäre das der absolute Weltuntergang. Und ja, es ist ein total dynamischer Beruf, aber eine Pause sollte trotzdem möglich sein.

medinlive: Vor einigen Monaten war eine Aufstockung bzw. sogar Verdopplung der Studienplätze großes Thema, wozu sich die ÖH recht schnell sehr direkt und eindeutig positioniert hat. Was halten Sie davon, kann das die Lösung für den partiellen Ärztemangel sein?

Kostner: Da gab es geteilte Meinungen, an sich wären mehr Plätze toll, da es jedes Jahr zehnmal so viele Anwerber für das Medizinstudium gibt als Plätze für künftige Studierende, aber erstens löst es wenn überhaupt das Problem des Gesundheitssystems erst in vielen Jahren, da die Studierenden ja erst einmal das Studium abschließen müssen und danach noch eine Facharztausbildung absolvieren. Zweitens würde eine Verdopplung der Studienplätze zu einem Qualitätsverlust unseres Studiums führen. Unsere Ausbildung kommt nicht ohne den klinischen Aspekt aus – kämen noch mehr Studierende dazu, sehen wir irgendwann gar keine Patienten mehr.

Fotiadis: Sinnvoller wäre es wohl zu fragen, warum es die Ärzte ins Ausland zieht, da gäbe es viel Handlungsbedarf.

Kostner: Pro Jahr gibt es ja schon jetzt 1680 Absolventinnen und Absolventen von öffentlichen Medizinunis, wenn man es schafft diese Leute im Land zu halte, wäre schon viel gewonnen. Wobei man damit immer noch nicht die Verteilungsproblematik, also den Ärztemangel am Land, in den Griff bekommen hat..

medinlive: Wie würden Sie den brain drain ins Ausland mildern?

Kostner: Wir sind auch hier der Meinung, dass sich Anreize schon im Studium auszahlen würden. Ich persönlich würde zum Beispiel gerne via Famulatur aufs Land schauen, aber es fehlt die Infrastruktur, das bedeutet, ich bekomme nicht nur keine Aufwandsentschädigung, sondern muss mir auch das Wohnen vor Ort selbst finanzieren. Das schreckt logischerweise viele ab, weil es schlicht nicht leistbar ist, Miete zu zahlen ohne jegliches Einkommen. Eine Option wäre es etwa, entweder die Wohnung vor Ort bezahlt zu bekommen oder Öffitickets zu finanzieren.

Ein anderer Anreiz wäre, an besonders unattraktiven Standorten auch in Hausarztpraxen eine Aufwandsentschädigung zu bezahlen, in Vorarlberg wird das zum Beispiel gemacht, das sind momentan um die 500 Euro. Das funktioniert sehr gut dort haben wir gehört, die Praxen sind ausgebucht für die kommenden zwei Jahre. Der Clou dabei ist, wenn man einmal dort ist, ins Team eingegliedert wird, einen Bezug entwickelt zu den Menschen, zu dem Ort, dann fällt die Entscheidung dortzubleiben oder dahin zurückzukommen, um vieles leichter.  Das wäre vielleicht eine Idee, Leute verstärkt aufs Land zu bekommen.

medinlive: Stichwort Wahlarzt: Wie steht ihr dazu? Es gab ja im vergangenen Jahr kurz eine Debatte darüber, ob man Ärzte sozusagen als Kassenärzte verpflichten sollte, um den Mangel in den Griff zu bekommen.

Kostner: Klüger wäre es einmal zu hinterfragen, warum denn so wenige Kassenarzt werden wollen! Man wird als Mediziner in dieses nicht besonders gut bezahlte Kassensystem gepfercht und hat die Ökonomie immer im Hinterkopf, ob man will oder nicht. Das ist nicht nur stressig und ein finanzieller Druck, es ist auch oft nicht vereinbar mit dem hohen Anspruch, den die meisten Ärzte an sich haben, und deswegen entscheiden sich dann wahrscheinlich so viele für die Wahlarztordi.

Fotiadis: Ich komme aus einer Kleinstadt aus Deutschland, die eine hohe Ärztedichte hat, und ich kenne diese Problematik, die hierzulande herrscht, gar nicht. Symptomatisch ist wohl, dass ich hier anfangs eine Fachärztin gesucht habe und eine Freundin meinte, ich soll es bei einer Kassenärztin gar nicht erst versuchen, denn so diese überhaupt noch Patienten nimmt, müsste ich drei, vier Monate warten, am besten solle ich also gleich zum kostenpflichtigen Wahlarzt gehen. Da ist man dann doch ziemlich erstaunt, wenn man sehr gute, viele Kassenärzte gewöhnt ist und da kein Qualitätsgefälle spürbar ist.

medinlive: Und warum gehen Ihrer Meinung nach so viele Medizinabsolventen ins Ausland was macht Österreich so unattraktiv? Bezahlung, Personalmangel und daraus resultierend ein zu hoher Workload...was ist es denn konkret?

Fotiadis: Ich glaube die Bezahlung ist nicht der prioritäre Grund, die hat sich halbwegs angepasst, ich glaube es hängt oftmals ab von der Basisausbildung und hier konkret vom Zeitverlust ab. Leute, die in etwa schon wissen, welches Fach sie nehmen wollen, möchten sich oft nicht mit neun Monaten Basisausbildung aufhalten und dann noch sechs Monate auf den Platz warten, wenn etwa in Deutschland sofort ein Platz frei ist. (In Österreich folgt nach dem Studium eine Art Basisausbildung, in dem noch andere Fächer durchrotiert werden, bevor der eigentliche Facharzt kommt, Anm.) Und um noch einmal auf die geforderte Verdopplung der Studienplätze zurückzukommen: Wenn das schon problematisch ist und man ohnehin schon lange auf den Platz warten muss, würden noch mehr Studienplätze die Situation verschärfen.

Kostner: Zum Beispiel Wien: Will man im KAV arbeiten, kann man sich dazu schon im 5. Jahr auf eine Liste schreiben lassen, dann dauert es aber bis zu einem Jahr, bis du eine Stelle angeboten bekommst. In Deutschland bekommst du dagegen mit ein bisschen Glück sofort eine Stelle. Allerdings, muss man dazu sagen, ist Wien natürlich sehr begehrt.

medinlive: Ein Schwenk zur konkreten Unipolitik: Was will denn die ÖH direkt an der MedUni umsetzen?

Kostner: Ein großes Thema ist zum Beispiel Mobilität an unserer Uni. Dadurch, dass das System so verschult ist, unterscheiden sich die Curricula sehr stark voneinander, man kann also nicht während des Studiums an eine andere Uni wechseln oder ein Semester woanders machen. Der dritte Abschnitt, also die letzten zwei Jahre, ist eigentlich die einzige Möglichkeit bei uns, ins Ausland zu gehen. Es gibt aber gerade einmal 60 Erasmusplätze für 660 Studierende und das hauptsächliche Vergabekriterium ist dabei die Note der SIP-Prüfung (Gesamtprüfung des Jahresstoffes, Anm.) Wünschenswert wären also nicht nur mehr Plätze, sondern auch andere Faktoren, die die Vergabe der Plätze beeinflussen.

Außerdem gibt es ganz viele Themen rund ums KPJ, die uns umtreiben, auch die Implementierung der schon erwähnten interprofessionellen Ausbildungsstationen liegt uns am Herzen. Wichtig wäre uns auch ein einheitliches Anmeldesystem für KPJ-Plätze in Wien, das läuft derzeit eher unstrukturiert.

medinlive: Wie kann man sich das vorstellen?

Kostner: Man schreibt das Wunschkrankenhaus an, sieht aber vorab nicht, ob es dort überhaupt noch freie KPJ-Plätze gibt. Dann wartet man. Oft springen die Studierenden ja auch wieder ab, weil man sich ja bei mehreren Stellen bewirbt und nirgends weiß, wie dort der Status Quo ist. Das heißt man bekommt eine Zusage, die anderen Krankenhäuser, die dich aber auch schon als Zusage eingebucht hätten, haben aber plötzlich wieder Plätze frei durch deine Absage und man steht wieder an dem Punkt, das man nicht weiß wo offene Plätze sind. Das ist ein enormer bürokratischer Aufwand für alle Beteiligten und wir finden, da bräuchte es mehr Struktur und Transparenz. Eine Evaluierungsplattform, die das verwaltet, wäre optimal, wir nutzen da bereits die von der ÖH Med Graz entwickelte  Plattform www.pjcheck.at. Es bietet auch einen guten Überblick, wo die besten Ausbildungskrankenhäuser zu finden sind.

Und die KPJ-Aufwandsentschädigung ist natürlich ein Dauerbrenner, denn die momentane Höhe deckt die Lebenshaltungskosten nicht ab. Es ist auch keine einheitliche Summe. Und als KPJ-ler hat man ja vorher schon fünf Jahre studiert, wir sind also tatsächlich eine Hilfe, so man uns helfen lässt. Mit dem Pensum, das wir im Spital haben, können wir unmöglich arbeiten und nicht jeder hat das Glück, Unterstützung von seinen Eltern zu bekommen. Es darf nicht sein, dass es ohne diesen Background problematisch wird.

Fotiadis: Das Argument ist natürlich immer, es gäbe kein Geld, kein Budget für eine höhere Aufwandsentschädigung, aber wir leisten ja auch etwas! Und meistens ist es so, wenn die großen Wiener Krankenhäuser mit einer Erhöhung anfangen, dann ziehen die anderen Spitäler nach. 

medinlive: Apropos große Wiener Krankenhäuser: Wie viele Studierende wollen denn nach Abschluss des Studiums in die öffentlichen Häuser hier?

Kostner: Schon viele, gerade das AKH hat natürlich Heimvorteil, es ist ein tolles Krankenhaus mit einem extrem guten Ruf und wenn man es großteils ohne Tageslicht aushält, ist es eigentlich perfekt (lacht). 

Die MedUnis in Zahlen

Aktuell gibt es alleine 4.711 Humanmedizinstudierende an der Wiener MedUni, an der MedUni Graz sind insgesamt 4.350 Studierende inskribiert und in Innsbruck (ebenfalls an der gesamten Medizinischen Universität) 3.302 Studierende. Die erst 2014 gegründete Medizinische Fakultät in Linz zählt 219 Studierende.

Für MedAT, den Aufnahmetest für alle Medizinstudienbewerber*innen landesweit, gab es österreichweit 17.599 Studienbewerber*innen, 2019 lag die Zahl bei 16.443 angemeldete Bewerber*innen. Für das Studienjahr 2020/21 stehen für Human- und Zahnmedizin insgesamt 1.740 Plätze zur Verfügung, davon 740 an der Medizinischen Universität Wien (660 Humanmedizin / 80 Zahnmedizin), 400 an der Medizinischen Universität Innsbruck (360 Humanmedizin / 40 Zahnmedizin), 360 an der Medizinischen Universität Graz und 240 an der Medizinischen Fakultät der JKU Linz.

Olga Fotiadis
Olga Fotiadis
Yannic Abulesz
„Ich finde es sehr schade und schlimm, dass die Vereinbarkeitsfrage noch immer so ein großes Fragezeichen in Österreich ist. (..) Es darf anno 2020 einfach nicht mehr sein, dass ich mir als Frau Gedanken machen muss, ob sich Kinder für mich ausgehen oder nicht, wenn es mein Job nicht zulässt."- Olga Fotiadis
Skills Lab MUW
Das Skills Lab der MUW, dort werden in Kleingruppen praktische Übungen erarbeitet.
MedUniWien_Marc Glassner
Isolde Kostner
Isolde Kostner
Yannic Abulesz
„Ich glaube, der Personalmangel verursacht einiges an Schwierigkeiten. Es gibt zum Glück viele Ärztinnen und Ärzte die sagen, sie würden gerne Lehre betreiben. Sie haben aber einfach unmöglich Zeit dafür und bedauern diesen Zeitmangel auch. Was ziemlich traurig ist, denn wir sind der Nachwuchs und wir brauchen das Knowhow erfahrener Ärztinnen und Ärzte, die uns ihr Wissen und ihre Skills weitergeben."- Isolde Kostner.