Teuerungskrise

201.000 Personen waren 2022 erheblich materiell benachteiligt

Die Teuerungskrise zeigt deutliche soziale Folgen: 201.000 Personen waren in Österreich 2022 erheblich materiell und sozial benachteiligt. Das heißt, dass sich 2,3 Prozent der Bevölkerung mehrere Ausgaben wie neue Möbel, einen Urlaub oder eine angemessen warme Wohnung nicht leisten konnten. 2021 waren es noch 160.000 Personen oder 1,8 Prozent der Bevölkerung. Frauen und Alleinerziehende sind davon besonders betroffen.

red/Agenturen

Diese Daten hat die Statistik Austria am Donnerstag veröffentlicht. Als erheblich materiell und sozial benachteiligt gilt nach EU-Definition, wer sich mindestens sieben von 13 Merkmalen und Aktivitäten des täglichen Lebens nicht leisten kann. Diese reichen von unerwarteten Ausgaben in der Höhe von 1.300 Euro über einen Urlaub pro Jahr bis hin zu einer angemessen warmen Wohnung.

Von den 201.000 Betroffenen machten Frauen ab 18 Jahren mit 95.000 oder 47 Prozent die größte Gruppe aus. Des Weiteren waren 70.000 Männer ab 18 Jahren (35 Prozent) sowie 36.000 Kinder und Jugendliche (18 Prozent) Teil dieser von absoluten Armutslagen Betroffenen.

Das höchste Risiko erheblicher materieller und sozialer Problemlagen hatten Personen in Einelternhaushalten. Mit 12,7 Prozent war diese Gruppe fünf Mal häufiger einer erheblichen materiellen und sozialen Deprivation ausgesetzt als die Gesamtbevölkerung. Alleinlebende Frauen (ohne Pensionistinnen) waren nach der Lebensform betrachtet mit 5,7 Prozent die am zweithäufigsten betroffene Gruppe.

Jene 201.000 Personen, die einen absolut geringen Lebensstandard aufwiesen, waren auch häufig mit einer überproportionalen Belastung durch Wohnkosten konfrontiert: 28,3 Prozent hatten Wohnkosten, die regelmäßig mehr als 40 Prozent ihres Haushaltseinkommens ausmachten - in der Gesamtbevölkerung waren es hingegen 7,4 Prozent. Dabei wohnten Personen mit materieller und sozialer Deprivation häufiger in - meist kostengünstigeren - Gemeinde oder Genossenschaftswohnungen (in 52,1 Prozent aller Fälle) als insgesamt (22,6 Prozent der Gesamtbevölkerung).

Auswirkungen auf Gesundheit

Deutlich wird dabei auch der Zusammenhang zwischen materiellen und sozialen Problemlagen und der Gesundheit: Von den ab 16-Jährigen erheblich materiell und sozial Deprivierten bezeichnete beinahe die Hälfte (48,4 Prozent) ihren allgemeinen Gesundheitszustand als schlecht oder sehr schlecht - in der Bevölkerung ab 16 Jahren insgesamt waren es demgegenüber 8,5 Prozent.

Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) erklärte dazu, dass die soziales Lage in Österreich in einem Jahr mit enorm hoher Inflation „weitgehend stabil“ geblieben sei. „Das zeigt, dass wir mit unseren Hilfsmaßnahmen den richtigen Weg gegangen sind“, betont Rauch in einer Aussendung. Für ihn ist aber klar: „Armutsbekämpfung bleibt ein zentraler Auftrag an die Politik. Jeder Mensch in Armut ist einer zu viel.“ Die gute Nachricht für den Sozialminister ist: „Der Sozialstaat trägt. Ohne Sozialleistungen und Pensionen wäre die Zahl armutsgefährdeter Menschen dreimal so hoch.“ Besonderes Augenmerk will er heuer auf den Kampf gegen Kinderarmut legen.

Rauch bezog sich in seinen Ausführungen auch darauf, dass der Anteil der armutsgefährdeten Personen im Jahr 2022 nur relativ leicht von 14,7 auf 14,8 Prozent gestiegen ist. Das sind 1,3 Millionen Menschen. Armuts- oder ausgrenzungsgefährdet waren 1,55 Millionen Menschen (17,5 Prozent), darunter 353.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet gilt ein Haushalt, wenn er erheblich materiell und sozial benachteiligt, also von absoluter Armut betroffen ist, oder weniger als 60 Prozent des Medianeinkommen zur Verfügung hat oder im nur geringen Ausmaß ins Erwerbsleben eingebunden ist.

Ohne Sozialleistungen große Armut

Auch das gewerkschaftsnahe Momentum-Institut verwies darauf, das das Sozialsystem jährlich fast eine Million Menschen vor Armut schützt. Gäbe es keine Sozialleistungen, wäre knapp ein Viertel der Bevölkerung (2,3 Millionen) armutsgefährdet. Zur Senkung der Armut wird etwa gefordert, die Ausgleichszulage von 1.110 Euro an die Armutsgefährdungsschwelle von 1.392 Euro anzupassen. Diese Forderung erhebt auch Caritas-Präsident Michael Landau. Statt Einmalzahlungen verlangt er auch weitere strukturelle Maßnahmen wie eine Reform der Sozialhilfe und eine Anhebung des Arbeitslosengeldes. Auch für Volkshilfe Direktor Erich Fenninger reichen die bisherigen Maßnahmen der Regierung nicht aus, um Armut zu bekämpfen. Er fordert die Einführung einer Kindergrundsicherung, einer Energie-Grundsicherung, einer Mietpreisbremse und ebenfalls langfristige Verbesserungen beim Arbeitslosengeld und der Mindestsicherung.

Die Bundesjugendvertretung appellierte an die Regierung, Kinderarmut mit nachhaltigen und zielgerechten Maßnahmen zu bekämpfen und schloss sich der Forderung nach einer Kindergrundsicherung an. Dafür plädierte auch SPÖ-Frauen- und Jugendsprecherin Eva-Maria Holzleitner, die auch einen Rechtsanspruch auf einen Bildungsplatz und einen Anspruch auf ein gesundes, warmes Essen am Tag für jedes Kind einmahnte.