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Erdbeben in Türkei und Syrien - Bereits mehr als 11.000 Tote

Zwei Tage nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Syrien ist die Zahl der Toten auf mehr als 11.000 gestiegen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan besucht aktuell das türkische Katastrophengebiet und rief zu Zusammenarbeit und Einheit auf.

red/Agenturen

Nachbeben und das schlechte Wetter mit niedrigen Temperaturen und Regen behinderten die Rettungsarbeiten und Hilfslieferungen. Hinzu kommen schlechte Internetverbindungen und beschädigte Straßen zwischen einigen der am stärksten betroffenen türkischen Städte, in denen Millionen von Menschen leben. In die drei am meisten betroffenen Provinzen Hatay, Kahramanmaras and Adiyaman dürften nur noch Rettungsfahrzeuge und Hilfstransporte fahren, sagte Oktay. Dasselbe gelte für den Verkehr aus den drei Provinzen.

In Syrien wurden Behörden und Einsatzkräften zufolge mindestens 1.602 Tote gezählt. In den von der Regierung kontrollierten Gebieten stieg ihre Zahl der staatlichen Nachrichtenagentur Sana auf mindestens 812 an. Die Zahl der Verletzten liegt demnach in den betroffenen Provinzen Aleppo, Latakia, Hama, Idlib und Tartus bei mindestens 1.449. In den Rebellengebieten im Nordwesten des Landes wurden den Einsatzkräften zufolge mindestens 790 Tote registriert. Nach Angaben des von der Opposition betriebenen Zivilschutzes sind noch Hunderte Familien unter den Trümmern zerstörter Gebäude verschüttet. Die Zeit, sie zu retten, werde knapp, sagte der Leiter der als „Weißhelme“ bekannten Organisation im von Rebellen kontrollierten Nordwesten Syriens, Raed al-Saleh. Für die Rettungseinsätze werde dringend internationale Hilfe benötigt. Nach Angaben der UN ist die Grenze wegen logistischer Probleme aber weiterhin geschlossen.

Menschen frieren, immer mehr Opfer

Mehr als 13 Millionen Menschen in der Türkei sind nach Einschätzung der Regierung von der Erdbebenkatastrophe betroffen. „Dieses Erdbeben hat 13,5 Millionen unserer Bürger direkt betroffen“, sagte Städteminister Murat Kurum am Dienstag. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ergebe eine Übersicht der betroffenen Gebiete in beiden Ländern, dass „potenziell 23 Millionen Menschen“ den Folgen des Bebens ausgesetzt seien, darunter fünf Millionen ohnehin besonders verletzliche Menschen, so die hochrangige WHO-Vertreterin Adelheid Marschang in Genf.

Die türkische Katastrophenbehörde Afad teilte mit, dass 13.740 Such- und Rettungskräfte eingesetzt und mehr als 41.000 Zelte, 100.000 Betten und 300.000 Decken in die Region geschickt worden seien. Über das Zentrum für Katastrophenhilfe der EU sind bereits 27 Such- und Rettungsteams mobilisiert worden. Wie der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic am Dienstagvormittag mitteilte, entspricht das insgesamt mehr als 1.150 Rettungskräften und 70 Hunden.

Griechenland schickte trotz der Spannungen mit der Türkei am Montag eine Rettungsmannschaft mit Spürhunden ins Erdbebengebiet. Eine israelische Hilfsdelegation ist in der Türkei angekommen, um dort nach den schweren Erdbeben bei der Suche nach Verschütteten zu helfen. Hilfszusagen kamen etwa auch aus Großbritannien, Indien, Pakistan, Finnland, Schweden, Russland, der von Russland angegriffenen Ukraine sowie den USA.

Österreichisches Bundesheer entsendet Rettungseinheit

Am Dienstag sollten 85 Soldatinnen und Soldaten der „Austrian Forces Disaster Relief Unit“ (AFDRU) in die Türkei abreisen, um dort Verschüttete zu retten. Nach bereits erfolgter Freigabe durch die EU wird sich das Erkundungsteam von Linz-Hörsching auf den Weg machen, am Vormittag am Flughafen Wien-Schwechat weiteres Equipment verladen und am Nachmittag werden die verbliebenen Kräfte abfliegen. Das Bundesheer würde daher gemeinsam mit freiwilligen Helfern und mit den örtlichen Rettungsorganisationen bei der Suche nach Verschütteten helfen. Der Katastrophenhilfeeinsatz ist nach derzeitigen Planungen für etwa zehn Tage anberaumt, sagte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP).

Neben den Bundesheerkräften wird Österreich nach einer Anfrage der Türkei nach entsprechenden Kräfte beim Zivilschutzmechanismus der Europäischen Union ein Team aus Vorarlberg in das Gebiet schicken. Bei den 25 Spezialisten handelt es sich um Feuerwehrleute, vier Hundeführer der Bergrettung mit speziell ausgebildeten Hunden, sowie um drei Notärzte. Derzeit wird der Transport in die Türkei organisiert.

Außenamt: zwei Österreicher getötet

Bei dem verheerenden Erdbeben im syrisch-türkischen Grenzgebiet sind auch zwei Opfer mit österreichischer Staatsbürgerschaft zu beklagen, Wie das Außenministerium Dienstagmittag mitteilte, wurden diese in der Provinz Kahramanmaraş, die im südlichen Teil Anatoliens liegt, tot geborgen.

Darüber hinaus würden aktuell keine Informationen über als vermisst geltende Österreicher oder Österreicherinnen vorliegen. Das Außenministerium sowie die österreichischen Vertretungen würden mit rund einem Dutzend betroffenen österreichischen Staatsbürgern in Kontakt stehen, die jedoch unversehrt geblieben sind. Eine verschüttete österreichische Staatsbürgerin konnte mit leichten Verletzungen geborgen werden. Das Außenministerium sowie die Vertretungen stehen mit allen Betroffenen in Kontakt und unterstützen diese dabei, eine ehestmögliche Rückflugmöglichkeit zu finden.

In der Nacht auf Montag hatte ein erstes Beben der Stärke 7,9 die Grenzregion erschüttert. Am frühen Montagnachmittag folgte dann eine weiteres Beben mit einer Stärke von 7,7. Nach Angaben des European Mediterranean Seismological Centre erschütterte Dienstagfrüh ein weiteres Erdbeben der Stärke 5,6 die Zentraltürkei.

Das Beben vom Montag war das verheerendste in der Türkei seit einem Beben ähnlicher Stärke im Jahr 1999, bei dem mehr als 17.000 Menschen ums Leben kamen. Das Epizentrum lag nahe der südtürkischen Stadt Gaziantep.

Griechische Hilfe sorgt für Schlagzeilen

„Mein Freund, der Feind“, titelt die „Süddeutsche Zeitung“ einen Artikel und bezieht sich dabei auf die Hilfe, die Griechenland der Türkei nach der großen Erdbebenkatastrophe anbot. „Jenseits der politischen Rhetorik fühlen sich beide Nationen viel enger verbunden, als es den Anschein hat. Viele Griechen haben familiäre Wurzeln in Kleinasien und die Namen von Städten wie Gaziantep und Kahramanmaras, dem Epizentrum des Erdbebens von Montag, sind vielen Griechen vertraut.

Aber noch mehr als die Geschichte verbindet das tägliche Leben. Wie türkische Kinder lernen auch griechische Kinder in der Schule, wie sie sich verhalten sollen, wenn die Erde unter ihren Füßen bebt. „Jedes Erdbeben war eine Lektion für unser Land“, sagt der Journalist Tasos Telloglou. „Das führte zu strengen Bauvorschriften und zur Prävention“, sagt er. Diese gibt es auch in der Türkei, aber sie werden dort nicht immer eingehalten. Und die Hilfe beruht auf Gegenseitigkeit.

Nach den verheerenden Erdbeben, die 1999 das Gebiet in der Nähe von Istanbul und Athen heimsuchten, halfen sich beide Seiten gegenseitig. Dies führte auch zu einer politischen Deeskalation. Es war von Erdbebendiplomatie die Rede. „Etwas, das auch jetzt nicht schaden würde“, schreibt die deutsche Zeitung.

Telefonat der Regierungschefs

Inzwischen hat der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis ein Telefongespräch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan geführt. Während des Gesprächs brachte der Premierminister seine Trauer über das verheerende Erdbeben in der Türkei zum Ausdruck und teilte Erdogan das Beileid der Regierung und des griechischen Volkes insgesamt für den Verlust von Menschenleben mit.

Mitsotakis bekräftigte die Bereitschaft Griechenlands, die Türkei bei der Bewältigung der Folgen des verheerenden Erdbebens sofort in jeder erdenklichen Weise zu unterstützen - zusätzlich zu dem Team, das bereits in die Region aufgebrochen ist. Erdogan dankte dem Ministerpräsidenten für dessen Unterstützung und sofortige Hilfe.

Griechenland war sofort an der Seite der türkischen Bevölkerung und schickte mit C-130-Flugzeugen Hilfe. Ein Team von 21 Feuerwehrleuten mit zwei Rettungshunden und einem speziellen Rettungsfahrzeug war an dem Einsatz beteiligt. Auf Anordnung von Ministerpräsident Mitsotakis hatte Griechenland unverzüglich auf das Ersuchen der Türkei um Hilfe bei der Bewältigung der verheerenden Folgen des starken Erdbebens der Stärke 7,8 reagiert, das sich am Morgen des 6. Februar im Südosten der Türkei und in Syrien ereignete.

Begleitet wurde das Team von einem Ingenieur der Feuerwehr, der auf die Sicherung eingestürzter Gebäude spezialisiert ist, fünf Ärzten und Rettungskräften des griechischen Rettungsdienstes (EKAB) sowie dem Präsidenten der Organisation für Erdbebenschutz (OASP), Efthimios Lekkas.

Griechische Präsidentin bekundete ihr Beileid

Die griechische Präsidentin Katerina Sakellaropoulou setzte sich mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in Verbindung und bekundete ihr Beileid für die Opfer des verheerenden Erdbebens. Sakellaropoulou wünschte eine rasche Genesung der Verletzten und die Rettung möglichst vieler Menschenleben. Sie betonte auch, dass sich Griechenland mit dem leidenden türkischen Volk solidarisch zeigt und die Rettungsmaßnahmen aktiv unterstützt. Der türkische Präsident dankte Sakellaropoulou für die Unterstützung des griechischen Volkes und für die bereits geleistete Hilfe.

Zuletzt war die Lage zwischen den beiden NATO-Partnern in der Ägäis äußerst angespannt. Erdogan hatte Griechenland in den vergangenen Wochen die Möglichkeit von Raketenangriffen auf griechisches Territorium angedeutet. Er stellte unter anderem die Souveränität Griechenlands über zahlreiche bewohnte und unbewohnte griechische Inseln im östlichen Mittelmeer infrage und fordert den Abzug aller griechischen Truppen von diesen Inseln. Öfters drohte er mit dem Satz: „Wir könnten plötzlich eines Nachts kommen.“

So funktionieren Frühwarnsysteme

Ein Erdbeben konkret vorherzusagen, das ist wissenschaftlich noch nicht möglich. Allerdings gibt es komplexe Frühwarnsysteme, die Erschütterungen schnell erkennen können, wie der Forschungsbereich Erde und Umwelt der deutschen Helmholtz-Gemeinschaft erklärt. Regionale Systeme sind in den Gebieten installiert, in denen Erdbeben zu erwarten sind. Dort erfasst ein seismisches Beobachtungsnetzwerk starke Erschütterungen im Boden.

Bei einem Erdbeben entstehen verschiedene Arten seismischer Wellen, darunter eine Kompressionswelle (P-Welle) mit relativ geringer Schwingung und die zerstörerische Scherwelle (S-Welle). Zwischen ihnen liegen nah am Epizentrum wenige Sekunden. „Je weiter man davon entfernt ist, desto mehr Zeit bleibt für einen Alarm. Ist man nah am Epizentrum, ist die S-Welle schon vor diesem angekommen“, sagt Professor Stefano Parolai von der Universität Triest.

In dieser Zeit empfangen Software-Plattformen die Echtzeit-Signale des Beobachtungsnetzwerkes, verarbeiten sie und senden einen Alarm aus. Die verknüpfte Infrastruktur sorgt dafür, dass sofort Warnungen herausgegeben werden und etwa Strom- und Gasleitungen abgeschaltet, Züge gestoppt, Brücken gesperrt und gefährliche industrielle Prozesse angehalten werden.

Weiteres Frühwarnsystem

Ein anderes Frühwarnsystem arbeitet mit folgender Strategie: Dort werden die seismischen Messungen an dem Punkt vorgenommen, der geschützt werden soll - etwa in einer Stadt oder an einer Industrieanlage. Die Messgeräte registrierten die P-Welle, könnten daraus ableiten, wie stark die S-Welle etwa werde und dementsprechend sofort Maßnahmen auslösen, so Experte Parolai.

Beim aktuellen Erdbeben in der Türkei und Syrien wäre eine solche Frühwarnung unabhängig vom eingesetzten System nicht möglich gewesen, erklärt Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam. Denn die betroffene dicht besiedelte Region liege in unmittelbarer Nähe des Epizentrums, so dass es keinen Zeitraum für Warnungen gegeben hätte.

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