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Lebererkrankungen

„Wir gehen hier weit in den gesundheitspolitischen Bereich hinein“

Tobias Böttler ist Hepatologe und wissenschaftlicher Leiter des heurigen Internationalen Leberkongresses der EASL (European Association for the Study of the Liver), der kürzlich in Wien stattfand. medinlive sprach mit ihm am Rande des Kongresses über die Neuigkeiten rund um die NASH (nichtalkoholische Steatohepatitis) und die Autoimmunhepatitis, Ernährung als Therapie und gängige Mythen rund um Lebererkrankungen.

Eva Kaiserseder

medinlive: Sie haben das wissenschaftliche Programm für den EASL-Kongress kuratiert, der heuer in Wien stattgefunden hat. Was sind die Themen, die der Ärzteschaft aktuell sozusagen unter den Nägeln brennen?

Tobias Böttler: Tatsächlich war das die NASH, also die nichtalkoholische Steatohepatitis, dieses Thema lockte die Besucher beim Kongress in die großen Säle. Einerseits stellt sich hier die Frage nach den medikamentösen Therapien, ob und wann es sie endlich gibt. Und andererseits wird die neue Nomenklatur mit Spannung erwartet: Wie wird die Erkrankung denn zukünftig heißen? Die Krankheit ist derzeit nach etwas benannt, was sie nicht ist anstatt danach, was sie tatsächlich ist. Eine NASH ist vorrangig nichtalkoholisch induziert und wenn dann andere Faktoren ausgeschlossen werden können und zusätzlich Adipositas dazukommt, bekommen die Patient:innen eben diese Diagnose. Für die führende Lebererkrankung ist eine solche Ausschlussdiagnose nicht mehr zeitgemäß.

medinlive: In welche Richtung wird sich die neue Definition bewegen?

Böttler: Wir sprechen hier von einer Erkrankung, die mit klassischen Symptomen eines metabolischen Syndroms assoziiert ist. Übergewicht, Diabetes, Blutfettveränderungen... das sind alles Dinge, die hier letztendlich zusammenkommen. In Zukunft werden alle Erkrankungen, die mit einer Leberverfettung assoziiert sind, als steatotische Lebererkrankung (SLD) zusammengefasst.

medinlive: Sie sind Professor an der Universität Freiburg in Baden-Württemberg und haben einen guten fachlichen Einblick in den US-amerikanischen und deutschsprachigen Raum. Was spielt dort neben der Fettleber in den Ordinationen und Spitälern noch eine große Rolle?

Böttler: Zuletzt stand tatsächlich Hepatitis D im Vergleich zu den vergangenen Jahren im Vordergrund neben den „Dauerbrennern“ Hepatitis B und C. Warum? Es kommt eigentlich, wenn man die Anzahl der Betroffenen betrachtet, am seltensten vor, ist aber dann am aggressivsten und führt fast immer innerhalb einiger Jahre zu schweren Lebererkrankungen. Zuletzt stand es mehr im Fokus, weil es erstmals Therapien gibt, mit denen man diese Erkrankung zumindest kontrollieren kann, nämlich Bulevirtide (Hepcludex) ein entry-Inhibitor, der die Neuinfektion von Leberzellen verhindert. Bisher gab es ja kaum etwas Effizientes, es wurde Off-Label mit Interferon gearbeitet, aber im Grunde war das Virus auch bei erfolgreichen Behandlungen immer nachweisbar und kam nach ein paar Jahren zurück.

medinlive: Sind die steigenden Zahlen einem verbesserten Screening und mehr Awareness geschuldet oder gibt es tatsächlich mehr Betroffene?

Böttler: Die WHO-Ziele für 2030 zielen ja auf die Elimination der Hepatitis ab, allerdings gab es zumindest in Deutschland nie ein staatlich finanziertes Screeningprogramm. Seit 2021 dürfen niedergelassen Ärzt:innen allerdings auch ohne Anfangsverdacht Personen über 35 auf HBV und HCV, also Hepatitis B und C, testen. Das führt natürlich zu steigenden Zahlen, weil wir hier große Dunkelziffern haben, und hat nichts mit tatsächlich steigenden Infektionszahlen zu tun. Und je mehr Hepatitis B wir detektieren, desto mehr Hepatitis D-Fälle stellen wir fest, denn Hepatitis D gibt es nur in Verbindung mit Hepatitis B. Es reicht also, wenn das Screening auf HBV und HCV fokussiert, denn sobald Hepatitis B auftaucht, wird man auch Hepatitis D testen.

medinlive: Welche Struktur bei der Auswahl des Programms verfolgen Sie?

Böttler: Die Auswahl erfolgt primär danach, was in unserem Feld gerade für Interessen vorherrschen. Das Scientific Committee ist so aufgestellt, dass Experten für alle Lebererkrankungen an Bord sind, also alkoholassoziierte Erkrankungen, die nichtalkoholische Fettleber, Virushepatitis, Leberzirrhose... auch gesundheitspolitische Themen sind natürlich vertreten. Wir schauen uns gemeinsam an, was fachlich und politisch aktuell ist und überlegen, wo dazu ein Symposium Sinn machen würde. Das wird uns dann zur Validierung vorgelegt und hier ist dann der Teil, wo wir kreativ planen können. Der wissenschaftliche Kern des Kongresses ist derjenige, wo sämtliche Forscher und auch Unternehmen ihre Ergebnisse einreichen können. Wir überprüfen dann mit unseren Begutachtern die Abstracts und klopfen sie auf ihre Relevanz für den Kongress ab.

medinlive: Am Kongress gibt es heuer fachlich einiges rund um Autoimmunthematiken. Ist das ein Feld, wo sich momentan viel bewegt?

Böttler: Hätten Sie mir die Frage vor sechs Monaten gestellt, hätte ich das verneint. Hier hat sich vor allem in Bezug auf autoimmune Hepatitis lange nichts mehr bewegt. Tatsächlich wird aber nun die erste randomized clinical trial Studie rund um die Autoimmunhepatitis seit dreizehn Jahren vorgestellt. Ich denke, die Ergebnisse könnten die klinische Praxis ändern, etwa bei der Frage, welches Medikament man in der Erstlinie gleich nach der Diagnose einsetzen kann. Wir haben derzeit ein Medikament, dass die Erkrankung sehr effektiv kontrolliert, erwarten aber hier ein Ergebnis, dass für die Praxis eine relevante Änderung bringen könnte. In einer holländischen Studie, die am ILC vorgestellt wurde, konnte gezeigt werden, dass Mycophenolat Mofetil (MMF) in der Erstlinientherapie dem bisher eingesetzten Azathioprin überlegen zu sein scheint. Sowohl was die Wirksamkeit als auch die Verträglichkeit betrifft.

medinlive: In welchem Bereich hat der Pharmabereich und wo die Wissenschaft großes Interesse an Fortschritten bzw. wo deckt sich das optimalerweise?

Böttler: Hier möchte ich vorab das Beispiel Hepatitis C bringen: Da kann man ganz klar sagen, das ist eine Erfolgsgeschichte. Und momentan eine eindeutig gesundheitspolitische Frage. Nämlich, wie man diese neuen Therapieoptionen auch umsetzt, sprich Screening und linkage to care hier optimal bewerkstelligt. Damit man bei Hepatitis C überhaupt so weit gekommen ist, dass wir die Möglichkeit haben es zu eliminieren, liegt erstens an der Grundlagenforschung. Sie ist der Kern des Fortschritts. Und zweitens hat die Zusammenarbeit zwischen Grundlagenforschung, Mediziner:innen und der Pharmaindustrie exzellent funktioniert. Die vielfach öffentliche Wahrnehmung, dass die Pharmaindustrie immer nur auf die Umsätze schielt, ist hier sicher oft etwas zu stark vereinfacht.

25 Jahre nach der Entdeckung des Virus können wir sagen, es kann de facto jeder von Hepatitis C geheilt werden. Das ist eine Revolution. Diese Erfolgsgeschichte war nur durch eine enge Zusammenarbeit aller Bereiche möglich. Jeder konnte hier seine Stärken ausspielen, unglaublich schlaue Grundlagenforscher, sehr gute Modelle, klinische Studien, die multizentrisch umgesetzt wurden: Hier musste sehr viel Geld in die Hand genommen werden, um das nach besten Standards umzusetzen und die Pharmabranche kann das.

medinlive: Sehr plakativ gefragt: Steht momentan neben der oben schon erwähnten medikamentösen Therapie der NASH ein ähnlicher Durchbruch wie bei Hepatitis C bevor?

Böttler: Ich komme selber aus dem Bereich der Virushepatitis und bin natürlich gespannt, was hier weiter passiert. Vielen Menschen erwarten hier fast einen ähnlichen Erfolg wie bei Hepatis C, wobei Hepatitis B aber viel komplexer ist. Es integriert sich ins Wirtsgenom und ist schwieriger zu eliminieren. Allerdings gibt es viele interessante Ansätze und oftmals entstehen solche Erfolge durch Zufall, etwa bei der neuen Therapie bei Hepatitis D, die an sich für Hepatitis B entwickelt wurde.

Und natürlich ist es wichtig, dass es bei der NASH vorangeht, aber hier muss man einschränkend sagen, mit Lifestyleadaptierungen kommt man in Effektivitätsbereiche, die kein Medikament jemals erreichen wird. Es ist ganz wichtig, dass es jetzt ein Medikament geben wird, aber ebenso wichtig ist es zu betonen: Die Medikamente sollen den Heilungsprozess unterstützen, sie sollten nicht dazu führen, dass man die Bedeutung des Lifestyles, von Ernährung und Bewegung, unterschätzt. Unser primäres Ziel muss hier eine Verbesserung sein, die Medikamente sind dann der Zusatz.

Klar ist aber auch, dass wir hier weit in den gesundheitspolitischen Bereich hineingehen, wenn wir etwa sehen, dass gesundes Essen nicht für jeden leistbar ist, ungesundes Essen aber durchaus sehr preisgünstig zu haben ist. Die Frage, auch aus ökonomischer Perspektive betrachtet, stellt sich, wie leicht man Menschen erwiesenermaßen gesundheitsschädliche Dinge zugänglich macht.

Und um den Freiheitsgedanken aufzugreifen, der da hineinspielt, das man also Menschen diese Dinge selbst überlassen soll: Wenn man das weiterdenkt, muss man sich überlegen, wieviel Geld der Staat an Steuern mit diesen Produkten einnimmt und wieviel am Ende die Allgemeinheit dafür bezahlt, um die Folgen des ungesunden Konsums auszugleichen. Ich denke, hier gibt es viel Potential. Letztes Jahr gab es eine Publikation der Europäische Lebergesellschaft im Lancet, wo sehr schön dargestellt wurde, wie die Alkoholsteuer, also der Preis den man für Alkohol bezahlen, mit der Lebergesundheit korreliert. Je billiger der Alkohol zu haben ist, desto mehr Menschen erkranken und sterben an Lebererkrankungen. Das Gleiche gilt für bestimmte nicht-alkoholassoziierte Lebererkrankungen, also metabolische Lebererkrankungen, die typischerweise mit bestimmten Lebensmitteln in Verbindung stehen. Softdrinks sind etwa so ein Beispiel, sie sollten entsprechend schwieriger zugänglich sein.

Bei der Ernährung müssen wir aus gutem Grund eingreifen, um auch mit einer belastbaren Evidenz sagen zu können, dass es Sinn macht, hier zu reduzieren. Kein Kind der Welt ist unglücklich, wenn es weniger Gummibärchen isst. Wichtig für uns als Lebergesellschaft ist auch, die wissenschaftlichen Fakten zu kommunizieren, klar aufzuzeigen, das ist die Realität, diese Faktoren sind Krankheitstreiber. Wenn man sich ansieht, was wir hier in unserer westlichen Welt so behandeln, etwa kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, metabolische Erkrankungen... dann sind das zu ganz großen Teilen Lifestyleerkrankungen.

medinlive: Ich würde hier gerne noch einmal die Screeningthematik ins Spiel bringen. Wohin wird die Reise hier gehen, etwa was die Hepatitis betrifft?

Böttler: Um die WHO-Ziele zu erreichen, müssen wir bei der Hepatitis B die Tools benutzen, die wir ohnehin schon zur Verfügung haben, denn die Impfung ist hocheffektiv und in den westlichen Ländern Teil der Standardimpfung schon in der Kindheit. Damit ist man ein Leben lang geschützt und das müsste man global so umsetzen. Langfristig gilt es, einen Großteil der Menschen zu impfen und damit auch Hepatitis D als Gesundheitsproblem zu eliminieren. Bei Hepatitis B basiert die Eliminierung also auf Prävention.

Bei der Hepatitis C ist die Therapie das Ausschlaggebende. Hier sind wir beim Screening: Dazu müssen wir die Personen identifizieren, die die Viren in sich tragen und entweder selbst erkranken oder das Virus weitergeben. Wir müssen hier tatsächlich in die stigmatisierten Bereiche hinein, etwa in die Drogenmilieus oder in die Gefängnisse, denn dort zirkuliert das Virus besonders häufig.

medinlive: Ein Thema ist jetzt zu kurz gekommen, nämlich..

Böttler: ...die alkoholassoziierte Lebererkrankung, oder? Sie kommt sehr häufig vor und tatsächlich wird wenig darüber gesprochen, auch wenn bei vielfach automatisch mitschwingt, wenn von Lebererkrankungen die Rede ist. Wichtig wäre es, hier das generelle Verständnis vom Alkohol als Risikofaktor noch deutlicher zu verbreiten. Viele machen den Denkfehler zu glauben, ein leberschädigendes Trinkverhalten geht automatisch mit einer Abhängigkeit einher. Hier passiert die Vermischung einer psychiatrischen mit einer internistischen Diagnose. Natürlich gibt es einen gewissen Pool, wo sich das überlappt, aber bei weitem nicht bei allen. Es gibt viele Menschen mit völlig unproblematischem Trinkverhalten, weit weg von Sucht, die trotzdem eine geschädigte Leber haben. Die genetischen Grundvoraussetzungen sind einfach unterschiedlich. Es ist wichtig, den Menschen das klar zu machen: Alkohol ist etwas, das schaden kann, aber nicht muss, dabei ist aber nicht entscheidend, ob man alkoholabhängig ist oder nicht.

Zur Person

Tobias Böttler ist Hepatologe mit Schwerpunkt Virushepatitis. Er habilitierte sich 2018 in Innerer Medizin (Universität Freiburg, Mentor: Robert Thimme), forschte mehrere Jahre am La Jolla Institute for Allergy and Immunology (Postdoc) und ist derzeit u.a.Gruppenleiter der Experimentellen Forschungsgruppe im Gebiet der Hepatologie und Immunologie an der Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikum Freiburg.

Tobias Böttler
Tobias Böttler ist Hepatologe mit Arbeitsschwerpunkt Virushepatitis und zeichnete für das wissenschaftliche Programm des Internationalen Leberkongress in Wien verantwortlich.
EASL
„Eine NASH ist vorrangig nichtalkoholisch induziert und wenn dann andere Faktoren ausgeschlossen werden können und zusätzlich Adipositas dazukommt, bekommen die Patient:innen eben diese Diagnose. Für die führende Lebererkrankung ist eine solche Ausschlussdiagnose nicht mehr zeitgemäß."