„Stillstand“: Die Pandemie unter dem Mikroskop des Chronisten

Es sind nur einige wenige Texttafeln am Beginn des Films. Informationen über die Zahlen und Fakten der Coronapandemie. Es sind Botschaften wie aus einer fernen Vergangenheit an die Zukunft. Vertraut und doch weit entfernt. So lässt Österreichs Dokumentaressayist Nikolaus Geyrhalter sein neues Werk „Stillstand“ beginnen. Es ist die vielleicht erste große visuelle Aufarbeitung der dramatischen Ereignisse. Am Montagabend feierte der Film beim Dokfest Leipzig Weltpremiere.

red/Agenturen

„Stillstand“ ist dabei eine eher ungewöhnliche Arbeit für Geyrhalter. Der Weltreisende, der bei seinen Werken meist den verschiedenen Phänomenen und Zusammenhängen auf unserem Erdball nachspürt („Erde“ oder „Matter out of Place“), wird hier zum Chronisten eines Traumas und beschränkt sich angesichts der Schockstarre der Welt notgedrungen auf Wien. Die Aufnahmen für das stark durchrhythmisierte Dokument entstanden ab März 2020.

Geyrhalter changiert hierbei zwischen den für sein Œuvre charakteristischen, langen, unkommentierten Kadern und Interviewpassagen. Impressionen vom Flughafen Schwechat ohne das bekannte Gewusel, eine Horde an AUA-Flugzeugen im Parkmodus, die gähnende Leere vor dem Stephansdom, fahrende, aber leere Straßenbahnen - all dies ruft eine Phase der jüngeren Geschichte in Erinnerung, die aus dem Gedächtnis der Mehrheit schon wieder entschwunden scheint. Oder an die sich viele zumindest noch nicht wieder erinnern wollen.

Diese Interludien stehen im steten Wechsel mit Gesprächspassagen, in denen sich Geyrhalter mit verschiedenen Protagonisten über ihre momentane Lage unterhält. Hierbei werden die unterschiedlichen Perspektiven auf das über eine Gesellschaft hereinbrechende Geschehen deutlich. Eine Intensivmedizinerin berichtet zu Beginn von einem „mulmigen Bauchgefühl“, eine Pflegerin von den zur Hochphase der Coronawellen unterschiedlichen Kosmen Spital und Außenwelt. Der Geschäftsführer eines Blumengeschäfts bricht in Tränen aus, weil ein Mitarbeiter seinen sterbenden Vater nicht besuchen durfte. Und Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) wird im Mediendauereinsatz begleitet.

Vom Optimismus zum Pragmatismus

Den meisten Interviewpartnern ist dabei gemein, dass sie bei allem Schock, bei aller Unsicherheit am Beginn der ersten Pandemiephase doch so etwas wie Zuversicht haben, Optimismus ausstrahlen. Eine Lehrerin wünscht sich, dass man die Umbrüche der Gesellschaft wie die autofreien Straßen auch in die Zukunft retten kann, während Kinobetreiber Norman Shetler über die Solidarität sinniert, die man in diesen Zeiten als positives Momentum erlebe.

Doch nichts ist ewig. Das gilt nicht nur für den pandemischen Zustand, sondern auch den Optimismus. Auch das zeigt „Stillstand“, begleitet Geyrhalter seine Protagonisten doch über die verschiedenen Wellen und Lockdowns hinweg. So wird deutlich, wie das Unbekannte zur Routine wird, wie Pragmatismus Idealismus ersetzt. Auch die Antimaßnahmendemos lässt Geyrhalter als Chronist der Zeit nicht beiseite.

In das leere Schwimmbad kehrt langsam das Leben zurück, die Schüler beleben wieder die Schule, und im Kino ist wieder Publikum zu erleben, wenn auch mit Maske. Zugleich hält auch die Desillusionierung Einzug. Als „naiv und Wunschdenken“ charakterisiert Gartenbaukino-Chef Shetler seine Haltung zu Beginn der Pandemie. Und am Ende hat wieder jene Intensivmedizinerin das Wort, die am Beginn des Gesprächsreigens stand. Auf die Frage, ob Corona nun wirklich vorbei sei, antwortet sie: „Was ist vorbei? Es ist im Leben nie etwas vorbei.“