Therapie

Neues Ziel zur Behandlung von Gehirnmetastasen

Gehirnmetastasen gehören zu den gefürchtetsten Komplikationen fortgeschrittener Krebserkrankungen. Ein mögliches Ziel für neue Therapien haben jetzt Wiener Wissenschafter identifiziert: sogenannte HER3-Rezeptoren bei Brustkrebs und nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen. Die entsprechende wissenschaftliche Arbeit ist vor einigen Tagen in Clinical Cancer Research erschienen.

red/Agenturen

Erwin Tomasich (MedUni Wien) und das zum größten Teil Wiener Autorenteam mit dem Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie, Matthias Preusser und Anna Berghoff (Internistische Neuroonkologie/MedUni Wien): „Es gibt noch einen enormen Bedarf an Möglichkeiten zur medikamentösen Behandlung von Patienten mit Hirnmetastasen. Wir haben deshalb untersucht, ob sich die Expression von HER3 (ein Rezeptor für Kinaseenzyme, welche Zellwachstum antreiben; Anm.) als Basis für zukünftige klinische Studien bei Gehirnmetastasen bei Brustkrebs und nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen eignen könnte.“

HER3 kann auf der Oberfläche von bösartigen Zellen gebildet werden. Ähnlich wie HER2 handelt es sich dabei um Rezeptoren für bestimmte Wachstumsfaktoren. Krebszellen produzieren diese Faktoren und bilden (exprimieren; Anm.) an ihrer Oberfläche oft auch noch vermehrt Rezeptoren für diese Proteine aus. Das führt zu einem verstärkten Wachstum und zu vermehrter Zellteilung, was den Selektionsvorteil der Krebszellen gegenüber gutartigen Zellen ausmacht.

Das Wissenschafterteam analysierte Gewebeproben von 180 Gehirnmetastasen nach Brustkrebs bzw. Lungenkarzinomerkrankungen sowie von 47 Metastasen bei nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom außerhalb des Gehirns. Außerdem bestimmten sie die Dichte eingewanderter Immunzellen in dem bösartigen Gewebe.

Ergebnisse sprechen HER3

Die Ergebnisse der Wissenschafterinnen und Wissenschafter sprechen für HER3 als mögliches Ziel für zukünftige medikamentöse Therapien. „99 von 132 (75 Prozent) der Gehirnmetastasen bei Brustkrebs und 35 der 48 Gehirnmetastasen bei nicht-kleinzelligem Lungenkarzinomen (72,9 Prozent) exprimierten HER3.“ Gehirnmetastasen bei HER2-positivem Brustkrebs (15 bis 20 Prozent der Brustkrebserkrankungen) zeigten auch mehr HER3-Rezeptoren an ihrer Oberfläche (87,7 Prozent im Vergleich zu 61 Prozent bei HER2-negativem Brustkrebs).

Bei Gehirnmetastasen infolge von Lungenkarzinomen wurde deutlich öfter das Zellmerkmal HER3 gefunden als in Metastasen außerhalb des Gehirns (72,9 versus 41,3 Prozent). Auf die Dichte von in Tumorgewebe eingewanderten Immunzellen hatte HER3 offenbar keine Auswirkung. HER3 änderte auch nichts an der Überlebensrate der Patientinnen.

Doch aus den Ergebnissen dieser Untersuchung könnten sich laut den Autoren Möglichkeiten für künftige Therapien ergeben. Der mit HER3 verwandte Rezeptor HER2 wird seit rund 20 Jahren als gezielter Angriffspunkt für monoklonale Antikörper (Trastuzumab) und seit Jahren auch für Trastuzumab-Chemotherapie-Kombinationen (Konjugate) verwendet. Das hat HER2-positive Tumoren viel besser behandelbar gemacht.

Chemotherapie-Wirkstoffe an monoklonale Antikörper koppeln

Die Idee der Wissenschafterinnen und Wissenschafter: Man könnte doch Chemotherapie-Wirkstoffe auch an monoklonale Antikörper gegen HER3 koppeln. Die monoklonalen Antikörper würden gezielt die bösartigen Zellen von Gehirnmetastasen ansteuern und die Chemotherapie-Wirkstoffe dort abladen. Bei HER2-positiven Tumoren funktioniert das ja seit vielen Jahren und hat unter anderem dazu geführt, dass die ehemals besonders aggressiv geltende HER2-positive Brustkrebsform ihren Schrecken zu einem Teil verloren hat.

„Wenn man sich die viel versprechenden Effekte von Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten bei Tumoren mit Metastasen außerhalb des Schädels ansieht, wäre es an der Zeit, mögliche Medikamente zu entwickeln und zu testen, die Gehirnmetastasen mit HER3 anvisieren“, schrieben die Wissenschafterinnen und Wissenschafter. Dazu Preusser gegenüber der APA: „Derartige Antikörper-Wirkstoff-Konjugate gegen HER3 sind in klinischer Entwicklung und wir arbeiten aktuell mit Hochdruck an einer klinischen Studie speziell für Patienten und Patientinnen mit Hirnbeteiligung bei Brust- und Lungenkrebs.“