Ein Team unter der Leitung der MedUni Wien beleuchtete die aktuelle Situation in vier Ländern Europas - Österreich, Griechenland, Großbritannien und Spanien - und formulierte Ansätze für die Entwicklung eines Präventionsprogramms. Die aktuelle Studie ist im Fachjournal eClinicalMedicine erschienen.
Das Forscherteam um Tobias Schiffler und Igor Grabovac von der Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin des Zentrums für Public Health der MedUni Wien stellte die Betroffenen selbst in den Fokus: Erfahrungen von obdach- und wohnungslosen Menschen mit und ohne Krebs sowie Fachkräften in Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialdienste wurden analysiert. Mit einbezogen wurden bestehende Gegebenheiten und Hindernisse bei der Krebsvorsorge für Menschen am Rande der Gesellschaft.
Das Bewusstsein für Krebsvorsorge in dieser Gruppe ist bei Obdach- und Wohnungslosen laut der Studie ebenso nur im geringen Maße vorhanden wie bei Vertretern der Gesundheits- und Sozialdienste. „Die Datenlage zu dieser Problematik war bisher äußerst dünn“, so Erstautor Schiffler.
Barrieren beim Zugang zum Gesundheitssystem große Hürde
Eine wohnungslose Person aus Österreich sprach etwa von einem „Luxus, sich um Vorsorgeuntersuchungen und Check-ups zu kümmern, wenn man noch akute Probleme mit sich herumträgt“. Einzelne lokale Initiativen scheitern laut der qualitativen Untersuchung meist daran, die betroffene Gruppe ausreichend zu erreichen.
Oft werde Krebs bei Frauen und Männern dieser unterversorgten Bevölkerungsgruppe erst entdeckt, wenn es notärztliche Versorgung wegen einer akuten Erkrankung oder einer Verletzung gibt. Oder der Tumor bereits so weit fortgeschritten ist, dass er Beschwerden verursacht.
Regelmäßige Behandlungs- oder Nachsorgemaßnahmen, die laut Angaben der Studienautoren eventuell noch möglich wären, würden sich aufgrund der Lebensumstände als schwierig erweisen. Finanzielle oder strukturelle Barrieren beim Zugang zum Gesundheitssystem würden Betroffene in einigen Ländern zusätzlich belasten. Das führe dazu, dass Obdach- und Wohnungslose sich nicht in dem Maße um ihre Gesundheit kümmern können, wie sie nach eigenen Aussagen eigentlich möchten.
Durch diese Zugangsprobleme zum Gesundheitssystem werden Erkrankungen erst spät oder überhaupt zu spät erkannt. Die durchschnittliche Lebenserwartung von obdach- und wohnungslosen Menschen liegt laut Angaben der Studienautoren bei nur 47 Jahren, wie Daten aus Großbritannien zeigen würden.
Wunsch nach besserer Versorgung
Die untersuchte Bevölkerungsgruppe hat eine insgesamt höhere Krankheitslast als der Rest der Gesellschaft. Krebs trifft Menschen mit Obdachlosigkeitserfahrungen doppelt so häufig wie die Allgemeinbevölkerung. Dies hängt auch mit einem gesteigerten Risikoverhalten zusammen, etwa erhöhtem Alkohol- und Tabakkonsum. Gründe dafür sind aber auch häufiger auftretende Infektionskrankheiten und Mangelernährung in Kombination mit den zuvor beschriebenen Barrieren beim Zugang zum Gesundheitssystem.
„Unsere Studie ist eine der ersten, die Krebsvorsorge aus der Perspektive direkt Betroffener beleuchtet. Die Ergebnisse können die Basis maßgeschneiderter und zielgerichteter Präventionsmaßnahmen bilden, die die Bedürfnisse und Umstände dieser Zielgruppe berücksichtigen“, sagte Studienleiter Grabovac.
Die Studie wurde im Rahmen des groß angelegten EU-Projekts „CANCERLESS“ (Cancer prevention and early detection among the homeless population in Europe: Co-adapting and implementing the Health Navigator Model) durchgeführt, die ebenfalls von Grabovac geleitet wird.